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Nützlichkeit vor Menschlichkeit

Heute tagen die Innenminister in einer Sonderkonferenz zum Entwurf des Einwanderungsgesetzes. Aus diesem Anlass eine Entschlüsselung und Übersetzung der Veränderungen in der Asylgesetzgebung durch den Schily-Entwurf

Der Schily-Entwurf sieht beim Flüchtlingsschutz und im Asylrecht alarmierende Einschränkungen und die schärfsten Restriktionen seit der Verfassungsänderung von 1993 vor. Er markiert keineswegs den von der Süssmuth-Kommission angemahnten Paradigmenwechsel – allenfalls einen ökonomisch bedingten Richtungswechsel.

Der Schily-Entwurf ist völkerrechtsfeindlich. Opfer nicht staatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung erhalten keinen besseren Schutz, ihre Situation wird sich noch verschlechtern, weil mit der Abschaffung der Duldungen der Abschiebungsschutz noch stärker eingeschränkt wird. Der Schily-Entwurf nimmt die Verantwortung Deutschlands und seine Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht ernst, sondern höhlt sie weiter aus.

Der Entwurf ist europafeindlich. Der Entwurf ignoriert alle zukunftsorientierten Entwicklungen im Prozess der europäischen Vergemeinschaftung. Fortschrittliche Richtlinienvorschläge der EU-Kommission und in anderen Ländern akzeptierte europäische Menschenrechtsstandards werden nicht beachtet und weiterhin unterschritten.

Der Entwurf ist kinderfeindlich. Beim Nachzug von Kindern zu ihren Familien sieht der Entwurf ein skandalöses Zweiklassenrecht vor. Nur Hochqualifizierte und Asylbewerber können ihre Kinder bis zum Alter von 18 Jahren nachholen; für alle anderen gilt ein Höchstalter von 12 Jahren. Der besonderen Schutzbedürftigkeit unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge wird der Entwurf in keiner Weise gerecht. Der deutsche Vorbehalt zur UN- Kinderrechtskonvention bleibt – allen Versprechungen und völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Trotz – aufrechterhalten.

Der Entwurf ist familienfeindlich. Entgegen allen Erwartungen und Forderungen sieht der Gesetzentwurf eine Erweiterung des Familienasyls auf Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vor. Der Gesetzentwurf ist autoritär und antiquiert, indem er die Idee transportiert, der Staat wisse am besten, was für ausländische Familien in diesem Lande gut ist, indem er Kinder als Träger von Rechten ignoriert, das Kindeswohl ausblendet und ausländische Familien ohne zureichenden Grund unterschiedlich behandelt.

Der Entwurf ist sozialstaatsfeindlich. Die unbefristete Ausdehnung des Asylbewerberleistungsgesetzes auf alle Asylbewerber und Ausländer mit Abschiebungsschutz stellt eine weitere gravierende Verschärfung dar. Während das Bundessozialhilfegesetz jedem ein Leben in Würde ermöglichen soll, gilt für Asylsuchende schon seit Jahren mit dem Asylbewerberleistungsgesetz ein ausgrenzendes Sondergesetz, das abgeschafft werden müsste.

Der Entwurf ist demokratiefeindlich. Der Entwurf sieht – statt den Betroffenen Rechtssicherheit und Rechtsklarheit mit verständlich formulierten Rechtsansprüchen zu geben – „uferloses“ Ermessen der Behörden vor, ohne klare Kriterien zu ihrer Begrenzung zu formulieren. Statt der Stärkung der Schutzrechte des einzelnen Individuums dominiert die Abwehr durch den Staat.

Der Entwurf ist integrationsfeindlich. Die Süssmuth-Kommission hatte empfohlen, die unhaltbare Praxis von Kettenduldungen abzuschaffen, die den Betroffenen keinerlei Integrationsperspektive wies und sie in einem Zustand dauerhafter Ungewissheit ließ. Nun soll die Duldung wegfallen, aber nur für eine Minderheit der bislang Geduldeten durch eine „Bescheinigung“ über die Aussetzung der Abschiebung ersetzt werden. Für die große Mehrheit der bisher Geduldeten wird es nicht einmal diese Bescheinigung geben. Sie fallen ins rechtliche Nichts.

Dieser Entwurf fördert Fremdenfeindlichkeit. Ein Gesetz, das – so wie es der Entwurf Schilys vorsieht – Illegalität geradezu produziert, das eine große Zahl von Menschen in Armut und Rechtsunsicherheit stürzen wird und mit seinen Restriktionen und Maßnahmen andere herabsetzt, ist auch geeignet, ausländerfeindliche Vorurteile und Stimmungen zu fördern.

HEIKO KAUFFMAN

Der Autor ist Sprecher von Pro Asyl.

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