Obdachlosigkeit in Corona-Zeiten:„Die da drinnen, wir da draußen“
Tagaus, tagein wohnt Mirko am „Boxi“, dem Boxhagener Platz in Berlin – auch vor der Corona-Epidemie. Wie Obdachlose unter der Krise leiden.
Aus berlin, 27.3.2020, 18:59 Uhr
Also das Wetter hier ist wirklich herrlich“, kreischt auf dem Bürgersteig eine junge Frau in ihr Headset hinein. „Findest du nicht auch, Lara, dass dieses geile Wetter supi gegen Corona hilft?“ Als die Telefonierende auf leuchtendweißen Sneakers am Boxhagener Platz, kurz Boxi genannt, eine Parkbank passiert, guckt dort ein Mann mit Aktentasche kurz hoch von seiner Lektüre. Dann studiert er wieder „Anlegen leichtgemacht“, herausgegeben von der Stiftung Warentest.
Auf dem Boxi, dieser innerstädtischen Berliner Freifläche, einem zentralen Treffpunkt in jener eher jung geprägten Ausgehecke des Stadtteils Friedrichshain, herrscht trotz staatlich verordneter Kontaktsperre noch reges Treiben. Menschen machen Homeoffice-Mittagspause mit Döner oder Sanddornsaft, Kinder tollen mit Eltern auf der Grünflache herum. Wer sich nicht kennt, hält brav anderthalb Meter Abstand. Unter den Obdachlosen, für die der Boxi eine traditionelle Anlaufstelle ist, kennen sich viele. Manchen fällt es sichtbar schwer, Distanz zu halten – andere Obdachlose und Helfer*innen sind ihre oft große Ersatzfamilie.
Geschätzt zwischen 2.000 und 10.000 Obdachlose gibt es in Berlin, rund 50.000 bis 100.000 in Deutschland. Für sie ist das Leben in Zeiten von Corona noch viel härter und komplizierter, als es davor schon gewesen ist. Mirko am Boxi ist einer von ihnen. Er will, wie die meisten anderen Obdachlosen hier, nicht seinen ganzen Namen nennen. Nahe dort wo „Anlegen leichtgemacht“ studiert wird, sitzt der Urberliner an diesem grellsonnigen, kalten Vormittag auf einem abgewetzten, schwarzen Bürodrehstuhl.
In den Siebzigern geboren in der nahen Kopernikusstraße, leben seine Eltern immer noch ums Eck. Mirko lebt hier auf der Grünfläche tagein, tagaus. Sein Übernachtungsplatz befindet sich meist unter einem alten Baum, er teilt ihn sich mit Männern aus Rumänien, Bulgarien oder Polen. Mirko liegt meist schon um 20 Uhr im Schlafsack auf einer Einzelmatratze, neben sich einen kleinen Hut. Wenn die Sonne über die sanierten Altbauten ringsum kriecht, wacht er auf. Zu seinem einzigen Bruder hat er lange keinen Kontakt mehr.
Zahlen Jeder Mensch hat ein Recht darauf, menschenwürdig untergebracht zu werden – egal, ob er oder sie sich dauerhaft oder geduldet hier aufhält. Sozialexpert*innen unterscheiden zwischen Wohnungslosen und Obdachlosen. Laut Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe gab es 2018 678.000 Wohnungslose, davon rund 50.000 Obdachlose und 441.000 anerkannte Geflüchtete. Die Obdachlosenzahl, so argumentieren diverse andere Sozialverbände und Einrichtungen, sei viel zu niedrig, die Dunkelziffer sei hoch.
Wohnungslose/Obdachlose Als wohnungslos in Deutschland gilt, wer unfreiwillig in Pensionen, Hostels oder Wohnheimen unterkommt. Die staatlich bezahlte Maßnahme läuft wie bei untergebrachten Obdachlosen über die jeweiligen Ordnungsgesetze der Länder. Obdachlose leben nach eigenen Aussagen zum Teil freiwillig auf der Straße; sie sind oft sichtbarer im öffentlichen Raum als Wohnungslose und kommen nur zum Teil bundesweit in Notunterkünften verschiedener Träger unter.
