Osnabrücker Maßnahme zum Klimaschutz: Sie wissen nun, was sie tun
In Osnabrück soll jede Beschlussvorlage künftig „Auswirkungen auf den Klimaschutz“ nachweisen. Die Maßnahme hat weitreichende Konsequenzen.
![Photovoltaikanlage auf dem Dach des Osnabrücker Möbelhauses Boss Photovoltaikanlage auf dem Dach des Osnabrücker Möbelhauses Boss](https://taz.de/picture/3780220/14/ir_enginepl.jpeg)
Maßnahmen gegen die Klimakrise zu entwickeln, ist für Gerdts seit vielen Jahren Alltag. Aber dass sein Fachbereich damit bundesweit Aufsehen erregt, ist etwas Besonderes. Am 5. November war es so weit. Gerdts gab die Mitteilungsvorlage VO/2019/4559 in den Rat: „Anstrengungen für kommunale Klimapolitik verstärken“. Ihr Titel ist dröge. Aber was drinsteht, hat Kraft.
„Ab sofort“ werde der Rat „die Auswirkungen auf das Klima bei relevanten Entscheidungen besser berücksichtigen“ und „Lösungen bevorzugen, die sich positiv auf den Klimaschutz auswirken.“ Osnabrück hat zwar nicht, wie Konstanz, den Klimanotstand ausgerufen. Aber VO/2019/4559 bedeutet fast dasselbe. Jede der jährlich rund 800 Beschlussvorlagen muss künftig „Auswirkungen auf den Klimaschutz“ nachweisen.
Gibt es welche, positive oder negative, für mehr als ein Jahr Dauer, mit mehr als 10 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr, dann tritt Gerdts’ Fachbereich auf den Plan. Sind sie „relevant negativ“, für bis zu 5 Jahre und länger, bis 400 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr und darüber, erarbeitet er „klimaverträglichere Alternativen“. Auch eine Verzichtsempfehlung hat er im Arsenal.
„Soweit wir wissen“, sagt Gerdts, „sind wir die erste Kommune, die dafür ein Verfahren entwickelt hat.“ Umweltamtsleiter vieler Städte haben an dieser Pionierarbeit Interesse, das Deutsche Institut für Urbanistik, der Deutsche Städtetag.
Das Problem: An die Alternativen und Empfehlungen ihrer Fachverwaltung müssen Osnabrücks Politiker sich nicht halten. „Aber dann wissen sie zumindest, was sie da entscheiden“, sagt Gerdts. „Wichtig ist vor allem, dass das Klimabewusstsein nicht erst einsetzt, wenn längst Fakten geschaffen sind. Durch verfrühte Ausschreibungen zum Beispiel.“
Dass die Mitteilungsvorlage VO/2019/4559, obwohl interfraktionell gewollt, „nicht überall auf Begeisterung stößt“, ist Gerdts klar. Schließlich setzt das neue Maßnahmenpaket die Bereitschaft zur Selbstkritik voraus, zum Wandel. Den Oberbürgermeister nimmt es in die Pflicht, öffentlich über den Fortschritt zu berichten. Den stadteigenen Stadtwerken fordert es eine Strategie zum Ausstieg aus fossilen Energieträgern ab. Prüfauftrag reiht sich an Prüfauftrag, von der Verbesserung des Regionalverkehrs bis zur Klimaneutralität für kommunale Gebäude. Ehrgeizig.
Tobias Demircioglu, Greenpeace Osnabrück, sieht in alldem „Schritte in die richtige Richtung“. Entscheidend sei indes, „wie ernst die Politik dieses Instrument nimmt, was es konkret bewirkt“. Etwa für neue Baugebiete: „Pflicht zur Photovoltaik oder Solarthermie!“, fordert Demircioglu. „Bauen nur, wo es auch ÖPNV gibt! Keine Vollversiegelung von Autostellflächen!“ Zu tun gebe es viel. „Überall. Dringlichst.“
Das ist richtig. Osnabrücks „Masterplan 100 Prozent Klimaschutz“ sieht eine Senkung der Kohlendioxid-Emissionen um 95 und des Energieverbrauchs um 50 Prozent bis zum Jahr 2050 vor, im Vergleich zu 1990, und bisher sehen die Resultate mager aus.
Aber der Druck ist hoch. Auch durch die örtliche Fridays for Future-Bewegung (FFF). Sie war am Dienstag ebenfalls Thema im Rat. Gerdts hat zu ihrer „drastische Veränderungen“ fordernden Resolution, jüngst vor 8.000 Demonstrierenden Oberbürgermeister Wolfgang Griesert (CDU) übergeben, eine Stellungnahme geschrieben – sehr positiv.
Die Bäume vor seinem Fenster rettet das leider nicht.
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