Ortstermin mit Ai Weiwei und Liao Yiwu: Chinesische Kommunikation
Ai Weiwei spricht in der Berliner Philharmonie mit dem Dichter Liao Yiwu. ZDF-Journalist Wolfgang Herles soll moderieren. Doch es kommt anders.
Wie lautet die Nummer eines Parkplatzes, der von einem darauf abgestellten Auto verdeckt ist, wenn die Nachbarparkplätze die Nummern 16, 06, 68, 88 und 98 haben? Popeleinfach. Eins fix drei hauen Grundschulkinder die Lösung raus. Grundschulkinder in China wohlgemerkt. Viele Erwachsene hierzulande zerbrechen sich vergeblich den Kopf darüber. Rätselhaft, wirklich rätselhaft.
Ai Weiwei ist Chinese, Künstler und seit vier Wochen in Deutschland. Liao Yiwu ist ebenfalls Chinese, Dichter und seit fünf Jahren hier. Beide sind berühmt, am Mittwochabend sprachen sie miteinander. Öffentlich, in der Berliner Philharmonie, im Vorfeld des Internationalen Literaturfestivals. Das Gespräch wurde simultan übersetzt, zwei Gebärdendolmetscherinnen sitzen mit auf der Bühne, der ZDF-Journalist Wolfgang Herles sollte moderieren. Großer Bahnhof.
Und dann tritt Festivalchef Ulrich Schreiber ans Mikro und sagt, Herles werde das Gespräch nicht führen, das machten Ai und Yiwu jetzt allein. Nach all den Differenzen mit deutschen Medien und den Angriffen, denen Ai Weiwei ausgesetzt ist, seit er hier ist, wollen sie das so. „Die Künstler wollen ein Gespräch unter Chinesen führen“, sagt Schreiber. Rätselhaft, wirklich rätselhaft.
Generation ohne Geschichte
Auf dem Weg in die Philhamonie, erzählt dann wenig später Ai Weiwei, habe er einen Baum mit kleinen Früchten gesehen. Dieser Baum erinnere ihn an den Ort, an dem er groß geworden sei. Er sagt: „Ich bin 58 Jahre lang aufgewachsen, mein Leben wird immer kleiner.“ „Sind wir eine Generation ohne Geschichte“, will Yiwu wissen. Ai: „Ich habe nicht genug Wissen über Geschichte.“
„Aber Ai, du hast selbst gesagt, dass wir ein Volk ohne Geschichte sind. Hast du das vergessen?“ Ai tippt in sein Handy, macht ein paar Fotos und antwortet: „Es ist wohl so, dass chinesische Sicherheitsbehörden einen Teil meines Gedächtnisses zensiert haben.“
Ai sei sein berühmtester Interviewpartner, sagt Yiwu: „Ich musste mir vorher Mut antrinken.“ Die beiden Künstler lassen nichts aus: Freiheit, Diktatur, Demokratie, Zensur, Angst. Chinesische Männer im Publikum filmen. Ai sagt Sätze wie: „Ich will nicht so verstanden werden, dass ich für das chinesische Regime spreche.“
Seine viel kritisierte Aussage, dass ein, zwei Verhaftungen heute keine große Sache seien, sei im historischen Kontext zu verstehen. In der Zeit der Kulturrevolution zwischen 1966 und 1976 sind Millionen Menschen verschwunden und ermordet worden. Das sind Sätze, die das deutsche Publikum hören will, für die es Applaus spendet. Sätze, die es versteht.
Rätselhafte Dialoge
Aber dann gibt es da noch blumige asiatische Sprachbilder, rätselhafte Dialoge mit rätselhaftem Subtext. Ai sei ein Held, sagt Yiwu. Einer, von dem es jede Menge Bilder ohne Hosen gebe. „Es gibt keinen Helden, der mit angezogener Hose geboren wurde“, weiß Ai. Einmal sagt Yiwu: „Ich habe dich nicht verstanden.“ Ai: „Ich glaube, du hast zu viel Alkohol getrunken.“ China-Kenner werden später sagen, das sei chinesische Kommunikation, normal in dem fernen Land. Und rätselhaft für deutsche Ohren.
Und die Lösung des Rätsels? Lautet 87. Dreht man das Papier auf den Kopf, erkennt man die tatsächlichen Zahlen: 86, 88, 89, 90, 91. Das Auto parkt dazwischen, auf Nummer 87.
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