Ökonom zu Lieferkettengesetz: „Das ist eine Frage des Anstands“
Das Lieferkettengesetz soll Menschenrechte sichern – und überfordert weder Mittelstand noch Exporteure, sagt der Wirtschaftsweise Achim Truger.
taz: Herr Truger, Schokolade, Smartphones und andere Produkte, die hierzulande verkauft werden, sollen eine Menschenrechtsgarantie bekommen. Deutsche Unternehmen müssen vernünftige Bedingungen für die Beschäftigten im Ausland gewährleisten. Schadet das der deutschen Wirtschaft?
Achim Truger: Zunächst einmal ist das eine Frage von Anstand und Gerechtigkeit. Unsere Konsumgüter sollten nicht unter der Verletzung von Menschenrechten hergestellt werden. Das hat der internationale Arbeitgeberverband, deren Mitglied auch der deutsche Arbeitgeberverband ist, 2011 auch schon zugesichert. Allerdings setzen 80 Prozent der deutschen Firmen diese Selbstverpflichtung bisher nicht um. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass die Regierung nun ein Gesetz schreibt.
Mit dem Lieferkettengesetz wollen Entwicklungsminister Gerd Müller und Arbeitsminister Hubertus Heil hiesige Unternehmen zur Überprüfung ihrer ausländischen Zulieferer verpflichten. Verursacht das tatsächlich erhebliche Kosten, wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier sagt?
Diese Ausgaben müssten die Unternehmen ohnehin tragen, würden sie ihre Selbstverpflichtung einhalten. Im Übrigen muss man auch den Imagegewinn für die Unternehmen auf der Nutzenseite einbeziehen.
52, ist Mitglied im Sachverständigenrat für Wirtschaft – bei den sogenannten Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung beraten. Als Professor für Sozioökonomie unterrichtet er an der Universität Duisburg-Essen mit dem Schwerpunkt Staatsfinanzen.
Die deutschen Firmen müssen Expert:innen einstellen, die nach Asien und Afrika reisen, um vor Ort den Brandschutz und anderes zu überwachen. Das kostet doch!
Das kommt vor allem auf die Ausgestaltung an. Es geht darum, Managementverfahren einzurichten und die wesentlichen Risiken zu identifizieren und zu begrenzen. Das verursacht keine gigantischen Kosten. Eine Studie für die EU-Kommission schätzt die Ausgaben für die relevanten Unternehmen auf weniger als 0,01 Prozent des Umsatzes.
Die neuen Regeln sollen auch für größere Mittelständler gelten. Diese haben gar nicht so ein großes Management, müssten aber teilweise Dutzende oder gar Hunderte Produzenten von Vorprodukten kontrollieren.
Deutsche Mittelständler sind bereits heute in der Lage, ihre Zulieferketten sehr gut zu organisieren. Sonst wären sie nicht so erfolgreich. Und wer eine hervorragende Qualität seiner Produkte in technischer Hinsicht garantiert, wird auch dazu in der Lage sein, wenn es um Löhne, Arbeitszeiten und Brandschutz bei den wesentlichen Zulieferern geht.
Das vergleichbare französische Gesetz umfasst nur Großunternehmen mit mindestens 5.000 Arbeitnehmer:innen. Ist das realistischer?
Die Wirtschaftsstrukturen lassen sich schwer vergleichen. Immerhin gibt es in Frankreich schon ein Gesetz. Die Beschäftigtengrenze sollte nicht so hoch sein, sonst wirkt das Gesetz kaum, weil es zu wenige Unternehmen betrifft.
Der Verband der Maschinenbauer meint, die Lieferketten seien oft so kompliziert über Dutzende Staaten verteilt, dass die Unternehmen hier kaum den Überblick behalten könnten. Haften sie dann nicht schnell für etwas, das sich ihrem Einfluss entzieht?
Das sind wohl eher Argumente der Wirtschaftslobby, die versucht, das Gesetz weichzuspülen. Die Unternehmen müssten nachweisen, dass sie sich präventiv darum kümmern, Risiken in ihren Zulieferfabriken auszuschließen. Tun sie das in angemessener Weise, dürften sie mit der Haftung keine Probleme bekommen.
Stellt das Gesetz das deutsche Exportgeschäftsmodell und das Wachstum in Frage?
Nein. Eventuelle nachteilige Effekte werden so klein sein, dass sie quantitativ im statistischen Rauschen untergehen.
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