Ohne einen Grund zu nennen: Bremer Bildungssenatorin Aulepp tritt zurück
Nachfolger soll der ehemalige Berliner Staatssekretär für Bildung Mark Rackles werden.

Vier Tage später, am Freitag, bestätigt sie dies auf eine seltsame Weise, die vielleicht ihr größtes Manko und gleichzeitig ihre größte Stärke zum Ausdruck bringt: Sie ist keine abgebrühte Machtpolitikerin, die das Spiel mit der öffentlichen Wirkung souverän beherrscht, wie etwa ihr Parteigenosse Ulrich Mäurer, der am Sonntag seinen Rücktritt als Innensenator angekündigt hatte.
Trotz der schwelenden, von täglicher Berichterstattung angefeuerten Gerüchte hatte Aulepp ihr Wochenprogramm durchgezogen. Am Donnerstag verteidigte die 54-jährige Volljuristin im Landesparlament ein neues Kita-Gesetz, das in Ausnahmefällen die Betreuung von Kindern auch durch Menschen erlaubt, die eine kürzere Ausbildung als Erzieher:innen absolviert haben.
Und am Freitag erscheint sie wie geplant zur Pressekonferenz zum Auftakt des Kindergartenjahrs. Mit dem Rennrad kommt sie. Wie fast immer trägt sie ein knallrotes Kleidungsstück, in diesem Fall ein T-Shirt unter dem grauen Anzug.
Ohne sichtbare Aufregung
Bevor sie den Saal im zweiten Stock des Rathauses betritt, in dem die Journalist:innen auf sie warten, umarmt sie im Flur ihren Staatsrat, der anschließend neben ihr auf dem Podium sitzt. Dann referiert sie ruhig und ohne sichtbare Aufregung die Zahlen zu Kindertagesstätten.
Erstmals seit 15 Jahren gibt es in Bremen in diesem Jahr mehr Plätze als Anfragen nach einem Betreuungsplatz, auch der Personalmangel habe sich gelindert. Im vergangenen Jahr konnten 800 Plätze nicht vergeben werden, weil die Fachkräfte fehlten, in diesem Jahr waren es nur noch 300.
Es gebe 454 mehr Vollzeitstellen als vor fünf Jahren, berichtet Aulepp, 30 Prozent mehr Absolvent:innen der Fachschule als im vergangenen Jahr, die Betreuungsquote sei gestiegen, und das alles ohne die Gruppen zu vergrößern oder Betreuungszeiten zu verkürzen wie es andere Bundesländer gemacht haben.
So habe sie viel erreicht in den vier Jahren ihrer Amtszeit, nachdem sie mitten in der Pandemie das Amt von ihrer Vorgängerin Claudia Bogedan übernommen hatte. Die hatte sich den Job nicht mehr antun wollen, nachdem sie massiv dafür angefeindet worden war, dass Bremen als einziges Bundesland Kindertagesstätten und Schulen nicht geschlossen hatte – was sich im Nachhinein als die bessere Corona-Politk herausstellte.
Aulepp war zu diesem Zeitpunkt Bürgerschaftsabgeordnete sowie Landesvorsitzende der SPD; bis zu ihrem Eintritt in die Bürgerschaft 2015 hatte sie als Richterin am Amtsgericht Bremen gearbeitet.
Messbare Erfolge
Warum sie jetzt trotz messbarer Erfolge aufhört – sie sagt es nicht. Sie sagt noch nicht einmal, dass sie aufhört. Ihre Pressesprecherin hatte zu Beginn die Journalist:innen darum gebeten, zunächst nur Fragen zum Kita-Jahr zu stellen. „Ich weiß, dass Sie noch etwas anderes interessiert, aber das bitte im Anschluss.“
Es sind nur sehr wenige Fragen zur Kindertagesbetreuung und nach diesen spricht Aulepp weiter, referiert weitere Erfolge, darunter Rekordzahlen bei Referendar:innen und mehr besetzte Lehrer:innenstellen.
Zudem benennt sie zukünftige Aufgaben: den Sanierungsstau an Schulen, die Notwendigkeit, mehr Eltern davon zu überzeugen, ihr Kind im Kindergarten anzumelden (Bremens Betreuungsquote bei den Drei- bis Sechsjährigen ist die geringste im Ländervergleich), und die im Vergleich mit den anderen beiden Stadtstaaten niedrigen Ausgaben für Schulen.
Aulepp spricht darüber, dass sie Senatorin geworden sei, um etwas für Kinder und Jugendliche im Land Bremen zu erreichen, von denen viele unter schwierigen Bedingungen aufwüchsen, was sich auch auf ihre Schulkarrieren auswirke. Und weil Bremen notorisch schlecht bei Schüler:innen-Leistungstests abschneidet und sich daran anders als in Hamburg 25 Jahre nach dem ersten Pisa-Schock nichts geändert hat, erinnert sie daran, dass der Vergleich mit der größeren und reicheren Hansestadt hinkt.
So würden in Bremen doppelt so viele Kinder aufwachsen, deren Eltern einen niedrigen Bildungshorizont hätten. So wie sie es sagt, klingt das nicht wie eine Entschuldigung sondern nach einem Grund, Bildungssenatorin zu bleiben. Auch wenn das Amt bedeute, „harte Auseinandersetzungen“ zu führen und auszuhalten, so wie vermutlich in keinem anderen Senatsressort.
Schwieriges Politikfeld
Denn bei Bildung gibt es zahllose Akteur:innen in Politik, Verwaltung und Gesellschaft, die genau wissen, wie das Bildungselend behoben werden kann – ohne allerdings in der Pflicht zu sein, die widerstreitenden Interessen unter einen Hut zu bekommen.
Dennoch, schließt Aulepp ihre Rede, sei es gut, jetzt nach der Hälfte der Legislaturperiode einen Wechsel im Bildungsbereich herbei zu führen. Das habe sie vor zwei Wochen nach ihrem Urlaub mit dem Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) so besprochen. Anders als abgesprochen informierte jemand einen Redakteur des Weser-Kuriers. „Das habe ich mir anders gewünscht, ja“, sagt Aulepp.
Zaghaft fragt eine Journalistin nach: „Das heißt, Sie treten zurück?“ Aulepp bestätigt das, ohne die Worte „Ich höre auf“ oder Vergleichbares auszusprechen. Drei Mal fragen dann weitere Journalist:innen nach den Gründen – sie nennt keine, sondern wiederholt, wie gut es sei, zu diesem Zeitpunkt einen Wechsel herbeizuführen, ohne zu sagen, warum es den braucht. Deutlich wird so: Der war offensichtlich nicht ihre Idee, deshalb kann sie ihn auch nicht erklären.
Und dann ist die Pressekonferenz vorbei. Die Pressesprecherin erinnert noch einmal daran, doch bitte die vorbereiteten Mappen mit den Tabellen und Diagrammen zum Kita-Jahr mitzunehmen und Aulepp ergreift zur Überraschung aller noch einmal das Wort. Ihr Nachfolger bringe ja Verwaltungsführungskompetenz mit, davon hätte sie sich auch mehr gewünscht, sagt sie.
Schwierige Behörde
Das scheint der einzige Vorwurf zu sein, den sie sich selbst macht: Eine bekanntermaßen seit langem chaotisch agierende Behörde nicht geordnet zu haben – was allerdings nicht die Aufgabe einer Senatorin ist, die politisch agiert, sondern der Spitzen der Verwaltung, der Staatsrät:innen.
Später bestätigt die Senatspressestelle, dass im September SPD-Parteigremien über die Nominierung des ehemalige Berliner Bildungs-Staatssekretärs Mark Rackles als neuem Bremer Bildungssenator abstimmen werden, genau so wie über die neue Innensenatorin Eva Högl, die ehemalige Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. In einer Pressemitteilung dankt der Bürgermeister Aulepp für ihr Engagement und ihre „beachtlichen Erfolge“. Gründe nennt auch er keine.
Am plausibelsten klingt daher die Analyse der CDU. In einer giftigen Presseerklärung, die in Ton und Wortwahl an rechtspopulistische Parteien erinnert, schießt sie gegen das „System Bovenschulte“, der mit Rackles einen „weiteren SPD-Funktionär aus der Mottenkiste“ ziehe. „Zwei Jahre vor der Wahl tauscht Andreas Bovenschulte die Bildungssenatorin aus, um seine Probleme zu kaschieren“, schreibt die CDU.
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