Obdachlose bilden Camp in Osnabrück: Leben, von Tag zu Tag

Wohnungslose haben in einer Osnabrücker Grünanlage ein Camp aufgebaut. Bisher duldet das Ordnungsamt die Zelte. Aber das könnte bald vorbei sein.

Ein blaues Zelt. Davor stehen ein weißer Plastikstuhl und ein Tisch mit Geschirr.

Werden von der Stadt Osnabrück noch geduldet: Die Zelte von Wohnungs­losen im Ziegenbrink Foto: Hermann Pentermann

OSNABRÜCK taz | Auf den ersten Blick ist der Ziegenbrink malerisch. Die Anhöhe in Osnabrück ist mit ihren Wiesen, ihrem dschungelhaften Wald und ihrem Fernblick Spaziergangsziel. Ihre Vergangenheit als Steinbruch und Weltkriegs-Flakstellung ist kaum noch zu erahnen.

Aber auf einer der Lichtungen herrscht derzeit harte Not. Hier steht seit mehreren Wochen ein Camp von vier Wohnungslosen. Seine Zelte, gruppiert um eine Art Ofen, erinnern an die Zeit, als hier noch die „Wagenburg“ stand, als autonomes Zentrum, als alternatives Lebensmodell. Ein halbes Menschenleben ist das her.

Banner mit Botschaften wie „Aufgeben? Keine Option! Friedlicher Kampf für unser Stück Land“, und „Ein Grundstück für unsere Freiheit zum Errichten unserer Kommune“ hängen hier heute in den Bäumen. „Die Würde des Menschen ist was …?“ ist zu lesen. Auch „solidarischer Aufbau“ steht hier mehrfach, das A als Anarchie-A im Kreis. Aber der Versuch, die Zeit der Wagenburgler wiederzubeleben, wirkt aufgesetzt. Das Camp ist ein gesellschaftspoliti­scher Appell, aber zugleich ist es ein Ausdruck von Elend.

Jessica und Tim, beide Mitte 30, erzählen, warum sie hier leben. Sie haben ihre Wohnung verloren, im Juli. Schulden waren da im Spiel, Alkohol, Drogen, Stress mit den Mitmietern. Eigentlich kommen die beiden aus Melle, 25 Kilometer von hier, und erst haben sie anderswo „Platte gemacht“, sagt Jessica Buschmann der taz. „Aber unsere Kinder sind in Osnabrück in Jugendamts-Obhut, und wir wollen in ihrer Nähe bleiben. So sind wir hier gestrandet.“ Ihre Kinder sind zwei, drei und dreizehn Jahre alt. „Wir hätten gern wieder eine feste Wohnung“, sagt Jessica Buschmann. „Und einen festen Job.“

Die Kinder von Jessica und Tim sind in der Obhut des Jugendamts. Die beiden campen in Osnabrück, um in ihrer Nähe zu sein

Es regnet, es ist klamm und kalt, der Matsch steht knöchelhoch. Glücklich sehen die beiden nicht aus. Sie gehen ins Wohnzelt, rauchen, ihre Habseligkeiten liegen auf dem Boden. In städtische Notunterkünfte wollen sie nicht. „Dann müssten wir uns als Paar ja trennen“, sagt Tim. „Außerdem müsste dann unser Hund weg, und das wollen wir nicht.“

Die beiden leben jetzt „von Tag zu Tag“. Brauchen sie Strom für ihre Handys, gehen sie in die Tageswohnung des SKM, eines Vereins für soziale Dienste; Lebensmittel bekommen sie von der Tafel. Beide warten auf einen Therapieplatz. Aber das kann dauern, womöglich Monate. „In naher Zukunft“ möchten sie ihre Kinder zurück. „Aber dafür müssen wir ein geregeltes Leben führen“, sagt Jessica. Ihr Blick ist leer, als sie das sagt. Sie weiß: Anwohner des Ziegenbrinks haben sich über das Camp beschwert. „Aber andere waren nett“, sagt sie. „Die haben uns Äpfel gebracht.“

Manches Zelt trägt eine Botschaft, auch einen Sonnenschirm. Das reicht von „Camp Punkrock“ bis „Keep out“. Neben dem Feuer steht ein Einkaufswagen mit nassem Holz. Auf der Wiese sind Steinbeete mit Blümchen angelegt, als Peace-Zeichen. Im Gras daneben liegt ein Deko-Totenkopf.

Osnabrücks Stadträtin Heike Pape, verantwortlich für Soziales und Bürgerservice, weiß um die Lage am Ziegenbrink. Dass ihr Ordnungsamt die Zelte seit Wochen duldet, bedeutet nicht, dass sie länger bleiben dürfen. „Wir brauchen da bald eine Lösung“, sagt Pape der taz. „So kann es ja nicht weitergehen. Wenn es nicht in absehbarer Zeit zu einer Einvernehmlichkeit kommt, müssen wir über ordnungsrechtliche Schritte nachdenken.“ Im schlimmsten Fall heißt das: Zwangsräumung. Camps wie dieses sind nicht erlaubt.

„In unseren Notunterkünften ist Platz“, sagt Pape. „Wir haben Unterbringungsangebote gemacht. Aber was sollen wir tun, wenn man die nicht annimmt?“ Die Probleme gehen weit über das rein Rechtliche hinaus: Da ist die Winterkälte. Da ist die Frage, wo die Campbewohner sich waschen, ihre Notdurft verrichten. Noch wartet das Ordnungsamt ab. Aber die von ihm gesetzte „letzte Frist“ ist schon mehrere Tage verstrichen.

Eines der kleineren Zelte gehört einem älteren Mann, der sich als „Schlogarten-Daddy“ vorstellt – und als Gründer des Camps. Schlogarten, das verweist auf den Schlossgarten, einen zentralen Park der Stadt. „Man nennt mich auch Straßenköter!“, sagt er der taz. „Seit zwölf Jahren lebe ich auf der Straße. Ich müsste es nicht, aber ich möchte den Wohnungslosen helfen. Auch Jessica und Tim.“

Traumatisiert in Afghanistan

Lange sei er Fallschirmjäger gewesen, auch im Irak, in Afghanistan. Er sei kriegstraumatisiert, halte es im Normalleben nicht aus. Gegen eine Räumung will er sich wehren. Seine Worte dafür sind drastisch.

„Opas Altenheim“ steht auf seinem Zelt; auch dieses A ist ein Anarchie-A. Schlo­garten-Daddy erzählt von den Zuständen in der Innenstadt. Von Gewalt, von Herabwürdigung. Auch in den Notunterkünften seien die Zustände schlimm. Leider habe die Anmeldung des Camps als Demo nicht geklappt. Deshalb stehe hier auch noch kein Dixie-Klo. Geliefert werden könne es jederzeit.

Bei der zweiten Verabredung sind Jessica und Tim nicht da. Stattdessen bevölkert eine Handvoll Aktivisten das Camp, teils erkennbar nicht wohnungslos. Die Banner sind fotogen drapiert, teils sind sie neu. Jessica und Tim? Die seien auf einem Termin. Ein Haus wünscht sich das Camp, zur Miete, von der Stadt, steht auf einem Banner. Schwer vorstellbar, dass das realistisch ist.

Zumindest gibt es keinen Stress mit der Polizei. „Für uns ist das Camp bisher völlig problemlos“, sagt Matthias Bekermann der taz, Sprecher der Polizeiinspektion Osnabrück. „Es gab mal eine Hundebeißerei, aber das war auch alles.“

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