Orbáns Wahlerfolg in Ungarn: Stärkung für die Visegrád-Staaten
Auf die EU kommen neue Probleme zu: etwa bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik, die wegen des Widerstands aus Osteuropa kaum vorankommt.
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ging darauf mit keinem Wort ein. Stattdessen gratulierte sein Sprecher dem Fidesz-Chef zum „klaren Sieg“. Juncker werde am Dienstag mit ihm telefonieren, „um Fragen gemeinsamen Interesses zu diskutieren“. Die EU-Kommission freue sich angesichts „vieler gemeinsamer Herausforderungen“ auf die Zusammenarbeit mit der neuen ungarischen Regierung.
Erst auf Nachfragen von Journalisten schob Junckers Sprecher eine Mahnung nach. Die EU sei eine „Union der Demokratie und der Werte“, das müsse auch Ungarn achten. Der Juncker-Sprecher antwortete damit auf eine Frage nach Orbáns Kampagne gegen den US-Investor George Soros im Wahlkampf. Orbán hatte auch die EU immer wieder attackiert. Darüber ging die Kommission jedoch hinweg.
Auch im Europaparlament fielen die Reaktionen freundlich aus – jedenfalls bei der Europäischen Volkspartei (EVP), die die größte Fraktion stellt und Juncker stützt. Der deutsche Fraktionschef Manfred Weber (CSU) gratulierte Orbán und seiner Fidesz-Partei per Twitter zum „klaren Sieg“. Er freue sich, „an gemeinsamen Lösungen für unsere europäischen Herausforderungen“ zu arbeiten.
Diese Stellungnahme, die ganz auf der offiziellen EU-Linie liegt, löste wütende Reaktionen bei Grünen und Liberalen im Parlament aus. Weber und seine Parteifreunde sollten sich schämen, dass sie „Parteiinteressen über die Grundwerte“ stellen, kritisierten die Grünen Co-Präsidenten Philippe Lamberts und Ska Keller. Die EVP müsse ihre Fraktionsgemeinschaft mit Fidesz kündigen. Auch Liberalen-Chef Guy Verhofstadt griff Weber an: Mit seinem Glückwunsch legitimiere er Orbáns „bösartigen Wahlkampf“ und dessen Angriffe auf den Rechtsstaat.
Visegrád-Staaten blockieren
Ähnlich fiel die Kritik von Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn aus. Die Mitgliedsstaaten müssten sich „schnell und unmissverständlich auf der Basis des europäischen Vertragswerks“ einbringen, „um diesen Wertetumor zu neutralisieren“, sagte Asselborn der Zeitung Die Welt.
Doch die Chancen stehen schlecht. Denn was Asselborn als „Wertetumor“ bezeichnet, hat sich längst ausgebreitet – vor allem in den Visegrád-Staaten Polen, Tschechien und der Slowakei. Sie arbeiten in der Asyl- und Flüchtlingspolitik eng mit Ungarn zusammen und blockieren alle Initiativen aus Brüssel für solidarische Lösungen.
Orbáns Wahlerfolg könnte die Visegrád-Staaten nun noch enger zusammenschmieden. Er bestätige die Emanzipation Osteuropas in EU, sagte der polnische Vizeaußenminister Konrad Szymanski, der auch EU-Botschafter seines Landes ist. Tschechiens geschäftsführender Regierungschef Andrej Babis gratulierte sogar auf Ungarisch. Er freue sich auf die weitere Zusammenarbeit in der Visegrád-Gruppe.
Auf die 28 EU-Staaten kommen damit neue Probleme zu. Denn sie arbeiten an einer Reform der gemeinsamen Asyl- und Flüchtlingspolitik, doch geht es wegen des Widerstands der Visegrád-Länder kaum voran. Dass Orbán seine Wahl ausgerechnet mit einer Kampagne gegen die angebliche „Masseneinwanderung“ gewonnen hat, macht die Sache nicht besser.
Vielleicht erklärt dies auch die sanften Reaktionen aus Brüssel. Mancher hofft, Orbán mit einer Umarmungstaktik leichter auf Kurs bringen zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren