Obama-Berater über Harris’ Vorteile: „Sie erlaubt sich, verletzlich zu sein“
Die Chancen stehen gut für Kamala Harris, meint Patrick Gaspard. Sie spreche über Probleme, die viele angehen, und habe einen großen Vorteil gegenüber Männern.
taz: Herr Gaspard, Euphorie für Kamala Harris prägt momentan die öffentliche Stimmung. Allerdings verkörpert Harris nicht für alle Amerikanerinnen und Amerikaner eine neue Hoffnung: Der Erfolg von Donald Trump beruht darauf, dass er eine Erzählung von weißem Stolz anbietet. Welche Art von Stolz bietet Kamala Harris diesen Menschen an?
Patrick Gaspard: Wir bewegen uns in vielerlei Hinsicht auf ein neues Amerika zu. Kamala Harris’ Vater war jamaikanischer, ihre Mutter asiatischer Abstammung. Sie erkennt das in sich selbst, in ihrer Weise der „Americanness“, des Amerikanischseins an. Immer mehr Menschen haben einen gemischten Hintergrund, sie werden die neuen Führungsgenerationen sein.
Der Politik- und Strategieberater ist seit 2021 Präsident des Center for American Progress. Der Thinktank steht den Demokraten nahe. 2008 war Gaspard Politischer Direktor in der Wahlkampagne von Barack Obama. In dessen Regierung amtierte er von 2009 bis 2011 als Director of Political Affairs. Von 2013 bis 2016 vertrat er die USA als Botschafter in Südafrika.
Donald Trump sagte vor der National Association of Black Journalists: „Nun, ich weiß nicht, ob sie schwarz ist. Sie sagt, sie sei schwarz. Gestern war sie Inderin, und ich weiß nicht, was das ist.“ Für Trump mag jemand wie Harris vielleicht wie ein Einzelfall wirken. Aber für die meisten Leute ist es Alltag: „Nun, nein, das ist wie mein Nachbar oder die Lehrerin meines Kindes oder die Verlobte meines Sohnes.“ Und deshalb denke ich, dass Kamala Harris die Chance hat, die Menschen ihres grundsätzlichen Amerikanischseins zu versichern.
taz: Diese Gewissheit des Amerikanischseins ist der neue Stolz für alle?
Gaspard: Ja. Meine Eltern stammen aus Haiti. Aber ich wurde im Kongo geboren und kam als Kind in die Vereinigten Staaten. Ich bin stolz darauf, dass ich amerikanischer Staatsbürger bin. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie bizarr es ist, zu sehen, wie Donald Trump in den letzten Wochen auf Wahlkampftour geht und ständig über Menschen spricht, die aus dem Kongo hierher kommen. Er, Trump, sei der Einzige, der die „Kongolesischen Staaten von Amerika“ verhindern könne. Und die Leute jubeln ihm zu. Sie haben also Recht, dass Kamala Harris nicht alle repräsentiert. Aber sie kann diese Wähler beruhigen. Sie kann deren Angst, dass etwas zu Ende geht, durch die Vorstellung ersetzen, dass es etwas Neues gibt, bei dem sie mitgenommen werden.
taz: Nun ist Donald Trump in seiner emotionalen Intelligenz überragend. Selbst Leute aus dem demokratischen Lager sagen, dass Harris diesen Instinkt nicht hat.
Gaspard: 2016 hat Trump noch über die Kämpfe und Beschwerden der weißen Wähler aus der Arbeiterklasse gesprochen. Jetzt verbringt er 90 Prozent seiner Zeit damit, über seine eigenen persönlichen Beschwerden zu lamentieren: „Sie benutzen das Justizministerium als Waffe gegen mich. Sie haben mir die Wahl gestohlen.“ Harris kann dagegen die Geschichte des Durchschnittsbürgers erzählen. Derjenigen, die von den Obergrenzen für verschreibungspflichtige Medikamente profitiert haben. Von den Bauarbeitern, die in Michigan und Nevada jetzt Arbeitsplätze haben. Und sie kann sagen, was es für die Menschen bedeuten wird, von der Senkung der College-Kosten zu profitieren. Es geht also weniger um emotionale Intelligenz als darum, die Menschen auf eine Art und Weise widerzuspiegeln, die für sie selbst in Ordnung ist.
taz: Es heißt aber auch, Kamala Harris sei nicht gut auf der Bühne.
