Offener Brief Netzwerk Klimajournalismus: Mehr Klima bitte
Die Klimakrise bleibt im Wahlkampf oft unberücksichtigt. Das Netzwerk Klimajournalismus fordert in einem offenen Brief mehr Einsatz der Medien.
Das Jahr 2024 wird das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gewesen sein, mit Bildern von Waldbränden, Flutkatastrophen und Menschen, die ihr Zuhause verlieren. Darauf deuten vorläufige Analysen hin. Trotz dieser Katastrophenmeldungen sind effektive Klimaschutzmaßnahmen bei den demokratischen Parteien im Bundestagswahlkampf kaum Thema.
Der offene Brief des Netzwerks Klimajournalismus, der Anfang Januar auf ihrer Website veröffentlicht wurde, soll nun dafür sorgen, dass das Klima im Wahlkampf auf die Agenda gesetzt wird. Das Netzwerk wurde 2021 von acht Journalist:innen gegründet, um die Klimakrise in den öffentlichen Diskurs zu tragen und einen Austausch zu konstruktiver Klimaberichtserstattung zu ermöglichen.
Der Brief richtet sich an die Kolleg:innen der Medienwelt. Sie appellieren, die Klimakrise in ihrer Arbeit – bei allen Themen ressortunabhängig – mitzudenken und die Zusammenhänge klarzumachen. „In jedem Interview, jeder Talkshow, jedem Podcast mit Politiker:innen Fragen zur Klimakrise zu stellen“, heißt es in dem Schreiben. Zudem sei es wichtig, das Klima nicht als parteipolitisches oder grünes Thema zu behandeln. Der Brief wurde mit 50 Erstunterzeichner:innen veröffentlicht und über Instagram, Newsletter und direkte Anschreiben verbreitet. Unterzeichnen können alle, die als Journalist:in oder in der Journalismusforschung tätig sind.
Zur Motivation für den Brief schreibt das Netzwerk der taz: „Es war abzusehen, dass Klima im Wahlkampf keine große Rolle spielen würde.“ Insbesondere Medienschaffende hätten in ihrer Arbeit die Verantwortung, heißt es weiter, über die Krise aufzuklären. Berufen wird sich auf das Pariser Klimaabkommen, zu dem sich Deutschland verpflichtet hat, und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021.
„Die genaue Umsetzung ist eine Denkaufgabe für Journalist:innen“, sagt Leonie Sontheimer, eine der Initiator:innen des Schreibens dem Deutschlandfunk. Klar sei, dass die Klimakrise in jedem Thema stecke. Die Unterzeichner:innen des Briefs befürchten einen „Anti-Klimaschutz-Wahlkampf“. Im Wahlkampf weist alles in diese Richtung. So fordert die CDU, sowohl das Verbrenner-Aus als auch das Heizungsgesetz zurückzunehmen.
Allen voran wird jedoch von der AfD über das Klima geredet, ohne die Krise überhaupt anzuerkennen. „Wir reißen alle Windkraftwerke nieder“, sagte Kanzlerkandidatin Alice Weidel auf ihrem Parteitag in Riesa.
Permanente Gleichzeitigkeit ist schwer zu ertragen. Im selbstgemachten Chaos von Aufräumen, Socken sortieren, WhatsApp-Nachrichten beantworten und Bad putzen ist man meistens effektiver, wenn man nicht alles gleichzeitig macht, sondern priorisiert. In der öffentlichen Medienwelt fordert die Klimakrise permanente Aufmerksamkeit, neben akuten Krisen.
Noch gezielter nachfragen
Vanessa Kokoschka, Doktorandin am Promotionszentrum Nachhaltigkeitswissenschaften Darmstadt, untersucht, inwiefern Algorithmen der Social-Media-Plattformen Einfluss auf redaktionelle Entscheidungen im Journalismus nehmen. Sie sieht das Problem, dass die Klimakrise von anderen Krisen verdrängt werde, obgleich sie auch in Deutschland sichtbar sei: „Für viele Menschen ist es aber spürbarer, wenn sie von der Inflation betroffen sind oder keinen bezahlbaren Wohnraum finden“, sagt sie.
„Aufgabe der Journalist:innen ist es dann, noch gezielter nachzufragen sowie Zeit und Raum für diese große Dimension Klima zu schaffen.“ Dabei könne es auch helfen, das Klima versteckter zu verpacken und es zum Beispiel nicht direkt im Titel zu nennen, um nicht abschreckend zu wirken.
Um neue Erzählansätze zu entwickeln, wünscht sie sich eine engere Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und der journalistischen Praxis.
Aufzuzeigen, wie die Klimakrise mit dem Leben vor der eigenen Haustür zusammenhängt, sei Aufgabe des Lokaljournalismus. „Ich glaube, dass junge Menschen in den Klein- und Großstädten sich auch unglaublich für ihre Stadt interessieren. Deshalb ist es sinnvoll, auch ihre Plattformen zu bespielen, wie Instagram, Youtube und Tiktok“, sagt Kokoschka.
Eine zielgerichtete Ansprache und Ausrichtung der Plattform sowie Community-Arbeit seien hilfreich. „Redaktionen könnten diese Räume noch viel stärker nutzen“, sagt sie. „Das ist aber auch schwierig, weil Klimathemen oft eher negativ konnotiert sind und auch mit apokalyptischen Szenarien dargestellt werden.“
Auch im Wahlkampf ploppt die Klimakrise abstrakt auf den Bildschirmen in Form von Nachrichten auf und breitet sich im realen Leben aus. Das Netzwerk Klimajournalismus ruft deshalb dazu auf, sich nicht auf den Gewinner zu konzentrieren und zu fragen: „Was steht auf dem Spiel?“
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