Öffentliches Gelöbnis in Hannover: Kleine Schönheitsfehler in der komplexen Choreografie
In Hannover fand am Dienstag ein öffentliches Gelöbnis der Bundeswehr statt. Nicht alle Erwartungen wurden da erfüllt, besonders nicht die der Presse.
D as muss sie jetzt wohl sein, diese Zeitenwende. Auf dem Platz vor dem Neuen Rathaus in Hannover, der bis vor kurzem noch Trammplatz hieß, dann aber in Platz der Menschenrechte umbenannt, weil der Herr Stadtdirektor als begeisterter Wegbereiter der Nazis irgendwie nicht mehr tragbar erschien, steht an diesem Dienstag ein grüner Oberbürgermeister und spricht Rekruten der Bundeswehr seinen Respekt, seinen Dank und seine Anerkennung aus, dafür, dass sie hier feierlich geloben, dieses Land und damit auch diese Gesellschaft und diese Demokratie zu verteidigen. Alles Dinge, die man noch vor ein paar Jahren für unmöglich gehalten hätte.
Nun ist so ein öffentliches feierliches Gelöbnis ein seltsames, etwas antiquiertes Ritual, zu dem man so oder so stehen kann. Aber das gilt für den Karneval, dessen Eröffnung mancherorts am Tag zuvor gefeiert wurde, ja auch. Diejenigen, die dieses spezielle Ritual ganz schrecklich finden, sieht man nicht, weil die Tribünen so geschickt aufgebaut wurden, dass sie den Blick auf die Gegendemonstration verwehren. Man hört den üblichen Mix aus Trillerpfeifen, Sprechchören und Musik. Einzig gelungener Gag: Der Sound von „Spiel mir das Lied vom Tod“ dringt ganz gut durch.
Die Rekruten und ihre Familien hätten sich das Ganze vielleicht ein bisschen erhabener gewünscht. Aber wenn man mal ganz ehrlich ist: So gut wie die Amis, mit ihrem unverkrampften Hang zu pathetischen Inszenierungen konnte die Bundeswehr das ja noch nie. Es gibt zwar eine komplexe Choreographie aus ganz viel Marschieren, Frieren, Stehen, Präsentieren, Augen links-rechts-geradeaus und so weiter.
Aber auch immer wieder so kleine Schönheitsfehler: In der Ehrenformation kippt hinten einer um und muss diskret davon getragen werden. Kurze Zeit später gleitet seinem Kameraden in der ersten Reihe das Gewehr aus der Hand.
Augen auf den Verteidigungsminister
Und irgendwo dazwischen marschiert immer wieder die Öffentlichkeitsbeauftragte mit Pressefotografen von der Pressetribüne zum nächsten „Bildpunkt“. Es ist die mit Abstand chaotischste Formation von allen: Von der Tribüne sieht es aus, als versuchte ein Rudel junger Hunde folgsam zu sein, doch dabei eifrig übereinander zu stolpern.
Von den rund 50 angemeldeten Pressevertretern sind die allermeisten natürlich hier, weil sie darauf lauern, ob dem Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nicht doch aus Versehen etwas Kanzlereskes entfährt. Der rächt sich, indem er die wahrscheinlich unpolitischste Rede seiner Laufbahn hält.
Und die Presse beim interessantesten Programmpunkt gleich ganz rausschmeißt: Nach dem Gelöbnis diskutiert er im Rathaus mit Schülern darüber, wie seine „Wehrpflicht light“ nun ins Werk gesetzt werden soll. Die Schüler kommen aus dem Jugendparlament und einem Politikkurs der Leonore-Goldschmidt-Schule und gehören genau in die Altersgruppe, die demnächst wohl Post aus dem Verteidigungsministerium bekommt. Man hätte ja gern gewusst, wie die diese Zeitenwende sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“