Gaspard: Dagegen würde ich mich wehren. 2008 habe ich als Politischer Direktor von Barack Obamas Kampagne fungiert. Ich kann Ihnen sagen, dass Kamala Harris überall im Land, wo wir sie stellvertretend für Obama hinschickten, bei den Zuhörern ankam. Das war nicht das Publikum in den Chefetagen von Unternehmen oder Anwaltskanzleien. Es waren Menschen aus Kirchengemeinden, bei Picknicks und Kuchenverkäufen. Ihre Gabe, aktiv zuzuhören, unterscheidet sich sehr von der Art und Weise, wie Männer auf eine Geschichte reagieren.
taz: Das ist nicht die Bühne.
Gaspard: Ich habe Harris auch in Philadelphia bei der Vorstellung ihres Vizepräsidentschaftskandidaten Tim Walz gesehen. Harris erzählte auf der Bühne, warum sie Walz ausgewählt hat, wie sie ihn als jedermanns Lieblingslehrer sieht. Sie sprach über ihr eigenes Aufwachsen. Ich war in einer Arena mit 20.000 Menschen, die es bei dieser emotionalen Ansprache kaum auf den Sitzen hielt. Sie hat einen wirklich guten Sinn für Humor und eine gewisse Respektlosigkeit. Es gibt einen Grund, warum vor allem junge Leute sie lieben und Kamala-Memes kreieren. Auch Albernheit ist ein Gefühl. Kamala Harris ist wunderbar albern auf eine Weise, mit der sich die Menschen identifizieren können. Sie erlaubt sich selbst, auf diese Weise verletzlich zu sein.
taz: Welchen Vorteil hat es im US-Wahlkampf, sich verletzlich zu zeigen?
Gaspard: Es erfordert viel Kraft, so verletzlich zu sein und seine alberne Seite zu zeigen, wenn man in Amerika mit asiatischen Eltern aufgewachsen ist. Ich sage das als Immigrant. Ich erinnere mich an das Gefühl des Zusammenzuckens, wenn deine Eltern oder Großeltern dich nach der Schule vom Spielplatz abholen und sie auf eine bestimmte Art und Weise reden oder dich mit einem bestimmten Essen zur Schule schicken und du dich ausgegrenzt gefühlt, alles getan hast, um dich anzupassen und so zu sein wie alle anderen amerikanischen Kinder. Harris hat dieses Problem nicht. Es gibt bei ihr eine Verletzlichkeit, eine Albernheit, eine Zugänglichkeit. Das sind starke emotionale Inhalte, die gut eingesetzt werden können, um die Geschichten und Kämpfe von Menschen aufzugreifen.
taz: Es wird auf die Swing States ankommen. Erreicht Harris die Menschen im Mittleren Westen?
Gaspard: Eine aktuelle Umfrage von Fox News zeigt, dass Kamala Harris von 46 Prozent der weißen Wähler unterstützt wird. Sie zeigt, dass sie bei diesen Wählern ausreichend stark werden könnte, um sich einen Wahlsieg zu sichern. Eines der Themen, das bei weißen unabhängigen Wählern, insbesondere in den Vorstädten, eine wichtige Rolle spielen dürfte, ist Abtreibung. Und ich vermute, dass die deutlich gesunkene Inflation im Land, die gesunkene Kriminalität und die Abtreibung als bestimmendes Thema dazu beitragen, die Unterstützung dieser speziellen Wähler zu behalten.
taz: Die Leute sehen, dass die Inflationsrate zurückgeht. Aber das Gefühl bleibt, dass, was auch immer mit der Wirtschaft besser läuft, nicht in ihrem Geldbeutel ankommt. Wie lautet die Antwort der Demokraten?
