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Ökonomin über US-Wahl„Trump will die Sabotage der Institutionen noch verstärken“

Die US-Wirtschaft läuft gut – doch Wäh­le­r:in­nen scheinen das kaum zu merken. Was das für die bevorstehende Wahl bedeutet, erklärt Pavlina Tcherneva.

Seine Wahl hätte Signalwirkung für die US-Wirtschaft: Donald Trump, hier am Flughafen in Greenbay in Wisconsin Foto: Brendan McDermid/rtr
Interview von Clemens Schreiber

taz: Frau Tcherneva, der US-Wirtschaft geht es besser als vor der Pandemie. Dennoch liest man, dass die US-Amerikaner:innen mit der Wirtschaft nicht zufrieden sind. Warum?

Im Interview: Pavlina Tcherneva

lehrt als Ökonomin in den USA. Ihre Spezialgebiete sind unter anderem Geldwirtschaft und Stabilisierungspolitik.

Pavlina Tcherneva: Wir haben den schnellsten Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit erlebt. Aber in den letzten 50 Jahren gab es strukturelle Veränderungen, die die Reallöhne und den Lebensstandard runtergedrückt haben. Das eigentliche Problem, das uns auch heute noch beschäftigt, ist die Ungleichheit in der Wirtschaft. Die Löhne haben sich zwar etwas verbessert, aber aufgrund der Inflation haben die Menschen das Gefühl, dass sie nicht mithalten können.

taz: Um die Inflation zu bekämpfen, verabschiedete Präsident Biden 2022 den Inflation Reduction Act (IRA) – eine 891-Milliarden-Dollar-Investition in saubere Energie und niedrigere Gesundheitskosten. Wie bewerten Sie das Gesetz?

Tscherneva: Ich bin mir nicht sicher, ob die Ame­ri­ka­ne­r:in­nen den IRA spüren. Den IRA war groß und mutig und hat Möglichkeiten geschafft, die wir noch nie zuvor hatten. Aber er hat sich weitgehend auf Steuerkürzungen gestützt, in der Hoffnung, dass die Unternehmen diese für die Entwicklung von Solarparks und den Bau von Elektrofahrzeugen nutzen werden. Dadurch wurden tendenziell Branchen unterstützt, die keine großen Arbeitsplätze schaffen. Es ist der Dienstleistungssektor, der Arbeitsplätze schafft, und der IRA fördert diesen nicht direkt.

taz: Um die Inflation zu senken, hat die US-amerikanische Zentralbank, die Fed, auch den Zinssatz erhöht, der jetzt bei fünf Prozent liegt. Sollte die Fed die Zinssätze senken?

Tscherneva: Ich denke, die Fed hat nicht annähernd so viel Einfluss auf die Wirtschaft, wie die meisten Leute denken. Der Rückgang der Inflationsrate hatte mit der Beseitigung von Engpässen in der Lieferkette zu tun. Wenn überhaupt, dann hat die Zinserhöhung die Kosten für die Unternehmen nach oben gedrückt, was an die Kon­su­men­t:in­nen weitergegeben wurde. Außerdem war die Politik der Fed sehr ungerecht: Die Anhebung der Zinssätze hat den wohlhabenden An­lei­hen­in­ha­be­r:in­nen Zinserträge in Höhe von einer Billion Dollar beschert. An den Zinssätzen zu drehen, ist aber nicht sehr effektiv. Wir sollten uns auf die Fiskalpolitik konzentrieren, um die Inflation zu drosseln.

taz: Also auf die US-Regierung?

Tscherneva: Ja, denn das einzige Instrument, das der Fed zur Verfügung steht, ist der Zinssatz. Die Regierung hat hingegen viele weitere Instrumente, wie Direktinvestitionen, Subventionen, Preisdeckel, direkte Beschäftigungsmöglichkeiten.

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taz: Für die US-Amerikaner:innen ist die Wirtschaft eines der wichtigsten Themen für die Wahl. Ist das ein Vorteil für Trump oder für Harris?

Tcherneva: Das ist eine sehr schwierige Frage. Die Wirtschaft steht für die Menschen an erster Stelle, zusammen mit der Frage der Demokratie. Wenn man die Menschen fragt: „Geht es Ihnen heute besser als vor vier Jahren?“, sagen nicht alle ja. Zu viele Menschen sagen nein, obwohl die Wirtschaft nach allem, was man weiß, viel besser ist. Unzufriedenheit mit der Wirtschaft schadet in der Regel aber der Partei des amtierenden Präsidenten.

taz: Was sind die Hauptunterschiede zwischen der Wirtschaftspolitik von Trump und Harris?

Tscherneva: Die größten Unterschiede gibt es bei den Steuern. Biden hat eine Reihe der von Trump eingeführten Zölle beibehalten. Kamala Harris schlägt nicht vor, diese abzuschaffen, während Trump sie sogar noch weiter anheben will, in einigen Fällen sogar bis zu 200 Prozent. Beide haben Steuergutschriften für Kinder in ihren Programmen, aber die von Harris ist umfangreicher. Harris will die Unternehmenssteuern von 21 Prozent auf 28 Prozent erhöhen, die Einkommenssteuer für Spit­zen­ver­die­ne­r:in­nen anheben und die Gewinne von Hedgefondsmanagern als Einkommen besteuern. Und obwohl Harris auch andere Maßnahmen für arbeitende Familien vorgeschlagen hat, hören viele Menschen nur, dass sie die Steuern erhöhen will, und merken nicht, dass sie davon nicht betroffen sind.

taz: Welche Themen spricht Trump an?

