Ökobrote mit Geschichte: Solidarische Splitterbrötchen
Vor 25 Jahren gründeten Idealisten das Vollkornkollektiv "Mehlwurm". Tortz Wandel auf dem Biomarkt ist sich die selbst verwaltete Vollkornbäckerei aus Neukölln treu geblieben.
Berlin galt unter Zugezogenen lange als Backwaren-Diaspora. Man konnte das einheimische Brot einfach nicht essen. Daran, dass sich das geändert hat, ist unter anderem die Neuköllner Biovollkornbäckerei "Mehlwurm" schuld. Die Gründer gehörten zu den Pionieren der Naturkostbewegung in Berlin. Ökologisch, vollwertig und gemeinschaftlich backen wollten sie, und das tun sie immer noch: Heute feiert der "Mehlwurm" bereits seinen 25. Geburtstag.
Ob Splitterbrötchen, Schokocroissants oder Brote namens "Windstärke 4" oder "Little Miss Sunshine" - die Bäckerei in der Pannierstraße stellt alles aus organisch-biologischem Getreide her. Das Korn kommt von Biobauernhöfen aus ganz Deutschland, gemahlen und gebacken wird in der eigenen Backstube. Außerhalb des Stammladens verkauft der "Mehlwurm" seine Produkte auch in Markthallen.
Als 1983 ein bunter Haufen aus Studienabbrechern und idealistischen Backstuben-Quereinsteigern den "Mehlwurm" gründete, war Vollkorn noch kein Geschäftsmodell, sondern eine Ideologie: Der Betrieb sollte allen gehören und kollektiv verwaltet werden. Die Lust auf Backen brachte sie zusammen - allerdings gab es nur einen, der es wirklich gelernt hatte: Wilfried Fahlenbock. Er ist heute 58 und verkauft am Stand in der Marheineke-Halle. Auch eine alte "Mehlwurm"-Tradition: Jeder soll machen können, worauf er Lust hat, für den gleichen Lohn - ob verkaufen, backen oder Bilanzen schreiben. Und doch haben sich Dinge geändert: Früher gehörte die Bäckerei den sechs Gründern gemeinsam, heute bilden sieben das Kernkollektiv eines 20-köpfigen selbst verwalteten Betriebs. "Wir wollten das erst nicht wahrhaben, aber wir sind die Arbeitgeber für die anderen", sagt Andreas Striegnitz, der viele Verwaltungsaufgaben übernimmt.
Bis zu 700 Brote täglich verkauft die Bäckerei in Neukölln, Kreuzberg, Moabit und Friedrichshain. Auch in diversen Naturkostläden liegen "Mehlwurm"-Produkte in den Regalen. Lecker sehen sie aus. Die Ansprüche an "Bio" haben sich gewandelt wie die Kundschaft. Die trägt heute nur noch selten Birkenstocks. "Bio ist Lifestyle geworden", resümiert Striegnitz und freut sich über das Umsatzplus, das der Bioboom gebracht hat.
Wilfried Fahlenbock betrachtet diese Entwicklung auch mit einem weinenden Auge: "In der Anfangszeit gab es in der Szene ein gesamtpolitisches Denken, zusammen mit einem ökologischen Anliegen. Das ist heute nicht mehr so", bedauert er. "Die Ansprüche gehen verloren." Oder sie ändern sich: "Früher war es ein deutliches Zeichen, wenn ein Brötchen schön schrumplig war - das konnte ja nur bio sein", erinnert sich Andreas Striegnitz. Bio soll heute lecker sein und schön aussehen. Und auch für Allergiker geeignet sein. Kuchen ist bei "Mehlwurm" komplett aus Dinkel, und die meisten der Brote sind ohne Backhefezusatz zu haben.
Die Konkurrenz ist hart. "In Bäckereifachzeitschriften werden Croissants für 18 Cent angeboten, die kommen tiefgefroren aus Indonesien", erzählt Fahlenbrock. "Und so ähnlich entwickelt sich das in der Biobranche ja auch gerade." In Biosupermärkten wird meist nur noch aufgebacken, viele traditionellen Biobäcker haben inzwischen die Rolle von Backfabriken übernommen, die gefrorene Teiglinge ausliefern.
Für die Mehlwürmer kommt das nicht in die Tüte: "Wir sind ein Handwerksbetrieb und wollen das auch bleiben". Der Kunde bekommt bei ihnen den Globalisierungsdruck bislang nicht zu spüren: Die "Mehlwurm"-Backwaren liegen im Preis leicht unter dem Biodurchschnitt, ein Sonnenblumenkernbrötchen kostet 35 Cent. Und zum Geburtstag gibts noch mal 25 Prozent Rabatt auf alles.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!