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Opfer & Täterinnen

Schon beim ersten Historikerinnentreff in Berlin 1978 sorgte das Thema für heftige Kontroversen. Zwei Jahre zuvor hatte Annemarie Tröger mit der „Dolchstoßlegende der Linken“ abgerechnet, dass Frauen durch Führerkult und Wahlverhalten den Aufstieg der Nazis erst ermöglicht hätten. Seither durchzieht die Debatte die weibliche Geschichtsschreibung wie ein roter Faden. Allein, die Bewertung der Rolle von Frauen im NS-Staat hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren deutlich verschoben.

Bis Mitte der Achtzigerjahre nahmen Forscherinnen die Frauen unterm Hakenkreuz überwiegend als Unterdrückte wahr. Der Nationalsozialismus galt als extreme Form des Patriarchats. Im Mittelpunkt der Arbeiten standen nicht die Frauen selbst, sondern die NS-Frauenideologie. Die „sexistische“ Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik der Nazis schien ein geeignetes Untersuchungsobjekt, um historische Ursachen für die anhaltende Diskriminierung von Frauen zu veranschaulichen und Handlungsanleitungen für die bundesrepublikanische Gegenwart zu ermitteln.

Ab Mitte der Achtzigerjahre kam Kritik an der einseitigen Darstellung der Frauen als weitgehend Machtlose auf. In ihrem Essay „Gnade der weiblichen Geburt“ warf Karin Windaus-Walser Teilen der Frauenforschung vor, identifikatorische Geschichtsschreibung zu betreiben. Durch die undifferenzierte Darstellung von Frauen als Erniedrigte des NS-Systems werde die weibliche Verantwortung verleugnet. Handlungen und Interessenlagen von Frauen rückten nun in den Mittelpunkt. Das NS-System, so die Bilanz der Konferenz „Frauen und Macht“ 1983 an der TU Berlin, hätte ohne die Unterstützung von Frauen nicht existieren können.

Christina Thürmer-Rohr entwickelte das Konzept von der Mittäterschaft der Frauen an von Männern initiierten Zerstörungsprozessen. Doch letztlich blieb es in dem alten Denkmuster verhaftet, dass Frauen als Unterdrückte sich der von Männern ersonnenen NS-Ideologie anpassten. Statt passiver erschienen die Frauen nun als sich selbst betrügende aktive Opfer.

Angelika Ebbinghaus gehörte 1987 zu den Ersten, die sich bewusst mit Frauen als Täterinnen auseinandersetzten. Doch auch ihre Interpretation war umstritten: Sie unterstellte, dass Opfer und Täter immer eindeutig zu unterscheiden sind. In den Neunzigerjahren erscheinen Geschlechterkategorien zunehmend ungeeignet, die Situation von Frauen im Nationalsozialismus zu beschreiben. NM

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