Tscherneva: Trump will viel mehr Fracking betreiben und den Finanzsektor deregulieren. Und natürlich will er den öffentlichen Sektor abbauen. Er verspricht, Arbeitsplätze für das amerikanische Volk zu schaffen. Was er aber tatsächlich verspricht, ist die Zerschlagung der institutionellen Strukturen, die unsere Regierung eingerichtet hat, um die grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, auf die wir angewiesen sind. Ich glaube, er will diese Sabotage der Institutionen noch verstärken. Das hat er bereits während seiner Präsidentschaft mit dem Supreme Court getan. Jetzt will er es mit den öffentlichen Behörden tun. Und er will eine Rekordfinanzierung für die Strafverfolgung und den Grenzschutz. Er strebt im Grunde die Militarisierung unserer Wirtschaft an. Das ist äußerst besorgniserregend.

taz: Sie haben 2016 US-Senator Bernie Sanders bei seiner innerparteilichen Kandidatur zum US-Präsidenten beraten. Welchen wirtschaftlichen Rat würden Sie Kamala Harris geben?

Tscherneva: Für mich ist völlig klar, dass wir eine Jobgarantie brauchen, um die Klimakatastrophe zu bewältigen. Wir brauchen, wenn Sie so wollen, eine Armee in Bereitschaft, um die verwüsteten Gemeinden wieder aufzubauen, nicht nur durch Hurrikane wie in Florida, sondern auch durch die ständigen Überschwemmungen im Mittleren Westen und die ständigen Brände an der Westküste.

taz: Momentan ist die Arbeitslosenquote in den USA mit rund 4 Prozent eher niedrig. Warum ist eine Jobgarantie trotzdem wichtig?

Tcherneva: Wir vergessen die Arbeitslosigkeit, wenn die Wirtschaft „gut“ ist. Aber die drohende Arbeitslosigkeit ist genau das, was all die Erfolge der Gewerkschaften und die Lohnzuwächse, die die Ar­beit­neh­me­r:in­nen verzeichnet haben, untergraben wird. In der nächsten Rezession wird die Arbeitslosigkeit genutzt werden, um die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Und diese Bedrohung wird nicht verschwinden.

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4 Kommentare

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  • Es könnte sich für die Republikaner auszahlen, dass in den USA das öffentlich finanzierte Bildungswesen seit Jahrzehnten grotesk vernachlässigt wurde. Mehr als 20 Prozent der erwachsenen Amerikanerinnen und Amerikaner können nicht lesen und schreiben, mehr als 50 Prozent lesen auf dem Niveau von 10 -12Jährigen. Abschlußprüfungen gab es vor 40 Jahren an der High School kaum. Ein Argument dagegen war, dass sie Minderheiten benachteiligen würden. Nach einem zwischenzeitlichen Hoch haben heute wieder nur noch neun von 50 Staaten diese Tests. Sie hätten die Leistungen guter Schülerinnen und Schüler nicht verbessert, Schwächere hingegen benachteiligt, heißt es in immer mehr Staaten. Das mag so sein, bedeutet aber, dass die didaktische Qualität des Unterrichts häufig gruselig sein muss. Heißt: Für einen nicht geringen Anteil der Jugendlichen reicht körperliche Anwesenheit in der Schule aus. Grundlegende Defizite werden nicht erkannt oder ignoriert. Sie gehen in Anlernjobs, verdienen furchtbar wenig, verbittern und werden zur leichten Beute für Trumps Hetze. Ein Wirtschaftsaufschwung geht an ihnen natürlich vorbei.

  • "Und obwohl Harris auch andere Maßnahmen für arbeitende Familien vorgeschlagen hat, hören viele Menschen nur, dass sie die Steuern erhöhen will, und merken nicht, dass sie davon nicht betroffen sind" das Kernproblem der Demokratie. Ein erheblicher Teil der Wähler:innen ist nicht in der Lage, auch nur ansatzweise komplexe Zusammenhänge zu verstehen.

  • Man muss sich mal auf der Zunge zergehen lassen, was Frau Tcherneva da sagt: Der Leitzins hat keinen Einfluss auf den Wert der Währung, also die Preise? Eher im Gegenteil?



    Da können wir ja gleich die nächste heilige Kuh der Ökonomen schlachten: Haben fallende Preise - also Deflation - keinen wesentlichen Einfluss auf die Wirtschaft?

    • @Jörg Schubert:

      Wie meinen Sie das? Ich kann nicht folgen. Man sieht doch 1929 bei uns und heute in China wie verheerend und nachhaltig zerstörerisch Deflation wirkt! Oder habe ich Sie missverstanden?