Onlinewahlkampf der SPD: Bett-Selfies und Faltspiele

Innovativ, klassisch oder peinlich? Wir analysieren, wie sich die Parteien während des Europawahlkampfs im Netz schlagen. Dieses Mal: die SPD.

„Komm, wir machen auch so einen Selfie“: Martin Schulz mit dem polnischen Politiker Leszek Miller am 1. Mai in Warschau. Bild: ap

Dass der Europawahlkampf läuft, ist nicht zu übersehen. Immerhin. Ansonsten nämlich ist die Homepage der SPD ein anstrengendes Durcheinander. Animierte Banner über der muffigen Hauptspalte, daneben farbenfrohe Navigationselemente, überdimensionierte Piktogramme und irgendwo dazwischen ein poplig-kleiner Terminkasten – Übersichtlichkeit geht anders, liebe SPD.

Aber egal, Europawahl also: Gleich beim Aufruf begrüßt Spitzenkandidat Martin Schulz die Besucher mit breitem Lächeln. Was für ihn spricht und welche Pläne die Sozialdemokraten für Europa haben? Wird auf der Startseite verschwiegen. Stattdessen gibt es in der rechten Spalte eigens eine Navigation, über die man zum Wahlprogramm, zur Kandidatenliste oder etwa zum Briefwahlantrag gelangt. Sieht auf den ersten Blick ganz einladend aus, so bunt und hübsch.

Klickt man sich aber durch die einzelnen Untermenüs und Artikel: sozialdemokratische Nüchternheit, wo man hinsieht. Langweilige Schrift, lieblos eingebettetes Bildmaterial, viel Grau. Man sagt es nicht gern, aber dagegen wirkt sogar der Onlineauftritt der Union frischer.

Unter „Mein Bereich“ fühlt man sich zumindest etwas persönlich angesprochen. Beiträge zu bestimmten Themen abonnieren, an Diskussionen mit anderen Besuchern teilnehmen, all das ist möglich mit dem SPD-Benutzerkonto. Parteimitglieder können sogar bloggen. Besonderheiten zum Wahlkampf findet man allerdings keine. Das Europawahl-Faltspiel für 14 Cent im SPD-Shop ist da schon das Höchste der Gefühle.

Die Sozialdemokraten wollen Europa neu denken. Mag ja sein, aber dann sollen sie doch bitte gleich auf ihrer Homepage damit anfangen. Für den Anfang würde sich zumindest ein direkter Link zur SPD-Fraktion im Europäischen Parlament auf der Startseite gut machen. Deren offizieller Webauftritt watscht den der Bundespartei regelrecht ab. Strukturierter, schicker – man könnte fast meinen, da hätte sich ein Webdesigner wirklich Gedanken gemacht. Sogar einen eingebetteten Twitter-Feed haben die. Was es nicht alles gibt.

Sie ist überall, die SPD. Facebook und Twitter, eh klar. Bei Soundcloud gibt’s zusätzlich Wahlkampfreden zum Nachhören und Stellungnahmen von Martin Schulz zu TTIP. Warum Marco Kreuzpaintner oder Klaas Heufer-Umlauf den Sozialdemokraten ihre Stimme geben, erzählen sie der SPD auf YouTube. Und wer sich durch über 5.000 Fotos mit Hang zur Repetition wühlen will, besuche die Partei bei Flickr. Doch egal wo, für alle Plattformen gilt: Nichts wirklich Überraschendes dort.

Kommentare auf Facebook lässt die SPD größtenteils unkommentiert. Ist momentan vielleicht auch besser so, wegen TTIP hagelt es nämlich mächtig Kritik.

Ein Plus bekommt nochmal die SPD-Fraktion im EU-Parlament. Die antwortet auf Facebook-Kommentare teilweise sogar sehr ausführlich. Da hat jemand das „sozial“ in Social Media verstanden.

Martin Schulz kann Twitter! Seine Mitarbeiter posten, retweeten und pinnen, was das Zeug hält. Sogar er selbst setzt sich manchmal an die Tasten und setzt in dem Fall seinen Namen darunter. Auch anderen Usern folgt er emsig. Es hat seinen Grund, warum Schulz über 70.000 Follower Vorsprung auf Jean-Claude Juncker hat, seinen wichtigsten Konkurrenten um das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Dabei inszeniert er sich betont als Supereuropäer: multilingual, händeschüttelnd und trotzdem bürgernah. Logo.

Die Homepage des Spitzenkandidaten ist professionell. Auch sein Wahlspot kommt knitterfrei daher. Lichtdurchflutete Räume, weit, hypermodern. Mal im Glasaufzug, mal im verglasten Treppenhaus legt Schulz mit seiner Robert De Niro-Stimme dar, wie er sich sein Europa vorstellt. Genau, offen und transparent nämlich.

Solide Netzarbeit ist das. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Es gibt sie, die SPD-Kandidaten, die ab und an einen originellen Tweet raushauen. Fabienne Vesper zum Beispiel. Ein Foto ihres Wahlkampfbusses postet sie mit den Worten „Wir nennen es den Trans* Europe Express“ (und spielt wohl auf das gleichnamige Kraftwerk-Album an). Humor und popkulturelle Referenz in einem Tweet: sehr schön.

Die Gesamtpartei hatte mit dem #May1Selfie zumindest eine halbwegs originelle Idee auf Twitter. Schnappschüsse von Konstanz bis Kiel, wobei vor allem Abgeordnete teilgenommen haben.

Ganz nett: Die App der SPD-Delegation in Brüssel, in der sie all ihre Forderungen alphabetisch aufgelistet hat. Inklusive einem Länder- und Städte-Ratespiel. Quizduell für Politologen oder so.

Klar, das Phänomen „ältere Menschen und Internet“ findet sich auch in den Reihen der SPD. Hannelore Kraft und ihr #May1Selfie sind so ein Beispiel. Nicht viel cooler: Brigitte Zypries twittert aus dem Bett.

In die Kategorie Fremdschämen fällt auch die Martin Schulz Tour 2014. Der Buchhändler aus Würselen kündigt seine Wahlkampfveranstaltungen an, als wären es Rock-Konzerte. Ein working class hero on the road? Die passenden Tour-Shirts gibt es auch: vorne das Schulz'sche Konterfei, hinten die Tour-Termine. Bemüht jugendlich.

Aber sind wir mal ehrlich: So richtig peinlich wird’s bei der SPD nicht. Wie auch, sie traut sich ja kaum was.

Es ist ja nicht so, als würden sie sich keine Mühe geben: Die SPD ist in der Digitalmoderne angekommen, keine Frage. Den Europawahlkampf tragen die Sozialdemokraten fleißig auf allen Kanälen aus, wirklich falsch machen sie dabei nichts. Dass man mit dem Internet aber auch freier umgehen kann, am Ende sogar kreativ? Den Schuss hat die SPD noch nicht gehört

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