Notunterkünfte Das Gros der Notunterkünfte öffnet nur von Oktober bis März. Während der Corona-Krise sollen jetzt bundesweit manche bis Ende April oder Mai öffnen. In Berlin gibt es bis dato 250 Ganzjahresplätze für Obdachlose, davon 50 für Frauen. Im Winter hat es 1.200 Notplätze für meist Männer, aber auch Frauen und Paare. Geplant waren schon vor der Krise, so Sozialsenatorin Breitenbach (Die Linke), weitere 600 Ganzjahresplätze sowie 600 bezirkliche.
Spenden: karuna-sozialgenossenschaft.de (hwo)
„Und jetzt bei Corona meiden mich meine Freunde aus der Nachbarschaft, die mit den richtigen Wohnungen. Die, die sonst immer mal vorbeigucken. Schöne Freunde sind dit, wa.“ Mirkos helle Augen werden glasig, aber er weint nicht los, er nimmt einen Schluck Sternburg Export. „Ich war bis 2005 Kesselreiniger beim Bewag Energieversorger damals, dann hatte ich einen Getränkeunfall. Zu viel Bier, Arm aufgeschnitten.“ Entzug? „Brauch ich nicht mehr, hat ich schon. Wenn ich eine Wohnung hätte, würde ich nicht trinken.“ Jetzt, beobachtet Mirko, leuchteten ständig in der Dunkelheit „wie Waben“ die Etagen in den Häusern. „Alle Normalos da drin, und wir da draußen. Wir, die wir jetzt viel sichtbarer als sonst sind.“
Wer sich als Obdachlose(r) bis jetzt in deutschen Städten mit dem Verkauf von Straßenzeitungen und Pfandsammeln durchgeschlagen hat, hat gerade fast immer das Nachsehen. Denn wer es sich leisten kann, zahlt während Corona mit Karte und hat oft nichts mehr Bares zum Spenden dabei.
Und erst jetzt, rund zwei Wochen nach dem sichtbaren Beginn der Corona-Krise in Deutschland, geht es in den Kommunen endlich auch um Menschen, die nichts besitzen. Menschen, die keine Wohnung haben, keine Krankenversicherung und auch keine Bankkarte, die aber Hunger und andere grundlegende Bedürfnisse haben, wie Duschen, in Ruhe aufs Klo gehen oder ein sauberes Handtuch. Menschen, welche die Kanzlerin auch in ihrer letzten, ernsten Ansprache mit keinem einzigen Wort erwähnte. Stattdessen las Merkel persönlich vor, dass medizinische Fußpflege weiterhin möglich sei – in diesen, unseren Corona-Zeiten. Wen inkludiert in dieser Krise das Wort „uns“?
Mirko vom Boxi krault Assmann, der neben ihm kauert, ein wuscheliger, pechschwarzer Mischlingshund. „Hey, du alter Assi, guck mal, da vorne gibt’s Suppe!“ Da vorne, das ist die werktägliche, gratis Essens- und Getränkeausgabe am Boxi. Sie gibt es für obdachlose Jugendliche und Erwachsene vor dem hölzernen Café-Pavillon. Ihn betreibt die „Karuna Hilfe für Kinder und Jugendliche in Not“ seit fast 18 Jahren hier. Seit diesem Montag offeriert man dort von 10 bis 13 Uhr wechselnde Suppen, dazu ein Stück Brot und Nachtisch. Ehrenamtlich kochen Freiwillige des Vereins Kulturkombüse, angeliefert wird in großen Metallbehältern, und der Fruchtquark stammt an diesem Dienstag von der Freien Waldorfschule in Kreuzberg. Die spendet ihre verderbliche Kantinenware gerade an diverse Hilfsorganisationen.
„Jetzt bei Corona meiden mich meine Freunde mit den richtigen Wohnungen. Schöne Freunde sind dit, wa“
„Hi, Kovid, ruft Friederike Schuster, 45, die hier alle Rieke nennen, „nimm’s mir nicht übel, Kovid, aber jetzt kann ich mir während Corona endlich deinen Namen merken!“ Kovid ist ein junger Schwarzer, er reckt lächelnd den Daumen hoch an der Essensausgabe. Eine provisorische Plexiglasabsperrung trennt Rieke und ihre 38-jährige Kollegin Vaia Dedousi-Hübner von den draußen nach Essen anstehenden Menschen. Heute gibt es 160 Portionen Eintopf, für morgen sind rund 200 Portionen bestellt. Draußen versucht ein Kollege von Karuna gerade freundlich bestimmt, die nötigen Abstände klarzumachen zwischen den anstehenden Menschen.
