Ökonom über EU-Haushaltsgipfel: „Die EU muss Google & Co besteuern“
Die EU verhandelt über ihren neuen Haushalt. Ökonom David Rinaldi fordert eigene Einnahmen durch Steuern auf die Gewinne von Google oder Amazon.
![Ein buntes Auto mit einer großen Kamera auf seinem Dach Ein buntes Auto mit einer großen Kamera auf seinem Dach](https://taz.de/picture/2575014/14/20137620.jpeg)
Die EU steigt in die Verhandlungen über den neuen Haushaltsplan ab 2020 ein. Was halten Sie von den Vorschlägen von EU-Kommissar Günther Oettinger?
David Rinaldi: Bisher liegt noch kein fertiger Entwurf vor, die EU-Kommission ist auf der Suche nach zündenden Ideen. Was Oettinger vorgeschlagen hat, läuft auf eine Kürzung aller Budgetposten hinaus, mit Ausnahme der Bildungs- und Forschungsprogramme Erasmus plus und Horizon 2020. Dadurch würde die vom EU-Budget eigentlich gewollte Umverteilung gestoppt und die wachsende Ungleichheit in den 28 EU-Staaten weiter verstärkt.
Gäbe es Alternativen? Bisher heißt es, der Brexit mache Einschnitte unvermeidlich.
Ja, es gibt durchaus Alternativen. Die Budgetberatungen sind eine gute Gelegenheit für eine Neuausrichtung der EU-Politik. Ein Schwerpunkt sollte dabei auf Investitionen und Konvergenz liegen. Bisher wird die wirtschaftliche Annäherung nur durch die sogenannten Konvergenzkriterien im Stabilitätspakt für den Euro definiert, also durch Abbau der Defizite und eine „Konsolidierung“ der nationalen Finanzen. Echte Konvergenz, also wirtschaftliche Annäherung, lässt sich aber nur durch Investitionen in das Humankapital, Innovationen und höhere Produktivität erreichen.
Die Niederlande und Österreich sind gegen eine Erhöhung des EU-Budgets; wo soll das Geld denn herkommen?
ist Chefökonom der „Foundation for European Progressive Studies“.
Die EU muss endlich eigene Einnahmequellen erschließen, um sich von den Mitgliedsstaaten unabhängiger zu machen. Die beste Lösung wäre eine „web tax“, also eine Steuer auf die Gewinne von Internetgiganten wie Amazon, Apple oder Google. Das gibt es noch nicht auf dem nationalen Level. Man nimmt den Finanzministern also kein Geld weg, und schafft einen echten europäischen Mehrwert.
Und was wird aus der Finanztransaktionssteuer? Bisher galt sie ja als Favorit für neue, sozial verträgliche EU-Ressourcen…
Natürlich brauchen wir diese Steuer, ökonomisch ist sie weiter sinnvoll. Doch politisch ist sie gescheitert, ich würde deshalb nicht mehr darauf setzen.
Angenommen, das EU-Budget würde erhöht – wofür sollten die zusätzlichen Mittel verwendet werden? Für Grenzschutz und Verteidigung?
Das Geld für Sicherheit und Grenzkontrollen sollte nicht unsere größte Sorge sein. Bisher fließen dahin nur 0,2 Prozent der EU-Mittel. Das ist lächerlich wenig und wird sicherlich aufgestockt. Für eine progressive Neuausrichtung würde ich aber andere Prioritäten setzen. So könnte man sich auf die Ziele der Lissabon-Strategie besinnen und in die Wissensgesellschaft investieren. Lebenslanges Lernen und eine aktive Arbeitsmarktpolitik – Europa muss endlich in seine Menschen investieren!
Haushalt: Was ist uns die EU wert? Darum geht es beim Sondergipfel der 28 Staats- und Regierungschefs. Sie beraten erstmals über den Haushalt für die Jahre 2021–2027. Der aktuelle Siebenjahresplan läuft noch bis 2020. Er hat ein Volumen von 963,5 Milliarden Euro, etwa 1 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung.
Vorhaben: Haushaltskommissar Oettinger (CDU) hat eine Erhöhung auf 1,1 Prozent „plus x“ vorgeschlagen. Für Deutschland machbar, die Groko hat sich für höhere Zahlungen an die EU ausgesprochen. 2013 sorgten Angela Merkel und der damaligen britische Premier David Cameron für ein Schrumpfen des EU-Haushalts. (ebo)
Was halten Sie davon, EU-Mittel an Voraussetzungen wie die Rechtsstaatlichkeit oder die Solidarität in der Flüchtlingspolitik zu binden?
Das ist längst überfällig. Genau wie wir die Maastricht-Kriterien haben, die über den Stabilitätspakt für den Euro überwacht werden, brauchen wir auch einen Mechanismus zur Einhaltung der Kopenhagen-Kriterien, bei denen es um Rechtsstaat und Menschenrechte geht. Es kann nicht sein, dass diese Kriterien beim EU-Beitritt ein einziges Mal geprüft werden und dann nie wieder.
Würde das Länder wie Ungarn oder Polen nicht noch mehr von der EU entfremden?
Kurzfristig ja. Aber wir brauchen einen Rahmen, damit Rechtsstaatsverstöße künftig nicht mehr möglich sind. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche