Olaf Scholz auf SPD-“Debattencamp“: Vorglühen für den Wahlkampf
Beim SPD-“Debattencamp“ skizziert Olaf Scholz, wie seine Partei die Macht erobern will: mit der Wiederentdeckung des Truckers und 12 Euro Mindestlohn.
Frank-Walter Steinmeier war 2009 eine Fehlbesetzung, weil ihm die Verwandlung vom Technokraten in den Volkstribun-Darsteller auf den Marktplätze misslang. Man wird sehen, ob Scholz der Rollenwechsel besser gelingt. Manchmal bricht noch die schwer ausrottbare Neigung zu Schachtelsätzen mit wenig Verben hervor.
„Wir Sozialdemokraten halten uns nicht für etwas Besseres“, sagt er. Dieser Satz verweist auf einen Missstand. Offenbar war das nicht immer so. „Auch wer im Warenlager fleißig arbeitet oder ein Truck fährt oder Handwerkerin wird, verdient Anerkennung. Das ist in unserer Gesellschaft ein wenig durcheinander kommen“ sagt Scholz. Das wird der Sound der SPD 2021, verdichtet im Wort Respekt, den gerade jene verdienen, die wenig Geld verdienen. Respekt war allerdings auch schon ein Schlüsselbegriff gescheitertem Wahlkampf von Martin Schulz 2017.
SPD sucht mit Debattencamp Hipness
Das SPD-Debattencamp, ein bunter Strauß parallel stattfindender Formate, findet virtuell statt. Es geht um Mitbestimmung und „Querdenker“, die Wirtschaft nach Corona und Digitales. Die Podien sind divers besetzt, jung und alt, MigrantInnen und GewerkschafterInnen, Bekannte und Unbekannte, Minister und Aktivistinnen wie Luisa Neubauer. Die SPD will einigermaßen hip rüberkommen. Was die digitale Technik angeht, ist noch Luft nach oben. Manche Debatte verliert sich nicht metaphorisch, sondern buchstäblich in Echoschleifen.
Das Debattencamp 2018 mit Andrea Nahles lebte von dem Offenen, Unvorhersehbaren. Online lässt sich das Vitale nur begrenzt simulieren. Das Camp 2020 hat zudem einen etwas anderen Charakter. Es ist nicht nur diskursive Selbstverständigung, sondern auch Bühne für den Kandidaten Scholz. Vorglühen für den Wahlkampf.
Bei den Debatten ist viel beharrliche Arbeit im Steinbruch sozialdemokratischer Programmatik zu beobachten. Fetzen fliegen selten. Beispiel: Tut die SPD genug für die Kultur in Coronazeiten? Amelie Deuflhardt, Intendantin von Kampnagel in Hamburg, lobt, dass es viel Geld für die Kultur in der Krise gibt. Dass die Politik Kultur „nicht für systemrelevant“ hält, empfindet sie eher als Auszeichungen: Man will ja lieber Sand als Öl im Getriebe sein. Der Disput mit Carsten Brosda, SPD-Kultursenator in Hamburg, fällt aus. Brosda kann einem bedingungslosen Grundeinkommen für KünstlerInnen nichts abgewinnen. Dann müsste der Staat ja amtlich definieren, wer das sei und wer nicht. Hätte man AktivistInnen von AlarmstufeRot geladen, hätte es Streit gegeben, ob Hartz IV als Absicherung reicht. So ist es eher gemütlich.
Lohnabhängige im Fokus – oder auch Soloselbständige?
Die Frage, ob die SPD letztlich nur Lohnabhängige im Fokus hat oder ob sie sich für Soloselbständige öffnet, ist nicht banal. Auf dem Debattencamp diskutiert man mit Hingabe und Kompetenz ein neues Mitbestimmungsgesetz – was die SPD für Prekäre und den digitalen Kapitalismus im Angebot hat, ist weniger klar.
Der Autor Sascha Lobo reißt diese Debatte mal kurz und scharf an und fragt, ob die SPD wirklich den Sprung aus dem 20. Jahrhundert schafft oder fixiert auf die Welt der Angestellten bleibt. Die Digitalpolitikerin Saskia Esken fordert: „Regulieren wir die Plattformen, ehe sie uns regulieren.“ Lobo merkt dazu kritisch an, dass die Idee der Regulierung und der heiße Wunsch nach einem europäischen Facebook einen klassischen Zielkonflikt ergibt. Esken ernennt Lobo zu ihren „Lieblingskolumnisten“. Um den Dissens auszutragen, ist leider keine Zeit mehr.
Klimax und Finale des Camps ist das Gespräch zwischen Olaf Scholz und dem Harvard Moralphilosophen Michael Sandel (dessen Simultanübersetzung leider kaum zu verstehen ist). Sandels Buch „Vom Ende des Gemeinwohls“ ist eine subtile, hintergründige Analyse der Bedingungen von Trumps Aufstieg, die der Philosoph als Antwort der Nichtakademiker auf die Verachtung durch die gebildeten Eliten deutet. Scholz findet das Buch „unglaublich faszinierend“ und sagt: „Bildung ist nicht die Antwort auf jede Frage.“
Das ist für die SPD eine neue Erkenntnis. Denn die Ersetzung von Gleichheit durch Chancengerechtigkeit in der Bildung – die es allerdings auch nicht gab – war lange das Mantra der SPD-Pragmatiker, deren Denken um den Markt und das Individuum kreiste.
12 Euro Mindestlohn wäre erste Tat eines SPD-Kanzlers Scholz
Scholz schwebt nun vage ein großes Wir der Arbeit vor. „Ich rede von Wir. Wir Handwerkerinnen, wir Altenpfleger, wir Lebensmittelverkäufer, wir Trucker und wir Rechtsanwälte.“ Von dem mitfühlenden Konservativismus der Tories trennt die SPD dabei, dass sie auch über Geld redet. Der Mindestlohn von 12 Euro wäre eine der erste Taten des Bundeskanzler Scholz. Was die kulturelle Anerkennung für die nicht-akademische Arbeit wäre, bleibt diffus.
Sandel kritisiert freundlich, aber deutlich, dass auch die Mitte-Links Parteien auf jene herabgeschaut haben, die den Aufstieg durch Bildung nicht geschafft haben. Auch die Mitte-Links Parteien hätten einen Anteil daran, dass die Arbeiter sie „als Teil der Verachtung der Eliten für die unten identifizieren“. Scholz überhört diese Töne geflissentlicht und träumt lieber von einem künftigen Bündnis der umfassenden Würde der Arbeit, in dem die Theaterleiterin und der Müllmann an einem Strang ziehen. Ob das etwas anderes ist als die recht verwitterte Volksparteiidee, nur hübsch neu kostümiert, wird man sehen.
„Auf SPD-Parteitagen habe ich immer viele getroffen, die als erste in ihrer Familie einen guten Beruf ergriffen haben“, sagt Scholz. Hatten deren Eltern, die Arbeiter und Nicht-Akademiker, also schlechte, minderwertige Berufe? Die alte sozialdemokratische Erzählung vom Aufstieg und das neue Narrativ von der allumfassenden Würde der Arbeit passen noch nicht so recht zusammen. Man wird sehen, wie sich die Hinwendung der SPD zu den Nichtakademikern mit dem Aufstieg durch Bildung und der Doktrin lebenslangen Lernens verträgt.
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