Nutzung leer stehender Karstadt-Gebäude: Rendite oder Leben?
Zwei ehemalige Galeria-Karstadt-Gebäude in der Hamburger Mönckebergstraße stehen leer. Das Bündnis Stadtherz macht Vorschläge für deren Nutzung.
Die Bürgerinitiative „Bündnis Stadtherz“ fordert unter dem Motto „Kaufhäuser für alle!“ eine bedarfsgerechte Umnutzung der Gebäude. Sie wünscht sich einen offenen Entscheidungsprozess, an dem die Stadtgesellschaft beteiligt ist. Außerdem fordert das Bündnis die Stadt auf, sich ein Vorkaufsrecht für die Gebäude zu sichern und wahrzunehmen. Die Grundeigentümerin des Karstadt-Sport-Gebäudes ist die R+V Versicherung, das andere Gebäude gehört der Württembergischen Versicherung.
„Die Gebäude sind ausschlaggebend für den Einstiegscharakter der Mönckebergstraße“, sagt Michael Joho, Mitbegründer des Bündnisses Stadtherz. Die Initiative sprüht über vor Ideen: Kunst-, Bildungs-, und Sportangebote, klimaschonende Produktionsorte zur regionalen Herstellung, Co-Working, Gastronomie, Obdachlosenhilfe, neue Wohnformen oder Altenpflege – all das könne hier Raum bekommen. „Das Schlimmste, was passieren kann, wären Hotels, Büros oder ein weiteres Kaufhaus“, sagt Joho.
Genau das sieht der SPD-Fraktionsvorsitzende des Bezirks Mitte, Tobias Piekatz, aber kommen: „Ich finde die Forderungen wünschenswert, aber nicht umsetzbar in dieser Lage.“ Die Gebäude seien „verbaut“, es gäbe nicht mehr so viel Spielraum. Zudem seien sie für Verkaufs- und Büroflächen bereits ausgelegt. „Die Bahnhofsnähe schafft natürlich gute Voraussetzungen für ein Hotel“, sagt Piekatz. Am Ende sei es eine immobilienwirtschaftliche Frage für die Grundeigentümer*innnen. Die Ideen des Bündnisses beruhten aber auf der Abwertung der Wirtschaftlichkeit der Gebäude, im Klartext: Mietreduzierung.
Zum Housing Action Day finden bundesweit am kommenden Samstag Aktionen statt. Kernforderungen sind: Wohnungen für alle, Mietschulden erlassen, Mieten senken, Gewinne umverteilen und Bodenspekulation beenden.
In Hamburg plant das Recht-auf-Stadt-Netzwerk, das sich aus verschiedenen Initiativen, darunter auch das Bündnis Stadtherz, zusammensetzt, Kundgebungen und Aktionen.
Etwa die Aktion Fleck of shame: Bürger*innen werden dazu aufgerufen, Fleck-Aufkleber auf Problemimmobilien zu kleben und so gegen steigende Mieten zu protestieren. Infos: rechtaufstadt.net
Die Initiative gibt sich damit nicht zufrieden. „Wenn die Stadt Interesse an unseren Forderungen zeigt, wäre das ein wichtiges Zeichen gegenüber den Grundeigentümern“, sagt Marco Hosemann, ebenfalls Mitglied des Bündnisses Stadtherz.
„Wir sind nicht die Bösen, die ein Haus besetzen wollen“, sagt Hosemann. Zwischennutzungen seien gute Möglichkeiten, die Flächen unter Beteiligung der Bürger*innen zu entwickeln. „Die Mönckebergstraße ist nach 20 Uhr tot. Jetzt gäbe es eine Gelegenheit, die Innenstadt wieder kulturell zu beleben“, sagt Joho. Ihm schweben Orte der Begegnung vor. „Das Stadtbild muss sich ändern, das weiß auch der Senat“, sagt Joho.
Tatsächlich bestätigt die Sprecherin der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, dass das Umfeld des Hauptbahnhofes nicht mehr den Vorstellungen eines zeitgemäßen Bahnhofsumfeldes entspräche.
Wie aus einer Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht, sind jedoch nur elf Prozent der Flächen innerhalb des Wallrings städtisch, die restlichen 89 Prozent sind in privatem Besitz.
Die Sprecherin der Stadtentwicklungsbehörde Susanne Enz betont, dass der Senat durch die Schaffung von Planungsrecht auf die Nutzung der Grundstücke und auf die Gestaltung der Gebäude Einfluss nehmen könne. Es müsse aber auch das Interesse der Eigentümer*innen berücksichtigt werden.
Das kritisieren sowohl das Bündnis Stadtherz als auch Tobias Piekatz von der SPD. „Je mehr die Stadt an Gebäuden verkauft, desto weniger kann sie die Stadtentwicklung steuern“, sagt Joho. Auch Piekatz hat Bedenken: „Natürlich gibt es durch das bestehende Planungsrecht gewisse Vorschriften, die für alle gelten. Trotzdem ist die Situation ein Problem, man hätte nicht so viel verkaufen dürfen. Aber nun ist es so.“
Die Versicherungen schweigen zu ihren Vorhaben. Auf Nachfragen der taz heißt es, zur künftigen Nutzung sei noch nichts entschieden. Weder das Bündnis noch die Stadt stehen bisher im direkten Kontakt zu den Eigentümer*innen.
Am Ende ist es eine Frage des Geldes. „Kreativität ist viel wert. Aber kann sie die Miete bezahlen?“, fragt Piekatz. Der nächste H&M-Store könne das wahrscheinlich. Haben möchte ihn niemand so wirklich dort.
„Wir wollen uns als Initiative jetzt erst mal ins Gespräch bringen und Aufmerksamkeit schaffen“, sagt Joho „und uns einsetzen für eine abwechslungsreiche und inspirierende Innenstadt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko