Ökonomische Ausbeutung Ägyptens: „Ever Given“ frei, Ägypten nicht
Während im Suezkanal wieder Waren bewegt werden, beutet Ägyptens Regierung seine Bevölkerung weiterhin aus – zum Teil mit deutscher Hilfe.
K napp eine Woche hielt das im Suezkanal quer liegende Containerschiff „Ever Given“ die ganze Welt auf. Der Rückstau der anderen Frachter wird erst nach mehreren Wochen abgebaut sein, sagen Expert*innen. Knapp 130.000 lebende Schafe stecken weiterhin auf der Seeroute an der ägyptischen Abkürzung zwischen Indischem Ozean und Mittelmeer in Containern fest.
Von den tagelangen Bergungsarbeiten berichteten Medien per Liveticker. Im Netz machten lustige Memes die Runde: Neben der riesigen „Ever Given“ schaufelt ein relativ kleiner Bagger Sand am Ufer des Kanals weg. Ein Bild, das die Ohnmacht des Individuums vor den Herausforderungen des Lebens symbolisiert.
Doch der Unfall illustriert mehr. Er zeigt ein grundlegendes Problem: die Verschränkung kapitalistischer Ausbeutungsstrukturen mit autoritären Regimen. Ich vermute, dass viele Menschen die anderen schrecklichen Meldungen der letzten Tage aus Ägypten nicht mitbekommen haben: In Oberägypten kollidierten zwei Züge. 19 Menschen kamen ums Leben. Ein Video zeigt, wie Anwohner*innen verzweifelt in den Wracks nach Überlebenden suchen.
Kurz darauf starben in Kairo mindestens 23 Menschen beim Einsturz eines Wohnhauses. Zwei Tage später wurde, wie durch ein Wunder, ein Säugling lebend geborgen. Er wird als Waisenkind aufwachsen.
Deutschlands Wirtschaftsinteressen
Wissenschaftler*innen der Universität Toronto sagen, dass die offiziellen Corona-Inzidenzzahlen der ägyptischen Regierung beschönigend seien. Wer sich in Ägypten mit dem Virus infiziert, hat Pech. Kranke und Angehörige müssen sich selbst um Sauerstoffflaschen für die lebensnotwendige Beatmung kümmern. Doch Sauerstoff ist Mangelware und exorbitant teuer. Die Ägypter*innen leiden sowieso unter einer Teuerungsrate, die einige von ihnen buchstäblich verhungern lässt.
Regelmäßige Zugunglücke und einstürzende Gebäude, eine andauernde Wirtschaftskrise: Was hat das mit dem Kapitalismus und der Dividende deutscher Aktionär*innen zu tun?
Präsident Abdel Fatah al-Sisi setzt auf Großprojekte und holt sich dafür internationales Knowhow ins Regime. Er baut sich seit Jahren eine neue Hauptstadt mitten in der Wüste. Das Kalkül: sich in Megaprojekte zurückziehen, den Rest des Landes und die Infrastruktur derweil einfach verfallen lassen. Kritiker*innen landen im Kerker. Deutsche Firmenchefs freut das.
Siemens hat sich Anfang des Jahres einen Milliardenauftrag für eine Schnellzugtrasse zwischen der neuen Hauptstadt und dem Mittelmeer gesichert. So profitieren multinationale Konzerne vom Leid der ägyptischen Bevölkerung. Manchmal kommt Angela Merkel vorbei und lächelt mit al-Sisi um die Wette. Die „Ever Given“ wurde am Ende dank Vollmondflut befreit. Für kapitalistisch ausgebeutete Gesellschaften, scheint es, braucht es ebenfalls eine extraterrestrische Kraft. So hartnäckig ist das Problem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut