Ökonom zum Entlastungspaket: „Es fehlt etwas“
Die geplanten Entlastungen der Ampel klingen nach viel. Ökonom Achim Truger vermisst aber eine Gaspreisbremse – und direkte Zahlungen an die Bürger.
taz: Herr Truger, die Ampel-Regierung hat ein 65 Milliarden Euro schweres Entlastungspaket beschlossen. Das klingt nach viel. Was ist daran so teuer?
Achim Truger: Die Summe an Maßnahmen macht es. Die privaten Haushalte werden durchaus entlastet. Auch durch eine Menge steuerliche Maßnahmen wie den Abbau der kalten Progression.
Die kostet allein um die 15 Milliarden. Ist das eine sinnvolle Maßnahme oder werden damit vor allem Reiche entlastet – und nicht, die das Geld jetzt nötig brauchen?
Bei der Steuerentlastung kommt mehr als die Hälfte bei den oberen 20 Prozent an. Wenn es 15 Milliarden kostet – es gibt da noch Spielraum – würden 8 Milliarden dem obersten Einkommensbereich zu Gute kommen. Das ist eigentlich nicht nötig. Vor allem wenn es gleichzeitig heißt: Das Geld ist knapp, wir können uns viel nicht mehr leisten und wir wollen die Schuldenbremse wieder einhalten. Andererseits werden ärmere Haushalte tatsächlich durch die Sozialtransfers stark entlastet.
Ist das Entlastungspaket ausgewogenen und wirksam?
Das Volumen von 65 Milliarden Euro ist stattlich. Aber es fehlt etwas. Es gibt keinen Gaspreisdeckel und damit keine Hilfe bei dem größten Belastungsposten für die privaten Haushalte. Der Strompreisdeckel soll ja von den Stromkonzernen selbst finanziert werden. Beim Gas hätte der Staat zahlen müssen. Offenbar, weil Finanzminister Christian Lindner unbedingt die Schuldenbremse 2023 einhalten will, gibt es keinen Gaspreisdeckel – also keinen Basiskonsum für Erdgas zu einem erschwinglichen Preis. Das soll ja beim Strom so funktionieren. Es könnte auch beim Gas gehen. Die steuerlichen Milliardenentlastungen für die reichsten Haushalte und die Lücke beim Gaspreis ergeben eine Schieflage.
ist Professor für Sozioökonomie, Schwerpunkt Staatstätigkeit und Staatsfinanzen, an der Universität Duisburg-Essen. Seit März 2019 ist er Mitglied des Sachverständigenrates.
Die SPD wollte direkte Zahlungen nicht nur an Studierende und Rentner, sondern auch an die Mittelschicht. Die gibt es nun nicht. Ist das ein Fehler? Oder wird das durch die vielen Einzelmaßnahmen, von der Kindergelderhöhung bis zu mannigfachen steuerlichen Erleichterungen, ausgeglichen?
Es gibt noch keine exakten, verlässlichen Berechnungen der Auswirkungen auf einzelne Gruppen. Aber die Mittelschicht wäre mit pauschalen Transfer wahrscheinlich besser gefahren. Es ging jetzt aber um schnell wirksame Maßnahmen. Und es ist merkwürdigerweise noch immer so, dass, laut Finanzministerium, direkte Zahlungen an die Bürger an technischen Hürden scheitern. Seit Jahren wird diskutiert, dass man das ändern muss, aber es ist verschleppt worden. Das ist ärgerlich. Denn eine Energiepreispauschale, die versteuert werden muss und an alle Bürger geht, wäre im Moment ein wirksames Instrument.
Ist dieses Paket ökologisch genug?
Es soll eine Fortsetzung des 9-Euro-Tickets geben. Das ist erstmal positiv, aber wenn es 69 Euro kostet, ist der ökologische Effekt fraglich. Problematisch ist, dass für 2023 die Erhöhung des CO2-Preises ausgesetzt wird. Denn damit fehlt Geld für den Klimatransformationsfonds. Dass dafür im Verkehrsministerium 500 Millionen kurzfristig für die Bahn locker gemacht werden, wiegt das nicht auf.
Steht Deutschland vor einer Rezession?
Wahrscheinlich ja. Die Indikatoren deuten auf nichts Gutes hin. Das Konsumklima ist schlecht, es fehlt Nachfrage. Wenn die Gaspreise so hoch bleiben oder sogar noch steigen, fehlt den Leuten Geld für Konsum. Es gibt Schätzungen, die zeigen, dass Deutschland 200 Milliarden Euro mehr für Energie ausgeben muss. Das trifft auch die privaten Haushalte empfindlich, die damit über entsprechend weniger Geld für Konsum verfügen.
Reicht das 65 Milliardenpaket, um die Rezession zu verhindern oder wenigstens zu mildern?
Das Entlastungspaket ist wichtig. Es leistet einen Beitrag, damit der Absturz nicht so stark wird. Beunruhigend finde ich die Lücke beim Gaspreis und die Fixierung auf die Schuldenbremse.
Also bekommen wir wahrscheinlich zusätzlich zu Inflation und hohen Energiepreisen noch eine Rezession. Wird die Auswirkungen auch auf den Arbeitsmarkt haben?
Üblicherweise leidet der Arbeitsmarkt in Rezessionen. In der Finanzkrise und auch bei der Corona-Krise war der Arbeitsmarkt aber recht stabil, weil die Politik reagiert hatte. Und auch jetzt wird ja das Kurzarbeitergeld bereits wieder verlängert. Es fragt sich trotzdem, ob man den Energiepreisschub und den Mangel an Konsum so gezielt überbrücken kann wie die Coronakrise.
Beim Konsumklima und Nachfrage geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Vertrauen, Ängste und Zukunftserwartungen. Wäre es da nicht besser wenn die Regierung ein, zwei klare Entlastungen beschließt – und keine kleinteiligen, detaillierten Maßnahmenkataloge, die viele nicht wirklich verstehen?
Ja, wahrscheinlich ist das so. Da wären wiederum der Gaspreisdeckel und eine Direktzahlung wie das Klimageld geeignete Mittel. Doch das war halt politisch und technisch nicht umsetzbar. Das Paket ist nicht schlecht, aber hier fehlt etwas. Wenn es tatsächlich zu einer tiefen Rezession kommt, die auch Jobs vernichtet, wird das auch negative Effekte auf die Steuereinnahmen haben. Bislang war es meist so, dass Deutschland auch in Krisen mehr Geld in der Staatskasse hatte als befürchtet und die Steuereinnahmen hoch blieben. Aber das muss nicht immer so sein. Hält man dann an der Schuldenbremse fest, kann es finster werden.
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