Oscarverleihung in Los Angeles: Glamour und Realität
Bei den Oscars war „Oppenheimer“ der große Gewinner, immer wieder kam auch Politisches zur Sprache. Deutsche gingen leer aus.
![Regisseur Jonathan Glazer mit einem Oscar. Regisseur Jonathan Glazer mit einem Oscar.](https://taz.de/picture/6878884/14/34862702-1.jpeg)
Ganz auszublenden ist die Realität dann doch nicht, auch in der surrealen Traumfabrik bei der Oscarverleihung, der glamourösesten aller Filmpreissausen, nicht. Spätestens als Jonathan Glazer, der aus einer jüdischen Familie stammende Regisseur von „The Zone of Interest“ und frischgebackener Gewinner des Oscars für den „Besten Internationalen Film“ in seiner Dankesrede den Krieg in Gaza anspricht: In seinem Film gehe es, sagt er, nicht darum, zu zeigen, was wir früher getan haben, sondern was gerade passiert – auf beiden Seiten würde entmenschlicht.
Dass mit Glazers verdientem Sieg İlker Çataks deutscher Beitrag „Das Lehrerzimmer“ leer ausging und sich auch Wim Wenders' japanischer Film „Perfect Days“ mit der Ehre der Nominierung zufriedengeben musste, ist schade – aber man freut sich, dass sich die knapp 10.000 Akademie-Mitglieder ein so unerbittliches Werk wie die radikale Abhandlung über den Auschwitz-Kommandanten Höß anschauten.
Und anhörten: Der Oscar für den besten Sound ging ebenfalls an „Zone“ – berechtigterweise, denn um das Leid der damaligen Opfer nicht durch eine fiktionale Bildebene zu verwässern, erzählt der Film das monströse Verbrechen über den Ton.
Propalästinensische Proteste
Zeitgleich zur Verleihung finden um das sorgfältig bewachte Dolby Theatre in Los Angeles Demonstrationen von propalästinensischen Gruppen statt, während ein paar der prominenten Gäste, zum Beispiel der als „supporting actor“ nominierte Mark Ruffalo, ihren Wunsch nach Waffenstillstand öffentlich mit einem roten Button am Revers kundtun.
![Die Schauspieler:innen Robert Downey, Da'Vine Joy Randolph, Emma Stone und Cillian Murphy auf einer Bühne. Die Schauspieler:innen Robert Downey, Da'Vine Joy Randolph, Emma Stone und Cillian Murphy auf einer Bühne.](https://taz.de/picture/6878884/14/34866371-2.jpeg)
Ruffalo verliert zwar gegen Robert Downey Jr., der für seine Nebenrolle in „Oppenheimer“ geehrt wird und sich zunächst für seine „schreckliche Kindheit“ und dann erst bei der Academy bedankt. Aber im weitesten Sinne passt der darauffolgende Siegeszug (sieben Oscars) des eindrücklichen Dramas von Christopher Nolan zu unserer Zeit: Auch „Oppenheimer“ ist schließlich ein hochpolitischer Film, und aus welchen Motiven und womit jemand kämpft, leider ein aktuelles Thema.
Cillian Murphy, dessen Titelrolle ihm ebenfalls die Trophäe einbrachte, widmete sie den „Peacemakers“ der Welt – in der Hoffnung, dass sie sich durchsetzen; sein Regisseur Christopher Nolan, der nach dem Regie-Oscar am Ende auch den für den Besten Film einheimste, ging als großer Gewinner in die Nacht.
Andere freuten sich verhalten: In seiner Dankesrede beim Dokumentarfilm-Oscar für „20 Tage in Mariupol“ hatte Regisseur Mstyslav Chernov etwas früher erklärt, dass er „den Film und den Oscar-Erfolg liebend gern eintauschen würde gegen eine Welt, in der Russland die Ukraine nie angegriffen hätte“.
Natürlich, denn man ist immer noch im Unterhaltungsbusiness, wimmelte der von Jimmy Kimmel gewohnt sicher und pointenreich präsentierte Awardregen trotzdem von rosafarbenen und glitzernden Showelementen: Sowohl Billie Eilish als auch Ryan Gosling performten ihre Barbie-Songs, Eilish und ihr Bruder durften den Preis für den besten „Original Song“ mitnehmen.
Der Wrestler John Cena wackelte als Fast-Flitzer (nur mit einer Moderationskarte bekleidet) über die Bühne, Arnold Schwarzenegger und Danny DeVito rissen Batman-Witze. Und Justine Triet, deren Drehbuch (und leider nicht auch Hauptdarstellerin Sandra Hüller) für „Anatomie eines Falls“ ausgezeichnet wurde, skizzierte in ihrer Dankesrede das Arbeiten als Familie während des Lockdowns: „There was no line between work and diapers“.
Schwieriges Jahr für die Kulturindustrie
Aber trotz auflockernder Sprüche und Ideen bildete sich das für die US-Kulturindustrie schwierige Jahr mit seinen Streiks, Streits und den Aussichten auf eine – je nach Ausgang der Präsidentschaftswahlen – problematische Zukunft deutlich ab. Und dass die Oscars unterm Strich doch wieder ziemlich „white“ blieben – auch die indigene Schauspielerin Lily Gladstone musste sich gegenüber Emma Stone als Beste Schauspielerin („Poor Things“) geschlagen geben –, ist vielleicht bezeichnend.
Ob als Reaktion auf unsere komplexe, unschöne und herausfordernde Realität der eskapistische Blockbuster weiterhin eine gute Wahl ist, oder, wie es Oscar-Gewinner Cord Jefferson („American Fiction“) in einem furiosen Einwurf anregte, man eher dazu übergehen sollte, mit dem Budget für ein einziges der Hollywoodspektakel lieber 20 kleinere Filme zu drehen, wird sich zeigen. Dringlich-politische Themen gibt es jedenfalls genug.
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