Obdachlosenabgabe in Seattle: Die gesponserte Steuerbefreiung
Firmen wie Amazon haben in Seattle eine Sozialabgabe zu Fall gebracht, die für den sozialen Wohnbau gedacht war. Ein schlechtes Signal.
Sie sollte ein Signal sein. Ein Signal an die Großunternehmen, sich an der Finanzierung des Gemeinwohls angemessen zu beteiligen. Stattdessen ist die geplante Unternehmenssteuer für den Kampf gegen die Obdachlosigkeit in Seattle vom dortigen Stadtrat wieder kassiert worden – nur vier Wochen, nachdem das Gremium die Abgabe eingeführt hatte.
Eigentlich sollten die in Seattle ansässigen Firmen – darunter der Online-Händler Amazon und die Kaffeekette Starbucks – künftig 275 Dollar pro Jahr und Mitarbeiter an die Stadtkasse abführen, um damit den sozialen Wohnungsbau zu finanzieren. Der ist vor allem deshalb notwendig, weil Amazon und Co. zwar jede Menge gut bezahlte Arbeitsplätze in Seattle schaffen – damit aber auch die Immobilienpreise in die Höhe treiben.
Viele Menschen können sich die Preissteigerungen nicht mehr leisten und verlieren ihre Wohnungen. Ein klassischer Fall von Gentrifizierung. Mittlerweile verzeichnet Seattle 5500 Obdachlose. Da wäre es eigentlich nur konsequent, wenn Milliardenunternehmen wie Amazon und Starbucks sich an der Lösung des Problems beteiligen.
Auf die Steuer hatten die Unternehmen allerdings wenig Lust, sie lobbyierten gegen das Gesetz. Mit Erfolg: Schon im Vorfeld wurde die Abgabe von 500 auf eben 275 Dollar reduziert. Der Stadtrat hielt aber dennoch an seinen Vorhaben fest, verabschiedete die Steuer Mitte Mai – und ließ sich dafür feiern. Nun knicken die Kommunalpolitiker jedoch ein. Die Steuer wird zurückgenommen.
Kein Einzelfall
Es ist sicher nicht das erste Mal in der Geschichte der parlamentarischen Demokratie, dass ein gemeinsam gefasster Beschluss rückgängig gemacht wird. Was Bauchschmerzen bereitet, sind die Umstände der Rücknahme.
Denn dafür ist hauptsächlich das Bündnis „No Tax on Jobs“ verantwortlich, dass seit Wochen Unterschriften gegen die neue Steuer sammelt und damit einen Volksentscheid erzwungen hat. Was nach Graswurzelpolitik klingt, ist aber eigentlich kaum kaschierter Lobbyismus. „No Tax on Jobs“ wird von Amazon und Supermarktketten finanziert. Laut Seattle Times sind die Gesichter der Kampagne bekannte Unternehmer-Lobbyisten. Das Bündnis argumentiert, die Steuer würde Arbeitsplätze gefährden. Unabhängig von der Unterschriftensammlung drohte Amazon, den Bau eines 17-stöckigen Gebäudes in der Stadt zu stoppen.
Allein die Möglichkeit einer Volksabstimmung reicht nun, um die Steuer zu Fall zu bringen. Ein Ratsmitglied sagte CNN, man habe weder „die Zeit noch das Geld“, um genug Wähler zu überzeugen. Der Kommunalpolitiker Mike O'Brian sagte der Washington Post, die Gegner der Steuer hätten „unendliche Ressourcen für Werbung und Wählermobilisierung“.
Und so gewinnen Amazon und Co.. Der traurige Eindruck, der von der gescheiterten Sozialsteuer zurückbleibt, ist, dass es Unternehmer-Lobbys offenbar gelungen ist, die Gesetzgebung nach ihren Wünschen zu beeinflussen. Ein fatales Signal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Wie er die US-Wahl gewann
Die Methode Trump