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Opposition in AserbaidschanHungern als letztes Mittel

Der inhaftierte Regierungskritiker Saleh Rustamow ist laut Ärzten bereits in kritischem Zustand. Eine Soli-Aktion für ihn wird gewaltsam aufgelöst.

Die Polizei ging am 1. Dezember mit äußerster Brutalität gegen die Demonstrierenden vor Foto: Screenshot Turan News Agency/video report from the protest

Berlin taz | Glaubt man seinen Unterstützer*innen, dann ist das Leben von Saleh Rustamow akut bedroht. Seit dem 6. November befindet sich der inhaftierte aserbaidschanische Oppositionelle im Hungerstreik. Er habe 15 Kilo Gewicht verloren und könne kaum noch stehen und sprechen. Zudem sei er medizinisch nicht gründlich untersucht worden, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, mit der sich 58 Ver­tre­te­r*in­nen der aserbaidschanischen Zivilgesellschaft an die internationale Öffentlichkeit wenden.

Auch Rustamows Anwalt Bahruz Bayramo, der seinen Mandanten am Donnerstag dieser Woche im Gefängniskrankenhaus besuchte, schlägt Alarm. Der Gesundheitszustand von Rustamow sei extrem kritisch und verschlechtere sich täglich, zitiert das unabhängige aserbaidschanische Nachrichtenportal turan.az den Juristen.

Laut Aussagen der Ärzte seien bereits Gehirnzellen abgestorben und nicht wieder her zustellen. Er, Bayramo, habe Rustamow darüber in Kenntnis gesetzt, doch dieser weigere sich, seinen Streik abzubrechen. Offensichtlich sieht Rustamow keine andere Möglichkeit mehr, um auf seine Situation aufmerksam zu machen – auch wenn ihn das sein Leben kosten sollte.

Rustamow, der Anfang der 1990er Jahre am ersten Krieg um Bergkarabach teilgenommen hatte, gehörte nicht immer zur Opposition. 1992-1993 war er unter dem damaligen Präsidenten Abulfaz Elchibey und dessen regierender Partei Volksfront Aserbaidschans (PFPA) Verwaltungschef der Region Gedebek.

Geld für die Opposition

1997 ging er nach Russland, ließ sich dort als Geschäftsmann nieder und erhielt die russische Staatsbürgerschaft. In der Folgezeit schickte er mehrmals Geld nach Aserbaidschan, um in Schwierigkeiten geratene und verfolgte Mitglieder der PFPA (seit 1993 in der Opposition) zu unterstützen.

Bei einem Besuch Aserbaidschans im Mai 2018 aus Anlass einer Beerdigung wurde Rustamow festgenommen. Neun Monate später wurde er unter anderem wegen Drogenschmuggels und illegaler geschäftlicher Aktivitäten zu sieben Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Be­ob­ach­te­r*in­nen sprachen von einem politisch motivierten Verfahren.

Anfang November 2021 verabschiedete das aserbaidschanische Parlament ein Gesetz, wonach Teilnehmer des ersten und zweiten Krieges um Bergkarabach in den Genuss einer Amnestie kommen sollten. Rustamows Name fehlte auf der Liste. Eine Forderung mehrerer einheimischer Nichtregierungsorganisationen an die Adresse von Staatspräsident Ilham Alijew, Rustamow auf freien Fuß zu setzen, verhallte ungehört.

Am 2. Dezember wandte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) an die aserbaidschanische Führung, mit der Aufforderung über Rustamows Gesundheitszustand, seine Haftbedingungen sowie die ihn behandelnden Personen Bericht zu erstatten.

Äußerste Brutalität

Tags zuvor hatten dutzende Un­ter­stüt­ze­r*in­nen im Zentrum von Baku eine friedliche Solidaritätskundgebung für Rustamow abgehalten. Die Polizei ging mit äußerster Brutalität gegen die Demonstrierenden vor. Mehr als 40 Teil­neh­me­r*in­nen wurden festgenommen und zusammengeschlagen. Fünf der Festgenommenen wurden zu 15 bis 30 Tagen Administrativstrafe verurteilt. Darunter ist ein junger Aktivist, der nicht an der Kundgebung teilgenommen, sondern anderthalb Stunden nach deren gewaltsamer Auflösung einen Spaziergang in Baku gemacht hatte.

Auch Fälle von Folter sind aktenkundig. So wurde Tofig Yagublu, einer der Vorsitzenden der PFPA und bereits mehrfach wegen seiner regierungskritischen Positionen bestraft, auf einer Polizeiwache und in einem Polizeifahrzeug schwer misshandelt. Danach sei er an den Stadtrand von Baku gefahren und dort zu nächtlicher Stunde auf der Straße mit schweren Gesichtsverletzungen hilflos zurück gelassen worden, berichtet das Nachrichtenportal JAM.news. Einem anderen Oppositionellen habe die Polizei einen Arm gebrochen.

Es sei genau diese Rechtlosigkeit und das brutale Vorgehen gegen Andersdenkende, die die Ver­trete­r*in­nen der Zivilgesellschaft zu ihrer Unterschrift motiviert hätten, heißt es in der Erklärung. Alle fortschrittlichen Institutionen, Länder und Individuen dürften nichts unversucht lassen, um die Regierung Aserbaidschans an ihre Verpflichtung zur Wahrung fundamentaler Menschenrechte zu erinnern. Dieser Appell ist nötiger denn je: Derzeit sitzen in Aserbaidschan 122 politische Gefangene ein.

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