Olivenernte auf Kreta: Rütteln, prasseln und pressen
Unsere Autorin hat auf Kreta bei der Olivenernte mitgeholfen, Rüttelmaschinen bedient und den größten Feind der Olivenbauern kennen gelernt.
Die Sonne liegt über den Gipfeln der Weißen Berge, die hier auf Kreta Lefka Ori heißen. Schafe und Ziegen weiden auf den bräunlichen Steinhängen, suchen unter Zypressen und Feigenbäumen nach Grün und Schatten. Der Blick reicht bis zur Souda-Bucht, dem tiefsten natürlichen Hafen der Welt und Stützpunkt der U.S. Army seit 1951. Es ist Anfang November und noch immer sind die Temperaturen sehr hoch. Über 40 Grad waren es im August, sagt der Betreiber des Kaffeehauses im Bergdorf Vamos und deutet mit seiner rissigen Hand über die trockene kretische Erde.
„Dakos hat sich verbreitet“, raunt er mit tiefer Stimme und nickt mit seinen großen Augen, um das Böse zu bekräftigen. Ich verstehe nichts.
„Für Dakos ist der Klimawandel das Paradies“, klärt mich später Hansgeorg Hermann auf. Dakos, das ist eine Olivenfruchtfliege, ein Schädling und somit Feind aller Olivenbauern. Hermann zeigt auf die Plantage, die vor uns liegt. „So ein Wetter, das wir jetzt haben, wenn es morgens immer feucht ist, sehr viel Tau fällt, sehr feuchte Luft und feuchte Äcker – so eine Situation braucht dieser Schädling, um zu existieren.“
Hermann, den hier alle nur Georgios nennen, hat es vor Jahrzehnten aus Paris nach Vamos verschlagen. Der 75-Jährige hat schulterlange weiße Haare und einen ebenso weißen Bart. Mit zurückhaltender Geste gibt er zu verstehen, dass wir weitergehen sollen, über die Haine, auf der rund sechs Dutzend Olivenbäume stehen. Bevor sich Dakos so weit ausbreitet, dass kein Tropfen Öl mehr in den Oliven ist, wurde die Ernte verschoben, von Mitte Dezember auf Anfang November. Für die nächsten zwei Tage werde ich als ehrenamtliche Erntehelferin mit dabei sein.
30 Millionen Olivenbäume auf Kreta
Mehr als 30 Millionen Olivenbäume wachsen auf Kreta. Sie sind die zweitgrößte Einnahmequelle nach dem Tourismus. Während Hotelburgen die Nordostküste prägen, konzentriert sich die Ölproduktion auf die Hänge der westlichen Berge, in denen sich einst der Widerstand gegen die Nazis formierte, als diese Kreta von 1941 bis 1944 besetzt hielten. Aus den Oliven werden jährlich 180.000 Tonnen jenes Öls gepresst, für das die Insel so berühmt ist: leicht bekömmlich, mit einem nicht zu kräftigen Olivengeschmack.
Für die Griechen gehört das Öl zum Alltag. 120 Liter verbraucht eine vierköpfige Familie im Jahr: für Salate, alle Topf- und Backofengerichte. „In Zeiten, in denen es noch keine Elektrizität gab, haben die Menschen auf Kreta mit Olivenöl Licht gemacht“, erzählt Hansgeorg Hermann.
Seit über zehn Jahren leitet er das Projekt Synergasia (Zusammenarbeit), das kretischen Olivenbauern eine Direktvermarktung ihres Öls in Frankreich und Deutschland ermöglicht. Die Idee, Olivenbauern zu unterstützen, entwickelte Hermann in der letzten Finanzkrise, in der 60 Prozent der Griechen zwischen 18 und 30 Jahren ihre Arbeit verloren. Weil Studium und Wohnung unbezahlbar wurden, kehrten Hunderttausende junge Leute zurück aufs Land, zogen wieder bei ihren Familien ein, verkauften ihre Motorräder und Autos. Auch im Dörfchen Vamos, in dem nur noch Rentner lebten.
Die Vorgaben der Troika aus IWF, EZB und EU ließen in Griechenland das Sozialsystem zusammenbrechen. Krankenhäuser wurden geschlossen, Lehrer entlassen, Renten um die Hälfte gekürzt. „Da dachte ich: Vielleicht können wir mit dem wichtigsten landwirtschaftlichen Produkt in Griechenland etwas zustande bringen, was den jungen Leuten wieder eine Perspektive gibt“, sagt Hermann.
Synergasia ist eine Erzeugergemeinschaft. Junge Leute arbeiten auf Olivenäckern, die größeren Bauern oder Pächtern gehören, für einen fixen Tageslohn von 50 Euro. Dieser Lohn wird aufgestockt mit den Einnahmen aus dem Direktverkauf des Öls. Dafür ist Hermann zuständig. Er organisiert den Transport, gewinnt Käufer. Seit den 90er Jahren lebt der Jurist teils auf der Insel, teils in Paris. Für das solidarische Projekt arbeitet er ehrenamtlich. Mittlerweile hilft Synergasia um die 100 Familien in der Region dabei, über die Runden zu kommen.
Das Wetter am frühen Morgen ist perfekt für die Ernte: kein Regen, der die Oliven zum Platzen bringen könnte, keine überbordende Hitze. Auch mein Equipment ist überschaubar: eine Plastikplane, der Olivenrüttler und jede Menge Jutesäcke.
In den Händen halte ich den Olivenrüttler, eine lange Stange mit zwei kleinen Propellern an der Spitze, die an Igel-Massagebälle erinnern. Einen Knopfdruck später peitscht der Kompressor Luft in die Rotorblätter. Ich halte das drehende Ungetüm in die Äste, schon fliegen mir Oliven entgegen, prasseln auf die Plane am Boden. Das Geräusch ist zunächst lustig, dann ohrenbetäubend. Gerüttelt wird vor allem mein Arm. Ich versuche, ihn mit der Hand zu stützen. Keine Chance. Alles wird durchgerüttelt: Arme, Nacken, Kiefer. Es summt und dröhnt.
Ich blicke unsicher zu dem Mann, der ein paar Bäume weiter einen Rüttler in den Händen hält, Dmitri. Am Vorabend hatte er in seinem roten Fiat beim Kaffeehaus vorbeigeschaut. „Trau hier niemandem“, scherzte er durchs heruntergekurbelte Fenster. „Glaube mir: Kreta ist ein eigenes Land.“ Dmitri ist Mitte fünfzig, er hilft bei der Olivenernte, weil er von dem Geld, das er als Bauhelfer verdient, die Therapiestunden für seinen autistischen Sohn nicht zahlen kann. Da stehen wir also, er und ich, und rütteln unsere Geschichten zusammen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Insgesamt sieben Helfer sind an den Bäumen zugange. Mehr wären besser, doch durch die frühe Ernte waren alle weiteren Helfer vergeben. Sobald die Planen voll sind, heben wir die Ecken an und lassen die Oliven in die Mitte rollen, schöpfen sie von dort in die Jutesäcke. Nach fünf Stunden bin ich ziemlich erschöpft, ein leichter Schmerz kriecht gleichzeitig über die Schulter in den Unterarm und den unteren Rücken. Und ja, jetzt kann ich es auch sehen: Dakos hat schon seine Spuren hinterlassen. Die Oliven sind ungewöhnlich klein, und sie haben bräunliche Flecken. Sechs Wochen später hätte die Fliege die Frucht wohl zersetzt.
„Der Qualität macht das noch nichts“, erklärt Nikitas Melissakis mit Blick auf die kleinen Oliven. In der dritten Generation presst der Ölmüller die Ernte der lokalen Bauern im Nachbardorf Tsivaras, gemeinsam mit seinem Cousin Pavlos. In wenigen Minuten verschwinden acht Säcke mühselig gerüttelter Oliven in einem großen Trichter und werden über das Ladeband abtransportiert: zuerst in das Gebläse, das die Blätter und kleinen Zweige abfängt, dann in die Waschanlage und letztlich durch den Häcksler in die Pressung.
Fünf Liter kosten 80 Euro
Die Maische, der Olivenbrei, fließt in den Trog, auf dem der jeweilige Name des Bauern steht. Dort wird Wasser zugegeben, und weil Öl und Wasser verschiedene Gewichte haben, kann das Wasser mit einer Zentrifuge rausgeschleudert werden – das Öl tropft langsam herab in einen großen Kanister. Nikitas Melissakis beobachtet die Maschinen genau.
Mit einem Kribbeln in der Schulter geht es zurück zur Plantage: aufräumen, harken, Werkzeuge zurück in den Verleih bringen, Pick-up putzen, Jutesäcke flicken. Hermann reicht Gläser mit Raki, erst mir, dann den Genossen.
Ein Fünf-Liter-Kanister Olivenöl kostet rund 80 Euro. Aufgrund der miserablen Ernte in Europa – Waldbrände in Spanien, Virus in Italien, Überflutungen in Griechenland – ist der Preis im Herbst immens gestiegen. Wie vieles andere, die Strompreise, Transport- und Benzinkosten.
„Wie wir damit umgehen, müssen wir auf der nächsten Versammlung besprechen“, sagt Nikita Melissakis, der als Vertreter der Kommunistischen Partei bekannt ist für sehr lange Reden, und prostet uns zu. Georgios lacht. „Alle Leute stöhnen, wenn Nikitas sich zu Wort meldet und erst einmal den Kapitalismus erklärt.“ Er schenkt Raki nach. „Olivenöl ist Luxus.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels