Ökonom zu Transformation der Wirtschaft: „Viel Potenzial nicht ausgeschöpft“
Soziale und nachhaltige Industriepolitik funktioniert nur gesamteuropäisch, sagt Ökonom Jakob Hafele. Ein nationaler Fokus verschwende Chancen.
taz: Herr Hafele, Ökonom*innen sind sich einig: Die Zollpolitik des kommenden US-Präsidenten Donald Trump wird der deutschen Wirtschaft schaden. Kann Deutschland sein auf Wachstum durch Export ausgerichtetes Wirtschaftsmodell also überhaupt fortsetzen?
Jakob Hafele: Nein, und das nicht nur wegen Trump. Die aktuelle Krise – die verschleppte Transformation der Industrie, die drohenden Veränderungen in der US-Politik, der Bruch der Ampelkoalition – zeigt, dass diese Wirtschaftspolitik an ihr Ende gekommen ist. Im zwanzigsten Jahrhundert hat sie einem kleinen Teil der Welt Wohlstand gebracht, aber jetzt darf es nicht mehr primär darum gehen, den Kuchen immer größer zu machen.
Jahrgang 1988, ist Direktor des Instituts für Zukunftsfähige Ökonomien. An der Universität Linz forscht er zu europäischer Wirtschaftsentwicklung.
taz: Sondern?
Hafele: Das Ziel muss sein, den Kuchen fair zu verteilen. Eine gute Wirtschaft ist meiner Meinung nach eine zukunftsfähige. Eine, die die planetaren Grenzen respektiert, also Klimaschutz und Biodiversität ermöglicht oder sogar voranbringt. Auf der anderen Seite sollte die Wirtschaft möglichst gute Lebensbedingungen für Menschen schaffen und zum Beispiel dafür sorgen, dass sie in einem motivierenden Arbeitsumfeld tätig sein können und sozial abgesichert sind.
taz: Kann die aktuelle Krisensituation den Anstoß für einen Umbau der Wirtschaft geben?
Hafele: Diese Chance sehe ich auf jeden Fall. Denn jetzt ist offensichtlich: Es kann nicht weitergehen wie bisher, wir brauchen Veränderung und Investitionen. Das Wichtige ist jetzt, dass diese Chance der Veränderung zu einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Wirtschaft führt. Die Schuldenbremse hat das in den letzten Jahren konsequent verhindert. Dass Christian Lindner als ihr größter Verfechter jetzt nicht mehr Teil der Bundesregierung ist, bewerte ich deshalb positiv. Außerdem muss die deutsche Industriepolitik endlich europäisch werden, dort wurde bisher viel Potenzial nicht ausgeschöpft.
taz: Welches Potenzial zum Beispiel?
Hafele: Viel Potenzial liegt in Regionen, in denen erneuerbare Energien besonders günstig wären. Beispielweise in sonnenreichen Länder wie Griechenland und Italien, denen es aktuell wirtschaftlich nicht gutgeht. Das könnte anders sein: Denn würden wir energieintensive Industrien wie die Produktion von Eisen in solche Länder verlagern, würden dort mehr Arbeitsplätze entstehen. Und die Verlagerung der Industrie hätte auch positive Effekte
taz: Welche denn?
Hafele: Bleiben wir beim Beispiel Eisen: Das würde ein, sagen wir, spanisches Unternehmen mithilfe von Energie aus Photovoltaikanlagen produzieren und dann nach Deutschland liefern. Ein Unternehmen im Ruhrgebiet könnte daraus dann Stahl produzieren und weltweit verkaufen. Insgesamt wäre das günstiger, als das Eisen mit hohem Energieaufwand hierzulande mit teurerer Energie herzustellen und dann zu Stahl zu verarbeiten. Das deutsche Unternehmen könnte also günstiger produzieren und verkaufen, hätte dadurch eine höhere Nachfrage und mehr Aufträge für den spanischen Hersteller.
taz: Warum passiert das dann nicht längst?
Hafele: Weil gerade Länder wie Deutschland, die lange von einer starken Industrie profitiert haben, noch immer vorrangig auf das kurzfristige nationale Wachstum blicken. Die Länder wiederum, in denen das Potenzial ungenutzt bleibt, haben kein Geld für die nötigen Investitionen. Der Wirtschaftsraum EU muss sich also als Verbund begreifen, nur so wird er insgesamt wettbewerbsfähig und stark.
taz: Was müsste denn für einen Umbau zu einer zukunftsfähigen, europäischen Industrie- und Wirtschaftspolitik passieren?
Hafele: Deutschland muss die Schuldenbremse reformieren, um Investitionen tätigen zu können. Und auf europäischer Ebene brauchen wir für diesen Zweck einen Fonds. In den könnte ein Teil der Subventionen fließen, die wirtschaftlich starke Länder an heimische Industrien zahlen. Die dann getätigten Investitionen müssen zukunftsfähig sein.
Um das sicherzustellen, schlagen wir ein sogenanntes Konditionalitäten-Modell vor: Öffentliche Subventionen werden im ersten Schritt in einem unkomplizierten Verfahren an Industrieunternehmen ausgezahlt, die sozial-ökologische Pläne verfolgen. Dabei sollte es zunächst keine konkreten Vorgaben für die Unternehmen geben, das verringert den bürokratischen Aufwand und beschleunigt den wirtschaftlichen Umbau. Ein Jahr später wird dann in einem zweiten Schritt geprüft, ob die sozial-ökologischen Ziele auch erreicht wurden. Allen Unternehmen, bei denen das nicht der Fall ist, werden die Fördermittel gestrichen. Dadurch entsteht automatisch ein Wettbewerbsvorteil für die Unternehmen, die den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft vorantreiben.
Bei all diesen Maßnahmen ist es wichtig, die Bevölkerung einzubeziehen und soziale Absicherung zu garantieren. Der grüne Umbau der Wirtschaft ist unausweichlich. Aber wird er nicht sozial gestaltet, kann er nicht funktionieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Diskussion um US-Raketen
Entscheidung mit kleiner Reichweite