Olaf Scholz reist nach Indien: Annäherungstanz des Kanzlers
Olaf Scholz schmeichelt Indien beim Staatsbesuch. Im Fokus: Freihandelsabkommen, Fachkräftezuwanderung und ein mögliches U-Boot-Geschäft.
Für Scholz war es der erste Besuch als Kanzler, 2012 hatte er das Land als Bürgermeister von Hamburg bereist. Scholz habe damals schon das Potenzial Indiens erkannt, so Modi bei einem gemeinsamen Presseauftritt. Auf Twitter sprach er von „produktiven Gesprächen“. Scholz betonte, er wolle sich nun persönlich einsetzen, damit das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien nicht mehr so lange dauern werde.
Der Hintergrund: Die Verhandlungen zwischen der EU und Indien, von dem Deutschland als Exporteur von Maschinen und Autos profitieren könnte, sind ziemlich langwierig und zäh. Nun bekräftigte Scholz: Beide Länder seien eng verbunden. Auch „weil wir ähnliche Vorstellungen haben, ganz besonders, was die Demokratie betrifft“, sagte Scholz, was kaum hinterfragt wurde. Dabei schränkt Indien verstärkt die Pressefreiheit ein.
Mehr Investitionen in Indien erwünscht
Auch beim Thema Krieg in der Ukraine sind die beiden Länder nicht ganz auf einer Wellenlänge. Das „blockfreie“ Indien enthielt sich auch bei der vergangenen UN-Resolution, in der die Forderung von Russlands Abzug aus der Ukraine eine überwiegende Mehrheit fand. Zudem trägt Indien die Sanktionen nicht mit. Im Energie- und Rüstungsbereich ist das Land stark von Russland abhängig.
Doch dieses Thema wurde nur oberflächlich behandelt. Modi sagte: „Indien ist bereit, sich an allen Friedensgesprächen zur Lösung dieser Krise zu beteiligen.“ Scholz pflichtete ihm bei, dass die Probleme des Westens nicht die Indiens sein müssten. Der Fokus sollte diesmal woanders liegen: Die Stärkung der Wirtschaft und die strategische Partnerschaft auch im Hinblick auf Chinas Ambitionen.
Im Gegensatz zu China sind in Indien erst 1.800 deutsche Unternehmen aktiv, die aber Zehntausende Arbeitsplätze schafften, so Scholz. Außerdem warb er für mehr Fachkräftezuwanderung aus Indien. Deren Einreise sei mit dem ersten bilateralen Mobilitäts- und Migrationsabkommen seiner Art schon erleichtert worden, dennoch brauche Deutschland in den nächsten Jahren mehr „Talente“, betonte der Kanzler bei einer Fragerunde mit Inder:innen.
Spekulationen über möglichen U-Boot-Deal
Im Gegenzug brachte Scholz Premierminister Modi eine Wirtschaftsdelegation mit, die von Hapag-Lloyd über SAP zu Siemens reichte und in der sich mit Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz eine der mächtigsten Frauen der deutschen Wirtschaft befand.
Laut indischen Medien sucht Delhi einen Partner für die Produktion von sechs konventionell angetriebenen U-Booten im Wert von etwa fünf Milliarden Euro. Neben zwei internationalen Bietern ist auch das deutsche Unternehmen Thyssenkrupp Marine Systems im Gespräch. Eine Rüstungskooperation könnte Indien langfristig unabhängiger von russischen Waffenimporten machen. Für Modi ist daher die Zusammenarbeit im Sicherheits- und Verteidigungsbereich ein wichtiger Teil der Partnerschaft.
Daneben hat Indien Interesse an mehr Investitionen im IT-Sektor sowie an mehr Visa. Denn mehr Arbeitskräfte im Ausland bedeuten weniger Jobsuchende im Land und gegebenenfalls mehr Rücküberweisungen in die indische Heimat.
Befürchtungen, dass die neue Bundesregierung den deutsch-indischen Beziehungen einen Dämpfer verpassen könnte, sind verflogen. Modi fühlt sich in seiner Verhandlungsposition sicher. Die Frequenz von hochrangigen deutschen Besuchen ebbt in Indien nicht so schnell ab. Am 2. März wird Annalena Baerbock (Grüne) beim Treffen der G20-Außenminister:innen erwartet. Ein Wiedersehen von Scholz und Modi wird es im Herbst beim G20-Gipfel geben. Danach stehen erneut deutsch-indische Regierungskonsultationen in Neu-Delhi an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl