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Odenthal-“Tatort“ „Leonessa“Öde „Wie könnt ihr nur“-Haltung

Da wäre viel drin gewesen an Diskussionsstoff im „Tatort“ über freiwillige Sexarbeit von Minderjährigen. Aber es bleibt beim Moralisieren.

Vanessa (Lena Urzendowsky) verkauft Blowjobs, Odenthal (Ulrike Folkerts) ist entsetzt Foto: SWR/J. Krause-Burberg

Wäre dieser Krimi ein Krimi gewesen, es hätte ein guter werden können. Hans Schilling, Wirt des „Saloon“ im runtergekommenen Einkaufszentrum, liegt erschossen hinterm Tresen. Schilling galt als aggressiv und spielte sich in der Nachbarschaft als „Sheriff“ auf. Genug Stoff also für Motive, falsche Fährten, schrullige Nebenfiguren.

Aber der „Tatort“ möchte ja noch ein Sozialdrama in die Krimihandlung reinklammern. Und so heften sich die Kommissarinnen Odenthal (Ulrike Folkerts) und Stern (Lisa Bitter) an Vanessa und Leon, zwei 15-Jährige, die ziemlich ungeniert im Parkhaus Blowjobs für Geld anbieten. Vanessa hat das schlimme Schicksal, dass ihre Familie ein Hartz-IV-Klischee ist, und Leons Mutter ist so eine Alkoholikerin, wie es sie auch nur im Fernsehen gibt.

Die beiden Teenies, anstatt sich gefälligst retten zu lassen, reagieren zynisch und unbeeindruckt auf die „Wie könnt ihr nur“-Haltung der Kommissarinnen. Das bleibt so: Leon und Vanessa zynisch, die Kommissarinnen besorgt, und dazwischen gibt es noch den ebenfalls 15-jährigen Samir, der ist auch irgendwie besorgt; und hat das schlimme Schicksal, dass seine Familie ein arabisches Klischee ist. Außerdem ist er tatverdächtig: Er hat die Leiche gefunden.

Richtig, es gab ja eine Leiche.

Hans wer?

Aber wen kümmert der Tote, denn Odenthal und Stern sind ja mit Leonessa beschäftigt. Heimlich folgen sie den beiden Kids, obwohl sie längst wissen, dass die sich prostituieren und wo. Dann nehmen sie einen von Vanessas Kunden hoch. Aus dem pressen sie die Webseite raus, auf der Vanessa und Leon ihre Dienste anbieten. Melden sich dort an, um – voll genial – ein Date mit Leon auszumachen. Also mit dem jungen Mann, von dem sie ohnehin wissen, dass er anschaffen geht. Und wo.

Und das alles nur, damit Odenthal auf dem Parkhausdach sagen kann: „Du musst damit aufhören, es macht deine Seele kaputt.“ Und Leon entgegnen kann: „Meine Seele ist kaputt, seit ich geboren bin.“

Der Krimi

Der Ludwigshafen-„Tatort“ „Leonessa“ läuft am So., 8.3.2020 um 20.15 Uhr im Ersten und in der ARD-Madiathek.

Am Ende hat man der Krimihandlung so wenig Raum gegeben, dass man sie auch hätte weglassen können. Hans wer? Ebenso wenig durfte das eingepfropfte Sozialdrama sich entfalten. Freiwillige Sexarbeit durch Minderjährige – da wäre verdammt viel drin gewesen für ein filmisches Soziogramm. Aber die Figuren erwachen nie zum Leben, ihre Beweggründe bleiben unerkundet, und der Zynismus aller Beteiligten langweilt irgendwann fast so sehr wie die moralische Überlegenheit der Kommissarinnen.

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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Man muss mal einen Schritt zurücktreten und sich anschauen, wie der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk und andere Medien die sozial abgehängtem im Programm behandeln. Der Tatprt Ludwigshafen präsentiert Outcasts - und das in 2.-3. Generation - unfähig zu gemeinschaftlichem Handeln. Ein Bestiarium, von dem sich der satte Tatort-Glotzer in seinen Vorurteilen bestätigt fühlt. Tatort ist Fiktion und keine Doku, aber es ist schon bezeichnend, dass man erst zu den Proll Sendern schalten muss: Die serie "Mein Kiosk" oder über das Leben von Hartz IV Lebenden findet man dort - und sie werden eingeschaltet. Einst waren ARD und ZDF für Sozialreportagen bekannt, Tatorte aus dem 'Milieu' enthielten verschiedene Charaktere. nach dem SWR am Sonntag bleibt die gewollt oder nicht gewollte Message: Diese Assis haben es ja nicht besser verdient.......

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Tel Aviv, wie wir Franzosen sagen.

    Manch eineR mag sich nicht retten lassen. Vielleicht, weil er ahnt, dass das Schicksal diese Option für ihn nicht parat hat. Und weil er einfach nur froh ist, wenn alles vorbei ist. Final.

    In jungen Jahren habe ich selbst einen solchen Leon betreut - und war hoffnunglos damit überfordert, ihn nur ansatzweise zu verstehen. Er ist ständig ausgebüxt, hat sich in solchen Parkhäusern prostituiert. Weil er hoffte, ein klein wenig Liebe als 'Abfallprodukt' zu erhalten.

    Das ist gründlich schief gegangen. Er wurde einer der ersten minderjährigen Aids-Toten in Hessen.



    Offensichtlich war der Regisseur nicht in der Lage, einen "echten" Krimi zu machen. Dafür meinen Respekt.

    Sozialdrama versus Krimi: 1:1. Mehr geht wohl nicht in Deutschland beim ÖRF.

    Btw: Ich habe mir diesen Film nicht angetan. Ich weiß mit 67 Jahren, was von 'Jörmen Tellewischen' zu erwarten ist.

  • "Freiwillige Sexarbeit von Minderjährigen"

    Da muss man erstmal drauf kommen.

  • Mutig, als Mann heute so einen Artikel rauszuhauen.

  • Vorsicht, die TV Kritiken der taz waren aus meiner Sicht schon öfter absolut daneben. Schauen und selbst entscheiden. Außerdem ist es die subjektive Meinung vom Genossen Weissenburger

  • Wen wundert`s. Schließlich ist der „tatort“ ein abbild bundesrepublikanischer befindlichkeiten, ob es uns gefällt oder nicht. Bei parlamentswahlen entscheiden zunehmend älter werdende menschen über eine zukunft von der sie selbst nicht mehr betroffen sein werden. Daran ändern – leider - auch die „grandparents for future" oder „omas gegen rechts“ nichts grundsätzliches.

    Bei den „tatort“-verantwortlichen der meisten ard-anstalten haben sich beharrliches festhalten an altbewährtem und furcht vor neuerungen zu einer beinahe pathologisch anmutenden einstellung geführt, die Uwe Henrik Peters im Lexikon Psychiatrie, Psychotherapie, medizinische Psychologie so beschreibt: „Als gerontophilie bezeichnet man das dauernde beziehungsweise überwiegende Interesse an älteren menschen.“

    Ulrike Folkerts, Miroslav Nemec, Udo Wachtveitl stehen nur stellvertretend für redaktionsstäbe, senderveranwortliche, produktionsfirmen, künstler-, presse- und pr-agenturen, journalisten und moderatoren diverser talk-formate die seit jahrzehnten im geschäft sind. Und es um nahezu jeden preis auch bleiben wollen.

    Um missverständnissen vorzubeugen: Von den eigenproduktionen der privaten kommerzsender ist eh‘ nichts zu erwarten.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @hinnerk untiedt:

      Ob ARD, ZDF und andere Öffentlich-Rechtliche "gerontophil" sind, möchte ich nicht beurteilen wollen.

      Wie bei jeder Pauschalisierung platzt mir auch hier mein (offener) oberster Kragenknopf. Wenn die Realität so plump wäre, wie Sie es mit dem benutzten Zitat darzustellen versuchen, wäre es wirklich traurig.

      Real - und darum sollte es gelegentlich gehen - soll es sogar Alte geben, deren Lust an Neuem größer ist die etlicher Perso-Junger.

      Vive la difference!!!

  • Danke! Jetzt weiß ich immerhin schon mal, was ich mir heut abend nicht angucken muss.