Olympia macht's nötig: Hamburg führt die Volksbefragung ein
Eine Verfassungsänderung macht den Weg frei für ein "Olympia-Referendum" im kommenden Herbst. Kritiker fürchten eine Aushebelung von Volksentscheiden.
HAMBURG taz | Die Hamburgische Bürgerschaft hat einen wichtigen Schritt hin zu einem „Olympia-Referendum“ getan. Die Parlamentarier beschlossen am Donnerstagabend mit den Stimmen von SPD, Grünen, CDU und AfD in erster Lesung eine Verfassungsänderung, um Hamburgs Bürgern eine Abstimmung über Olympische Spiele 2024 in der Hansestadt zu ermöglichen.
In zweiter Lesung und damit endgültig entscheiden will das Parlament am 28. Mai. Das Referendum soll im November abgehalten werden. Kritik kam unter anderem von den Linken, der FDP und vom Verein Mehr Demokratie. Sie sehen durch ein „Referendum von oben“ die „Volksgesetzgebung von unten“ ausgehebelt.
Der Antrag sieht vor, dass Senat und eine Zweidrittelmehrheit der Bürgerschaft Gesetzentwürfe oder Fragen von grundsätzlicher Bedeutung direkt dem Volk zur Entscheidung vorlegen können. Für die Annahme gelten dieselben Hürden wie bei Volksentscheiden: Erforderlich ist die Zustimmung der Mehrheit der Abstimmenden und mindestens eines Fünftels der Wahlberechtigten.
Der Verein Mehr Demokratie kritisiert diese Verfassungsänderung als „Putsch von oben“. Laufende Volksinitiativen könnten jederzeit durch eine „Volksabstimmung von oben“ ausgehebelt werden, warnt der Verein. „Das soll und wird unliebsame Volksinitiativen ersticken.“ Der Rückkauf der Energienetze, die Schulinitiative oder die Änderung des Wahlrechts wären damit nicht zustande gekommen, ist der Verein überzeugt.
Auch die Initiative NOlympia kritisiert das Vorgehen der Stadt. Die wahren Kosten und Risiken Olympischer Spiele 2024 wären bei einem Referendum im Herbst noch gar bekannt, die Bürger wüssten also nicht, worüber sie abstimmten. Zudem müsste eine Korrektur durch eine zweite Abstimmung möglich sein, wenn Jahre später die Fakten auf dem Tisch lägen.
FDP und Linke in der Bürgerschaft wollen ebenfalls ein verbindliches Referendum, setzen aber auf eine „Lex Olympia“. Auch dafür müsste zwar die Verfassung geändert werden, doch wäre das Gesetz dann allein für die Olympia-Abstimmung gültig und könnte für andere Themen nicht angewandt werden. Die Anträge beider Fraktionen wurden jedoch mehrheitlich abgelehnt.
SPD, Grüne und CDU verteidigten ihr Vorgehen. „Die hohen Hürden, wie die erforderliche Zweidrittelmehrheit, zeigen deutlich, dass hier verantwortungsvoll von dem neuen Instrument Gebrauch gemacht werden wird“, erklärte der SPD-Verfassungsexperte Olaf Steinbiß.
Die Anwendung sei auf Vorhaben von grundsätzlicher und gesamtstädtischer Bedeutung beschränkt. „Ein solcher Anwendungsfall ist die Olympia-Bewerbung, an deren Größenordnung und Bedeutung sich auch zukünftige Vorschläge für Referenden messen lassen müssen“, sagte Steinbiß. SVEN-MICHAEL VEIT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten