Oberbürgermeister-Wahl in Dresden: Wer setzt sich durch?

In Dresden wollen Grüne, Linke und SPD den amtierenden FDP-Oberbürgermeister Dirk Hilbert ablösen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht.

Eine Blumenwiese vor der Dresdner Altstadt.

Wer wird Dresden regieren? Der wilde Schnittlauch am Elbufer verrät es nicht Foto: Robert Michael/dpa

DRESDEN taz | Die Dresdner Oberbürgermeisterwahl ist ein Ereignis, das über die Grenzen Sachsens hinweg spannend ist. Nicht nur, weil sich an ihr ablesen lassen wird, wie weit der Niedergang der AfD inzwischen auch im Osten Deutschlands vorangeschritten ist. Sondern auch, weil es sein könnte, dass in der nach Leipzig zweitgrößten Stadt Ostdeutschlands zum ersten Mal seit dreißig Jahren ein:e Mitte-links-Kandidat:in Stadtoberhaupt wird – seit der Wende wurde Dresden ausschließlich von CDU- und FDP-Politiker:innen regiert.

Nach dem desaströsen Ergebnis bei der vergangenen Oberbürgermeisterwahl 2015 schickt die einst in Dresden so erfolgreiche CDU diesmal jedoch erst gar kei­n:e Kan­di­da­t:in ins Rennen. Bei jener OB-Wahl kam CDU-Kandidat Markus Ulbig, Sachsens damaliger Innenminister, gerade mal auf 15 Prozent. Auch bei der Stadtratswahl 2019 büßte die Dresdner CDU deutlich an Stimmen ein.

Der Verzicht auf eine eigene Kandidatur habe laut CDU-Kreischef Markus Reichel jedoch nichts mit einem Mangel an konkurrenzfähigen Kan­di­da­t:in­nen zu tun. „Es ist besser, einen in der Bevölkerung anerkannten OB zu stützen, als ihn durch eine eigene Kandidatur zu schwächen“, sagte Reichel im März.

Sieben Jahre Hilbert

Der amtierende Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) jedoch, der als überparteilicher Kandidat für den Verein „Unabhängige Bürger für Dresden“ zur Wiederwahl antritt und von FDP und CDU unterstützt wird, hat im Laufe seiner siebenjährigen Amtszeit an Anerkennung eingebüßt.

Zwar sind seit seinem Amtsantritt mehr als 25.000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden, hat sich die Arbeitslosenquote um zwei Prozent auf 5,4 Prozent verringert und haben sich die Gewerbesteuereinnahmen um 170 Millionen Euro erhöht. Auch die vor knapp einem Jahr eröffnete Halbleiterfabrik von Bosch im Norden Dresdens zählt zu den Erfolgen des OBs, der unter anderem die Wirtschaft voranbringen wollte.

Allerdings ist es dem 50 Jahre alten Wirtschaftsingenieur nicht gelungen, die großen Probleme der sächsischen Landeshauptstadt zu lösen: Dresden hängt sowohl beim Radwegeausbau als auch beim Klimaschutz deutlich hinterher. Die Kaltmieten sind stetig gestiegen, die Zahl der armutsgefährdeten Menschen hat sich um 10.000 auf 78.700 erhöht und auch die gesellschaftliche Spaltung ist eher größer als kleiner geworden.

Zögerlich während Corona

Hinzu kommen Hilberts zögerliches Handeln während der Coronapandemie, für das er zum Teil heftig kritisiert wurde, sowie die Patzer bei seiner Nominierung durch den Verein „Unabhängige Bürger für Dresden“. Bei Hilberts Aufstellung hatten zwei Vereinsmitglieder mitgewirkt, die dazu nicht berechtigt gewesen waren, weil sie zu diesem Zeitpunkt nicht in Dresden wohnten. Eine der beiden Personen hatte zudem eidesstattlich erklärt, dass die Wahlversammlung korrekt ablief – wozu sie in diesem Fall ebenfalls nicht befugt war.

Sieben OB-Kandidat:innen reichten daraufhin Beschwerden bei der Landesdirektion Sachsen ein. Die Aufsichtsbehörde entschied zwar im April, dass Hilbert trotz der Formfehler an der Wahl teilnehmen darf. Dennoch hat das Hin und Her um seine Wahlzulassung Hilberts Image geschadet.

Gute Chancen also für die Mitte-links-Parteien, sich gegen den Amtsinhaber durchzusetzen. Anders als 2015 schicken Linke, Grüne und SPD diesmal kei­ne:n ge­mein­sa­me:n Kan­di­da­t:in ins Rennen, sondern stellen jeweils eigene Kan­di­da­t:in­nen auf. Erst im zweiten Wahlgang am 10. Juli wollen sich die Parteien zusammentun und die Person unterstützen, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen geholt hat.