Sie kommen aus Polen und Bulgarien, aus Rumänien und Deutschland, es sind wesentlich mehr Männer als Frauen dabei. Menschen aus Marokko und Griechenland warten auf etwas Warmes, auch Geflüchtete ohne Bleibe und mit unklarem Aufenthaltsstatus stehen hier. Es sind Minderjährige dabei und Menschen im höheren Rentenalter, die meisten sind wohl zwischen Anfang 20 und Mitte 50. Mit Tüten und Taschen überquellende Einkaufswägen stehen auf den Kieswegen, andere Obdachlose haben nur einen schweren Rucksack dabei oder ziehen einen akurat gepackten Einkaustrolley inklusive Kuscheltieranhänger. Viele sind gesprächig, dankbar für Infos zu Corona, die unter anderem per mehrsprachiger Gratiszeitung momentan durch Karuna verteilt werden.
Rund 2.000 Obdachlose in Berlin zählen zu einer besonders gefährdeten Corona-Risikogruppe schätzt der Vorstand der Karuna Sozialgenossenschaft, Jörg Richert. Gerade ist er täglich am Boxi. Risikogruppe sind diese Menschen wegen Alter und schlechter Gesundheit, wegen Drogenkonsum und oft unbehandelten Vorerkrankungen. „Und auch wegen einer trügerischen, oft weit verbreiteten Sorglosigkeit nicht nur in Bezug auf Corona in dieser Gruppe“, so Richert, studierter Kulturwissenschaftler und Ex-Leiter von Jugendklubs in der ehemaligen DDR.
Bis Stand Donnerstagnachmittag ist in Berlin nicht bekannt, ob ein obdachloser Mensch unter Corona-Verdacht in Quarantäne ist, keinen bestätigten Fall meldet das Gesundheitsamt. Anders als etwa in Hamburg: Dort müssen rund 300 Personen seit letztem Wochenende in einer Winternoteinrichtung drin bleiben, weil ein Mitbewohner positiv getestet wurde. In Berlin testet man derzeit nicht gezielt bei Obdachlosen, was bei einigen sicher auch auf Widerstand stieße. Sozialsenatorin Elke Breitenbach von der Linken hat sich am Dienstag von den Abgeordneten des Landes Berlin die ersten 350 Plätze als 24-Stunden-Wohnmöglichkeiten für Obdachlose in der Corona-Krise bewilligen lassen. Unterkünfte mit Angeboten für Suchttherapie und kontrollierter Drogenabgabe und – mit Platz für Hunde. In vielen konventionellen Notunterkünften sind Hunde verboten.
„Es ist ein Experiment, wir wissen nicht, ob Obdachlose dieses ganztägige Angebot annehmen. Doch wir wollen es gerade jetzt in der Krise versuchen“, so Breitenbachs Pressesprecher Stefan Strauß am Telefon. Dazu sollen schnellstmöglichst eine große Jugendherberge im zentralen Stadtteil Tiergarten für 200 Menschen und eine Notunterkunft in Pankow umfunktioniert werden. In dem siebenstöckigen Haus in der dortigen Storkower Straße und eventuell auch in der Jugendherberge soll dann jeweils eine ganze Etage nur für Quarantänefälle reserviert sein. Jörg Richert von Karuna findet es problematisch, dass die Quarantäne in den selben Gebäuden stattfinden soll. Er glaubt zudem, dass die Quarantänebetten für Obdachlose nicht reichen werden. Derzeit verhandelt Karuna mit einigen Berliner Hotel- und Hostelbetreibern, ob diese möglicherweise ihre derzeit leerstehenden Häuser für Obdachlose öffnen können.
Die Polizei schaut vorbei
Zurück zum Boxhagener Platz in Friedrichshain. Karuna-Mitarbeiter haben gerade zehn Euro in Münzen an Bedürftige verteilt. Das Geld kommt durch eine spontane, bundesweite Spendenaktion. Von befreundeten Organisationen, die Mitglieder der Karuna Sozialgenossenschaft sind, wird es auch in Hamburg und Krefeld ausgegeben. Möglichst jeden Werktag soll das in nächster Zeit passieren. Abdel und Margaret löffeln ihre Suppen, es gibt es Weißkohleintopf mit Kartoffeln und Kassler. Das Paar blinzelt fast genüsslich ins Gegenlicht. „Schmeckt“, meint Abdel zugewandt und erzählt, dass er sieben Sprachen kann. „Vielleicht noch einen Tick Salz mehr.“ Auf seinem schwarzen Kapuzenshirt prangt der Spruch „Let’s screw things up for the better“ – Lasst uns die Dinge zum Besseren vermasseln.
„Deutschland ist gut, wir kriegen Essen und Schlafen. Nur eine eigene Wohnung und Arbeit, das klappt einfach nicht“
Der 53-Jährige ist von Beruf Koch, gebürtig aus Marokko, hat er 32 Jahre in Polen gelebt, wo sein letzter Chef pleiteging. Ungefähr zeitgleich mit Margaret strandete er Ende 2018 in Berlin. Sie war als Polin mit deutschem Pass gerade aus der Türkei zurück, wo sie über 20 Jahre lang Zwillingsmädchen großgezogen hatte. „Deutschland ist gut,“, sagt die 52-Jährige, „wir kriegen Essen und Schlafen, wir sind dankbar. Aber das mit der eigenen Wohnung klappt einfach nicht. So oft waren wir schon auf’m Amt.“ Die beiden wollen heiraten, einen Job finden – als Koch, im Krankenhaus oder im Gartenbau. Doch derzeit ist es außer in der Alten- und Krankenpflege schwer, etwas zu finden. Abdel und Margaret bleiben also erst mal auf der Straße, nachts gehen sie in eine Notunterkunft.
Als sich eine Gruppe von Karuna-Mitarbeiter*innen am Boxi für ihre neue werktägliche „Obdachlosenaufsuche“ als Taskforce sammelt, fährt ein Mannschaftswagen der Polizei vor. Es nähern sich Beamt*innen in voller Montur, man habe Anrufe von Anwohner*innen erhalten, „hier werde der Abstand zwischen Personen nicht eingehalten“. Vorstand Jörg Richert bleibt ruhig mit der Polizei, sie zeigt sich verständig, dass jene neue Zweimenschen-Regel hier noch nicht so richtig funktioniert, mahnt zum Distanzhalten – und zieht wieder ab. Auf Nachfrage zum momentanen Umgang der Exekutive mit Obdachlosen erklärt einer der Pressesprecher*innen der Berliner Polizei, Michael Gassen, am Telefon: „Wir sind uns der besonderen Situation bewusst, aber es gelten erst mal die gleichen Sicherheitshinweise wie bei anderen Personen auch.“
„Eine solche Pandemie hat doch niemand hier auf dem Schirm gehabt! Für Menschen auf der Straße ist die besonders schlimm“, meint gegen Abend ein Schutzpolizist einer Mobilen Wache nahe des Boxis. Anonym will er bleiben, er steht kurz vor der Rente, eigentlich gehört er zur Corona-Risikogruppe. „Dit is mein Beruf, Punkt. Aber wenn überhaupt, haben wir Atemschutzmasken, deren Haltbarkeitsdatum längst abgelaufen ist. Und drei alte Schutzanzüge in einem großen Abschnitt.“ Polizeisprecher Gassen sagt auf Nachfrage: „Unser ärztlicher Dienst sagt, dass zumindest die Schutzmasken noch weiter tauglich sind.“ Dann wird ja alles gut?
Zahlen Jeder Mensch hat ein Recht darauf, menschenwürdig untergebracht zu werden – egal, ob er oder sie sich dauerhaft oder geduldet hier aufhält. Sozialexpert*innen unterscheiden zwischen Wohnungslosen und Obdachlosen. Laut Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe gab es 2018 678.000 Wohnungslose, davon rund 50.000 Obdachlose und 441.000 anerkannte Geflüchtete. Die Obdachlosenzahl, so argumentieren diverse andere Sozialverbände und Einrichtungen, sei viel zu niedrig, die Dunkelziffer sei hoch.
Wohnungslose/Obdachlose Als wohnungslos in Deutschland gilt, wer unfreiwillig in Pensionen, Hostels oder Wohnheimen unterkommt. Die staatlich bezahlte Maßnahme läuft wie bei untergebrachten Obdachlosen über die jeweiligen Ordnungsgesetze der Länder. Obdachlose leben nach eigenen Aussagen zum Teil freiwillig auf der Straße; sie sind oft sichtbarer im öffentlichen Raum als Wohnungslose und kommen nur zum Teil bundesweit in Notunterkünften verschiedener Träger unter.
