Online-Portal Abgeordnetenwatch.de: Nur stubenreine Kandidaten
Das Frage-Antwort-Portal Abgeordnetenwatch.de hilft, die Ideen der Mandatsbewerber*innen kennenzulernen. Aber widerliche Antworten bringt es zum Verschwinden.
Es ist ein moderierter Austausch zwischen Wahlvolk und Kandidierenden: Zwar bekommen diese sämtliche Fragen, aber freigeschaltet werden nur diejenigen Mails, die der Netiquette entsprechen. Und auch die Antworten von Kandidat*innen und Abgeordneten, die rumpöbeln, fallen unter den Tisch.
„Wir sind ein privates Portal“, so Lüdtke. Rassistische Hetze etwa „wollen wir nicht verbreiten“. Das habe man so entschieden. Auch auf die Veröffentlichung von faktenfernen Antworten verzichte man. „Es kann auch vorkommen, dass einzelne Politiker dann null Antworten gegeben haben.“
Denn tatsächlich verschwinden die entsprechenden Aussagen spurlos – als hätte es sie nie gegeben: Es werde auch nicht über die Entgleisungen der Volksvertreter*innen informiert, weil dann ja „gleich die Nachfrage käme, was denn Ursache für die Löschung des Kommentars gewesen“ sei, sagt Lüdtke.
Damit wirken selbst die übelsten Hetzer, die es in die Parlamente zieht, stubenrein wie aufrechte Demokrat*innen. Die Zahl der eliminierten Beiträge ist überraschend groß: Rund ein Drittel des gesamten Frage-und-Antwort-Verkehrs bleibt unveröffentlicht. Und während bei den Fragen Spam-Attacken, Massenmails, Doubletten und Bot-Mails aus formalen Gründen aussortiert werden, kommen als nicht-inhaltliche Mängel bei den Kandidierenden nur noch Autoreply und Irrläufer in Frage.
Christina Lüdtke, Sprecherin des gemeinnützigen Trägervereins Parlamentswatch
Zudem kontaktiert das Moderationsteam laut Lüdtke die jeweiligen UrheberInnen und versucht, sie zu Formulierungen zu bewegen, die dem Verhaltenscodex entsprechen. Trotzdem liegt die Quote der nicht veröffentlichungsreifen Antworten „zwischen fünf und zehn Prozent“.
Das 2004 in Hamburg gegründete Portal begleitet bereits zum vierten Mal eine Bremen-Wahl. Erstmals ist es für die Kandidierenden kostenlos: Zwar hatte es für jeden Listenplatz stets eine Gratis-Grundpräsenz gegeben, wer aber durch ein besonders schickes Foto oder ausführlichere Infos auffallen wollte, musste dafür bislang 150 Euro zahlen. Seit 2017 sei es dem Verein aber möglich, seinen Service komplett durch Spenden zu finanzieren.
Beim ersten Bremer Auftritt war Abgeordnetenwatch noch umstritten gewesen. Jens Böhrnsen, damals Bürgermeister, hatte dem Portal und seinen Machern um Gregor Hackmack eine scharfe Absage erteilt, weil die auch die rechtsextreme NPD listeten. Die übrige SPD war seinem Beispiel gefolgt.
Heute ist die Akzeptanz größer: Bürgerschaftspräsidentin Antje Grotheer (SPD) hat die Schirmherrschaft fürs Projekt übernommen, und lobt den „direkten Kontakt“, den es „zwischen Wähler*innen und Politiker*innen“ herstelle.
Begrüßt hat das Portal auch der Verein Mehr Demokratie, der dafür wirbt, möglichst viele Personen- statt Listenstimmen abzugeben. Dafür biete „Abgeordnetenwatch eine sinnvolle Orientierung“, sagte Katrin Tober, die Vertrauensperson des gescheiterten Volksbegehrens „Mehr Demokratie beim Wählen“ war, das die Korrektur des Wahlrechts durchs Parlament hätte kassieren sollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden