Noten für Sport, Kunst und Musik: Nicht nur das Ergebnis zählt

Thüringens Bildungsminister Holter will die Fächer Sport, Kunst und Musik anders benoten. Der Vorstoß stößt vor allem bei der CDU auf wenig Gegenliebe.

Schülerin springt von einem Bock in die Luft, die Klasse macht eine Welle neben der Matratze

Laola im Sportunterricht: Bemühungen und nicht das Ergebnis sollen im Fokus der Benotung stehen Foto: imago

LEIPZIG taz | Wenn sich die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen Mitte März treffen, werden die Reformpläne beim Abitur ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Ab 2025 sollen bundesweit einheitliche Standards gelten, unter anderem bei der Anzahl der Leistungskurse oder der Halbjahreskurse, die zur Abinote zählen. Einen entsprechenden Beschluss möchte die Kultusministerkonferenz (KMK) bei dem anstehenden Treffen fassen.

So viel Einigkeit würde sich Thüringens Bildungsminister Helmut Holter auch für seinen Vorstoß wünschen. Laut Informationen der taz möchte der Linkspolitiker seine Pläne für die Benotungspraxis in den Fächern Sport, Kunst und Musik bei der Sitzung vorstellen – und bei seinen Amts­kol­le­g:in­nen um Unterstützung werben.

Geht es nach Holter, sollte nicht mehr bewertet werden, wie weit ein Kind werfen oder wie gut es singen kann, „sondern wie viel Mühe es sich gibt“. Noten also für die Leistungsbereitschaft, nicht für das Ergebnis. So sollen auch die Kinder Spaß an Sport, Kunst und Musik haben, die bisher in den Fächern nicht so gut abschneiden.

Für sein Bundesland Thüringen möchte Holter die Benotungspraxis noch in dieser Legislaturperiode reformieren. Im Gespräch mit der taz begründet der Minister das folgendermaßen: Kinder vor der ganzen Klasse auf Note vorsingen zu lassen sei ebenso wenig zeitgemäß wie eine Notenvergabe nach Leistungstabellen, wie sie manche Sport­leh­re­r:in­nen noch anwenden würden.

In einer solchen Tabelle steht zum Beispiel, dass eine Drittklässlerin beim Weitwurf für 18 Meter eine Eins bekommt und für neun Meter eine Vier. „Muss das sein? Ein Kind, das den Ball trotz Anstrengung nicht entsprechend weit wirft, sollte keine schlechte Note bekommen“, so Holter.

Koalitionspartner SPD und Grüne unterstützen Holter

Die Koalitionspartner SPD und Grüne begrüßen das Vorhaben. „Talente sind unterschiedlich verteilt. Gerade in Fächern wie Sport, Kunst und Musik kann es passieren, dass der eine mühelos Bestnoten erhält und die andere mangels Talent geradeso besteht, obwohl er oder sie ihr Bestes geben. Das schafft keine Lernanreize und demotiviert“, teilt der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Thomas Hartung, auf Anfrage mit.

Astrid Rothe-Beinlich, die Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion, findet, dass Noten nur sehr vage Rückschlüsse auf die tatsächlichen Leistungen von Schü­le­r:in­nen zuließen. „Ziel muss doch sein, die Stärken der Schü­le­r:in­nen zu fördern sowie Motivation und Spaß an Sport, Musik und Kunst im Unterricht zu vermitteln.“

In den übrigen Bundesländern stößt Holters Vorschlag auf gemischte Reaktionen, wie eine Umfrage der taz zeigt. „Keinem Schüler und keiner Schülerin ist damit geholfen, wenn man Anforderungen nivelliert oder Leistungsunterschiede verwischt“, hieß es zum Beispiel aus Sachsen-Anhalts CDU-geführtem Bildungsministerium. Sachsens Bildungsministerium, ebenfalls von der CDU geführt, antwortete: „Bemühungen zu benoten wird für Lehrkräfte eine große Herausforderung sein, die für manche Eltern und Schüler dann vielleicht nicht immer nachvollziehbar erscheinen.“

Andere Ministerien teilen mit, dass bei der Benotung in den drei Fächern längst berücksichtigt werde, wie viel Mühe sich ein Kind gegeben und ob es sich verbessert habe. Wieder andere merken an, es brauche festgelegte Bewertungsmaßstäbe, um schulische Leistungen und Abschlüsse vergleichen zu können. Den Reformbedarf, den Thüringen bei der Benotung von Sport & Co sieht, scheinen die übrigen Länder also nicht zu teilen.

Notendruck statt Freude an der Bewegung

Dabei gibt es nicht nur in der Politik Für­spre­che­r:in­nen für einen neuen Ansatz, vor allem im Fach Sport. So hat der Thüringer Sportärztebund – bereits vor Holters Vorstoß – vor den Folgen des Notendrucks gewarnt. Dieser könnte Schü­le­r:in­nen die Freude an der Bewegung nehmen und sollte entsprechend abgebaut werden. Dem Verband zufolge würden sich Kinder und Jugendliche sowieso schon zu wenig bewegen, durch die Pandemie habe sich der Bewegungsmangel noch mal verstärkt.

Auch Islim Kalali, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin in Berlin, sieht Reformbedarf bei der Notenvergabe. „Wenn alle Kinder und Jugendlichen nach demselben Bewertungsschema benotet werden, kann das für manche Schü­le­r:in­nen demotivierend sein.“ Merke ein Kind zum Beispiel, dass es beim 50-Meter-Lauf langsamer ist als seine Mit­schü­le­r:in­nen und es trotz Anstrengung gar keine Chance hat, eine gute Note zu bekommen – einfach, weil es aufgrund seiner körperlichen Voraussetzungen eine bestimmte Zeit nicht erreichen kann –, dann könne es dadurch die Freude am Fach verlieren. Auch Schamgefühle oder Frustration seien mögliche Folgen.

Über die Folgen kann Olaf Schlonski berichten. Laut dem Vorsitzenden des Thüringer Sportärztebundes legten bestimmte Kinder und Jugendliche häufig „ungerechtfertigt Atteste oder Entschuldigungsschreiben“ vor. „Unsere Beobachtung ist, dass ärztliche Befreiungen vom Sportunterricht nicht selten weniger auf körperlichen Defiziten beruhen als auf elterlichem Druck, die Kinder vom Sportunterricht fern zu halten, damit diese keine Nachteile im Notenschnitt erleiden“, so der Arzt.

Jugendpsychotherapeutin Kalali weiß, wie man den Notendruck mindern kann. Etwa indem Eltern ihren Kindern vermittelten, dass Noten „einfach nur Zahlen sind, die einem sagen, in welchen Fächern man schon gut ist und in welchen man sich noch ein bisschen mehr anstrengen sollte“. Gäben Eltern den Noten hingegen einen hohen Stellenwert, dann machten Kindern Noten natürlich Angst. Deshalb begrüßt sie Holters Vorstoß.

Der Lehrerverband in Thüringen ist dagegen

Allerdings gibt es in Thüringen auch Widerstand gegen die Reformpläne. So entgegnet der Thüringer Lehrerverband: „Der Logik des Kultusministers folgend müsste man es auch positiv bewerten, wenn ein Schüler zumindest ernsthaft versucht, die binomischen Formeln zu verstehen oder die französischen Verben richtig zu konjugieren“, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. arüber hinaus würde eine „Aufweichung der Benotung“ die Fächer Kunst, Sport und Musik abwerten – was „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ dazu führen würde, „dass hier bei personellen Engpässen zuerst an der Stundentafel gekürzt wird“.

Die Landeselternvertretung steht einer Reform offen gegenüber. „Speziell im Sportunterricht, wo die Notenvergabe sehr häufig auch von körperlicher Eignung abhängt, empfinden wir die aktuell Benotung als unfair“, sagt eine Sprecherin. Die Landesschülervertretung spricht ebenso von „unfairer“ Benotung und fordert, die Zensuren in den Fächern Musik, Sport und Kunst zu einer Gesamtnote zusammenzufassen.

Ob und wann Holter seine Reform umsetzt, ist offen. Denn neben der rot-rot-grünen Landesregierung muss Holter auch Teile aus CDU oder FDP überzeugen. Schließlich ist die Thüringer Minderheitsregierung bei Entscheidungen auf mindestens vier Stimmen aus der Opposition angewiesen. Das könnte knapp werden.

Christian Tischner, der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, erkennt in dem Vorstoß, „dass Minister Holter den Pädagogen und ihrer Fähigkeit zu differenzierten Wertungen misstraut“. Und auch die FDP sieht aktuell keinen Bedarf, an der bestehenden Praxis etwas zu ändern. Gut möglich also, dass Holter seinen Amts­kol­le­g:in­nen eine Reform nahelegt, die er selbst nicht umsetzen kann.

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