Notunterkünfte Das Gros der Notunterkünfte öffnet nur von Oktober bis März. Während der Corona-Krise sollen jetzt bundesweit manche bis Ende April oder Mai öffnen. In Berlin gibt es bis dato 250 Ganzjahresplätze für Obdachlose, davon 50 für Frauen. Im Winter hat es 1.200 Notplätze für meist Männer, aber auch Frauen und Paare. Geplant waren schon vor der Krise, so Sozialsenatorin Breitenbach (Die Linke), weitere 600 Ganzjahresplätze sowie 600 bezirkliche.
Spenden: karuna-sozialgenossenschaft.de (hwo)
Nicht für Luca Döring, Bianco Niederhausen und Finn-Maarten Knoop, alle um die zwanzig. Sie engagieren sich in der neuen „karuna taskforce“, die seit Wochenanfang per Rad, Auto oder zu Fuß im Stadtgebiet Obdachlose aufsucht. Sie messen Fieber mit einem kontaktlosen Gerät, informieren zu Corona, vergeben Tagesspenden oder holen im Notfall ärztliche Hilfe. Döring macht genauso wie Niederhausen einen einjährigen Bundesfreiwilligendienst als „Bufdi“ bei der Hilfsorganisation Momo, die zum Projekt Karuna gehört. Knoop arbeitet eigentlich in einer gerade geschlossenen Kita. Das indisch-deutsche Start-up Sodiys hat für Karuna eine kostenlose App gestellt. Per Smartphone tauschen Mitarbeiter*innen Infos über und mit den Obdachlosen aus. Das passiert freiwillig und nur wenn diese zustimmen.
So ist eine virtuelle Berlinkarte von Obdachlosenstandorten am Entstehen – in die politisch falschen Hände sollte diese nicht fallen. Viele der Betroffenen haben ein Handy, manche ein Smartphone; immer wieder ist fehlendes Geld für Guthaben und Datenvolumen ein Thema, berichtet Niederhausen, die im Einsatz eine orangefarbene Warnweste trägt.
Zu Fuß nähern sich die drei vor einem Eingang des S-Bahnhofs Frankfurter Allee einem Obdachlosen im Rollstuhl. Klaus, 58, sitzt neben dem Imbiss Curry-Piraten, der auf einem Banner verkündet: „Wir bauen um, seid gespannt!“ Klaus wirkt nüchtern und aufgeräumt, im Gespräch merkt man, dass er stark schwerhörig ist. „Es gibt keinen Grund zu saufen, auch nicht während Corona!“, ruft er. Für „besoffene Obdachlose“ wäre es jetzt besonders schwer. Er käme ganz gut klar, abends würde er in die Notunterkunft um die Ecke rollen. Nicht weit entfernt hält sich ein Mann mit einer Hand an einem Türknauf eines Shopping-Centers fest, mit der anderen hält er einen Fuselwodka, grölt seinen Frust heraus.
In der weißen, aufgeblasenen Wärmelufthalle „Halle-Luja“ der Berliner Stadtmission empfängt Sozialarbeiterin Miriam Hartig, die hier momentan ehrenamtlich hilft. Sie führt durch die Halle mit 120 Schlafplätzen, rund 20 Prozent liegen in einem abgetrennten Frauenbereich. Hartig vermisst klare Ansagen der Berliner Verwaltung zum Umgang mit Obdachlosen und Corona. „Wir haben in Eigenregie die Stockbetten ausgedünnt und einen Teil davon in den Aufenthaltsraum gepackt. Perfekt ist das nicht und an einigen Stellen immer noch viel zu dicht gestellt.“ Eine Quarantänesituation hier in dieser Halle? Kaum vorzustellen.
Döring, Niederhausen und Knoop ziehen weiter durch den Berliner Osten. Am Boxi gehen im Café-Pavillon die Rolläden runter. Morgen gibt es wieder Suppe, Kaffee, vielleicht ein wenig Hoffnung. „Wir wollen wie Menschen behandelt werden. Lasst uns nicht im Stich“, steht auf einem Zettel am provisorischen Spendenzaun für Obdachlose nahe des Pavillons. Plastiktüten mit Jogginghosen hängen da, Tüten mit Tampons oder mit frischem Obst. Der Zaun hat noch viele Leerstellen. Leerstellen, die frei sind für Hilfsangebote.
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