Gaspard: Kein Wähler wird seine Stimme auf der Grundlage der Preise vom letzten Monat abgeben. Sie schauen, wohin die Reise geht. Die Vizepräsidentin betont, wie nützlich ihr Hintergrund als Staatsanwältin bei der Kontrolle von Unternehmen und der Verhinderung von Preiswucher sein wird. Probleme in den Lieferketten hatten die Inflation verursacht. Aber dann gingen in vielen Branchen, die nicht betroffen waren, die Preise durch die Decke. Präsident Biden wollte das Thema nicht auf aggressive Weise ansprechen. Kamala Harris scheint diese Zurückhaltung nicht zu haben. Sie sagt: Schluss mit der Preisabzocke bei Müsli, Milch und Eiern.
taz: Angesichts des Klimawandels muss sich auch die US-Wirtschaft ökologisch wandeln. Hat Harris einen Plan, wie sie das anpacken kann? Oder wird sie das Thema aus strategischen Gründen meiden?
Gaspard: Gerade aus strategischen Gründen muss das Thema angesprochen werden. Man wird die Begeisterung der jüngeren Wähler nicht aufrechterhalten können, wenn man den Klimawandel und die Energiewende nicht auf sinnvolle Weise angeht. Harris hat noch keine Klima-Agenda veröffentlicht. Sie wird mit den Investitionen werben, die im Rahmen des Inflation Reduction Act getätigt wurden, um die Emissionen zu senken und grüne Arbeitsplätze zu schaffen. Mit den 334.000 neuen grünen Arbeitsplätzen. Von diesen wurden 32.000 in Georgia geschaffen, weitere 21.000 in Michigan, 20.000 in Nevada und 18.000 in Arizona.
taz: Lassen Sie uns über Gaza sprechen. Joe Biden und Kamala Harris unterstützen Israel und sehen dabei zu, wie Zehntausende in den Ruinen dessen sterben, was einmal Gaza war. Wird sich Harris von diesem Kurs distanzieren?
Gaspard: Wir haben von der Vizepräsidentin bereits viel mehr Mitgefühl für die Notlage der Palästinenser gehört, als dies von dieser Regierung bislang der Fall war. Die Position, die Kamala Harris nach ihrem Treffen mit Benjamin Netanjahu im Juli bezogen hat, besagt: Israel hat das Recht, sich zu verteidigen. Es kommt jedoch darauf an, wie es sich verteidigt. Das ist sehr wichtig. Viele in der US-Regierung sagen offen, dass die Zahl der Todesopfer ein obszönes Ausmaß erreicht hat. Von der Basis wird starker Druck ausgeübt, Israel keine Waffen mehr zu liefern, die für offensive Zwecke verwendet werden können. Es ist unausweichlich, dass sich die Kandidaten mit diesem Thema auseinandersetzen müssen.
taz: Der Satz „Israel darf sich wehren, aber die Frage ist wie“ ist schon etwas Besonderes für Sie? Glauben Sie, dass das den protestierenden Studenten ausreichen wird?
Gaspard: Der Ton, die Haltung der Vizepräsidentin, insbesondere in Bezug auf das Leiden der Palästinenser, wird gesehen und anerkannt. Bei denjenigen von uns, die sich für einen Waffenstillstand einsetzen und dafür, dass die USA einen Friedensprozess voranbringen, hat das Hoffnung geweckt. Aber wenn die Dinge in Gaza in diesem Tempo weitergehen, wenn wir immer tiefer und tiefer in diese überwältigende humanitäre Krise hineingeraten, in diese überwältigenden Menschenrechtsverletzungen, dann würde es schwierig werden, den bisherigen Kurs beizubehalten.
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