■ Ökolumne: SPD-Politik im Nebel - für jeden was dabei i Statt eines Konzepts liefert die SPD eine Wundertüte voller Widersprüche
Der umweltpolitische Sprecher der SPD, Michael Müller, demonstrierte Selbstbewußtsein: Die SPD habe im Umweltbereich einen haushohen Kompetenzvorsprung gegenüber den Grünen – sie spiele ihn nur nicht aus, behauptet er. Doch es fragt sich, ob die Kompetenz der SPD für einen echten Politikwechsel im Umweltbereich ausreichen würde.
Die SPD will sich ihrem Wahlprogramm zufolge „stärker auf die Festlegung von ökologischen Zielen und Zeitplänen konzentrieren“. Nur nicht vor der Wahl. Vorhaben wie der „Aufbau von Stoffkreisläufen in der industriellen Produktion“, „internationale Vereinbarungen gegen Umweltdumping“ oder der Bau der „Brücke ins Solarzeitalter“ weisen in die richtige Richtung. Doch die Ziele bleiben verschwommen. Konkrete Maßnahmen wie das erst in der Schlußabstimmung eingefügte 100.000-Dächer-Programm für die Solarenergie oder die Einführung der Verbandsklage, sind an einer Hand abzuzählen.
SPD-Politik im Nebel – für jeden was dabei Statt eines Konzepts liefert die SPD eine Wundertüte voller Widersprüche
Der Vergleich zwischen Programm und Wirklichkeit vermehrt die Fragezeichen. Im Programm versichert die SPD, sie werde „alles unternehmen, um die Nutzung der Atomkraft so schnell wie möglich zu beenden“. Kanzlerkandidat Gerhard Schröder plädiert vor der Industrie dagegen nur vage für einen mittelfristigen Ausstieg und die „Option auf eine kernenergiefreie Zukunft“. Und auch die „ökologische Steuerreform“ ist bei der SPD eine nebulöse Angelegenheit. Am Ende des Steuerkapitels finden sich dazu gerade einmal zweieinhalb Zeilen. Die Verfrachtung des Themas in das Umweltkapitel läßt vermuten, daß die SPD-Steuerpolitiker dem Projekt keine sonderliche Beachtung schenken. Zurückhaltende und teils offen ablehnende Äußerungen von Schröder oder NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement zur Ökosteuerreform tun ein übriges.
Dem Programm zufolge will die SPD den Energieverbrauch „maßvoll und berechenbar“ – keinesfalls „überzogen und untragbar“ – belasten. Auf die Nachfrage, was das denn nun konkret heißt, heißt es: Sechs Pfennige mehr pro Liter Benzin im Jahr seien denkbar. Ganz ohne ökologisches Motiv übertraf da die Bonner Koalition die Sozialdemokraten: Sie erhöhte in der vorangegangenen Legislaturperiode die Mineralölsteuer um immerhin 27 Pfennig. Das 3-Liter-Auto, mit dem die „deutsche Automobilindustrie die Zukunftsmärkte erobern“ soll (Wahlprogramm), würde auf diesem Pfad ein Nischenprodukt bleiben. Von der versprochenen „Reduktion der CO2-Emissionen im Verkehr“ ganz zu schweigen.
Im Umweltteil des Programms fordert die SPD „die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene“. Schon im Wirtschaftsteil des Programms ändern sich die Prioritäten: „Wir wollen, daß in Deutschland auch in Zukunft die besten Autos der Welt produziert werden.“ Nur unter dem Vorbehalt „nachprüfbarer und verbindlicher“ Ziele will die SPD Selbstverpflichtungen der Wirtschaft akzeptieren. In den Reden Gerhard Schröders fehlt dieser Vorbehalt. So zuletzt in Köln, wo er „Zielvereinbarungen statt minutiöser Vorschriften“ als Gebot der Stunde darstellte. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat solch blindem Vertrauen jüngst eine klare Absage erteilt.
„Klartext“ redete Schröder dann, wie angekündigt, auf Fragen zum Transrapid: Der werde gebaut! Der Bundes- und mehrere Landesparteitage haben zwar mit überwältigenden Mehrheiten das Gegenteil beschlossen. Doch Schröder nimmt sich die „Freiheit des Kandidaten“.
Das Verhältnis von Programmatik zur realen Politik läßt sich derzeit am besten in der Landespolitik ablesen. So haben die acht sozialdemokratischen Landesverkehrsminister zusammen mit ihren Kollegen einstimmig und weitgehend unbeachtet den gigantischen Ausbau nahezu aller deutscher Flughäfen beschlossen. Zusätzlich forderten sie von der Bundesregierung mehr Geld für den Fernstraßenbau.
Das Kontrastprogramm stellt das Bekenntnis der Sozialdemokraten zu den Forderungen des „Erdgipfels“ von Rio 1992 im Umweltteil des Wahlprogramms dar. Im Wirtschaftsteil findet sich dann wieder ein Paralleluniversum. Dessen Kernpunkt führt zu den Konzepten der sechziger und siebziger Jahre zurück: „Mehr Wachstum“ als Mittel der Wahl gegen die Arbeitslosigkeit. Peter Westenberger
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