Die Ziele der Kan­di­da­t:in­nen

Für die SPD tritt der Innenpolitiker und Landtagsabgeordnete Albrecht Pallas an. Der 42-Jährige ist in Dresden geboren und hat vor seinem Einstieg in die Berufspolitik als Polizist gearbeitet. Er will sich um die Alltagsprobleme der Dresd­ne­r:in­nen kümmern: bezahlbare Mieten, ein sauberes Wohnumfeld, einen nachhaltigen und effizienten Verkehr, sichere Jobs mit guten Löhnen, gut ausgestattete Schulen und Kitas, genügend Freiräume für junge Menschen.

„Dresden ist ein starker Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort und eine sehr schöne Stadt, aber Dresden droht zurückzufallen“, sagte Pallas bei einer Podiumsdiskussion am Montagabend in Dresden. „Unser Land und auch unsere Stadt stehen vor der größten Modernisierung von Industrie und Wirtschaft seit 1990.“

Bis spätestens 2045 solle Deutschland – und damit auch Dresden – klimaneutral sein. Um das zu erreichen, müssten Entscheidungen getroffen und konkrete Ziele gesetzt werden, sagte der Sozialdemokrat. „Ich erlebe Dresden in den letzten sieben Jahren aber anders.“

Streit und Verzögerungen

Der amtierende Stadtchef Hilbert habe sich auf den Erfolgen der Vergangenheit ausgeruht und sich häufig vor Entscheidungen gedrückt, was zu Streitereien und Verzögerungen bei wichtigen Infrastrukturprojekten geführt habe. Als Beispiel nannte Pallas das 2015 beschlossene Radverkehrskonzept, das bis 2025 realisiert werden soll, bisher aber erst zu 17 Prozent umgesetzt wurde. Hilbert gehe die Zukunftsfragen zu kompliziert und langwierig an.

Dieser Ansicht ist auch Linken-Kandidat André Schollbach, der Hilbert „eine gewisse Bequemlichkeit und Selbstzufriedenheit“ zuschreibt. Schollbach, 43, ist seit 2007 Linken-Fraktionsvorsitzender im Dresdner Stadtrat und arbeitet als Rechtsanwalt. Sein Ziel ist es, Dresden gerechter zu machen.

Eines der großen Probleme der Stadt seien die steigenden Mieten. „Ich will dafür sorgen, dass Wohnen in Dresden bezahlbar bleibt – zum Beispiel, indem wir die Mietpreisbremse einführen, den sozialen Wohnungsbau vorantreiben und städtische Grundstücke nicht mehr privatisieren“, sagte der OB-Kandidat bei der Podiumsdiskussion.

Ziel: Nazis raus

Darüber hinaus möchte Schollbach die jährlichen Erhöhungen der Ticketpreise für Bus und Bahn beenden und entschlossener gegen Rechtsextremismus vorgehen. „Seit Jahren missbrauchen rechte Hetzer die Straßen und Plätze unserer Stadt. Daher habe ich mir ein großes Ziel gesetzt: Ich möchte Dresden zur unfreundlichsten Stadt für Nazis, Hetzer und alle anderen Feinde der Demokratie machen.“

Die Kandidatin der Grünen ist die gebürtige Dresdnerin Eva Jähnigen. Seit 2015 ist sie Beigeordnete für Umwelt und Kommunalwirtschaft in Dresden, kurz: Umweltbürgermeisterin. Davor war sie sechs Jahre Abgeordnete im Sächsischen Landtag und als Rechtsanwältin tätig, vor der Wende hat sie als Werkzeugmacherin und Krankenschwester gearbeitet.

Aufgrund einer Corona-Infektion konnte Jähnigen nicht an der Podiumsdiskussion teilnehmen, stattdessen hat sie mit der taz telefoniert. Jähnigen will Rathauschefin werden, weil sie als Umweltbürgermeisterin nicht genug Entscheidungsmacht habe. „Die wenigsten Klimaschutzmaßnahmen werden im Ressort der Umweltbürgermeisterin realisiert“, erklärte sie und nannte als Beispiele den Verkehr, die Baubranche, die Wärme- und Energieversorgung.

Grüne Energie und grüne Mobilität

Die Stadtwerke müssten „konsequent“ auf erneuerbare Energien umsteigen, und das könne sie nur als OB durchsetzen. Sie möchte etwa Fotovoltaikanlagen auf Gebäuden und Windräder im Stadtgebiet errichten lassen. Daneben will Jähnigen den Radverkehr stärken. Radwege müssten so gebaut werden, „dass ein zehnjähriges Kind bedenkenlos überall mit dem Rad hinfahren kann“. Null Verkehrstote lautet ihr Ziel. Nicht zuletzt will die Grünen-Politikerin Dresden zu einer „weltoffenen“ Stadt machen und dafür „die vielen Menschen“ unterstützen, die sich für Demokratie und gegen Rassismus einsetzen.

Würde Jähnigen die Wahl gewinnen, wäre sie das zweite grüne Stadtoberhaupt in Ostdeutschland. Nur Greifswald hat einen grünen Oberbürgermeister.

Neben Pallas (SPD), Schollbach (Linke) und Jähnigen (Grüne) tritt noch ein weiterer Mitte-links-Kandidat an: Martin Schulte-Wissermann von der Piratenpartei. Der 51 Jahre alte promovierte Physiker sitzt seit 2014 im Stadtrat und plant ein radikales Umsteuern in der Klima- und Verkehrspolitik. „Ich bin bekannt dafür, dass ich Dinge ausspreche und nicht dumm rumlabere“, sagte Schulte-Wissermann bei der Podiumsdiskussion.

Klimaneutrales Dresden

Sein Ziel ist es, Dresden bis 2035 klimaneutral zu machen. „Dafür müssen wir ganz Dresden dekarbonisieren.“ Der Dresdner Energieversorger Sachsen-Energie sei durch den Oberbürgermeister und die Verwaltung bisher „immer daran gehindert worden, hier irgendetwas zu tun“, sagte Schulte-Wissermann. Es brauche Solaranlagen auf „jedem Dach“. Außerdem müsse das Konzept Auto in der Innenstadt nicht nur infrage gestellt, sondern abgeschafft werden. Der Piraten-Politiker fordert eine autofreie Neustadt und Altstadt.

Für die AfD kandidiert Maximilian Krah, Vize-Chef der sächsischen AfD und EU-Abgeordneter. Der 45 Jahre alte Jurist, der bis 2016 Mitglied der CDU war, hat engen Kontakt zu russischen Hardlinern und taucht viermal im AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes auf, unter anderem weil er regelmäßig das Wort „Umvolkung“ benutzt und in Bezug auf die Fluchtbewegung 2015 von „orientalischer Landnahme“ sprach.

Krahs Ziel ist es, „die Identität Dresdens zu stärken“. Anders als „diejenigen, die zurzeit im Rathaus die Mehrheit haben“, wolle er den „politisch aktiven Bürgern“ zuhören und „nicht zu Gegendemos“ aufrufen. Das gehöre sich in einer Demokratie nicht, sagte der AfD-Politiker.

Der AfDler wird's wohl nicht

Krahs Chancen auf den Posten des Oberbürgermeisters sind extrem gering. Krah wird im zweiten Wahlgang weder mehr Stimmen als der jetzige Rathauschef Hilbert bekommen noch als die Kan­di­da­t:in von Grünen, SPD und Linken. Dafür genügt nur ein Blick auf die Sitzverteilung im Stadtrat. Auch Jähnigen, Pallas und Schollbach räumen dem AfD-Politiker keine Chance auf den OB-Posten ein. „Ich sehe kein Szenario, in dem ein AfD-Kandidat siegreich aus der Wahl hervorgehen könnte“, sagte etwa Albrecht Pallas (SPD) der taz.

Weitere Kandidaten sind Marcus Fuchs und Sascha Wolff von der Initiative „Querdenken 351“. Fuchs ist Informatiker und Anführer der Querdenken-Bewegung in Dresden, Wolff wurde als Maskenverweigerer im Mai vor Gericht zu einem Bußgeld verurteilt. Beide gelten als komplett chancenlos.

Der neunte und jüngste Kandidat ist Sozialarbeiter Jan Pöhnisch, Jahrgang 1990. Er tritt für die Satirepartei Die Partei an. Pöhnischs zentrales Thema ist die Digitalisierung. „Es brauche nur einen einzigen Computervirus oder einen Angriff von einem mies gelaunten Hacker und schon würden sich die Maschinen gegen Dresden erheben und versuchen, die Stadt zu versklaven“, sagte der Satire-Politiker dem MDR. Daher wolle er „alle notwendigen Haushaltsmittel dafür einsetzen, eine leistungsfähige elektromagnetische Impulsbombe zu bauen“.

Ausgang offen

Wer am Ende die Wahl gewinnen wird, ist schwer vorherzusagen. Geht man von den Ergebnissen bei der letzten Stadtratswahl 2019 aus, könnte man vermuten, dass Grünen-Politikerin Eva Jähnigen das Rennen macht. Bei jener Wahl holten die Grünen die meisten Stimmen, die CDU wurde erstmals seit 1990 nicht mehr stärkste Kraft.

Bei der Bundestagswahl landeten die Grünen in Dresden mit 16,8 Prozent knapp hinter SPD und AfD auf Platz drei, gewannen dafür aber am meisten Stimmen hinzu. Ihr Ergebnis verbesserte sich um 8, das der SPD um 7,5 und der FDP um 2 Prozentpunkte. AfD, CDU und Linke verloren hingegen an Stimmen.

Da die Oberbürgermeisterwahl aber eine Personenwahl ist, lässt sich von vergangenen Wahlen nicht auf die anstehende schließen. Entweder es wird der amtierende Oberbürgermeister Hilbert – oder aber die Kan­di­da­t:in von Grünen, SPD und Linken.

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