Not-Unterkunft für Kriegsflüchtlinge: Auf dem Flur untergebracht

In Hamburg schlafen Geflüchtete aus der Ukraine in der Messehalle. Frauen berichten, wie belastend das ist. Stadt prüft, ob sie Hotels mietet.

Eine Schranke vor dem Messeeingang, dahinter laufen Menschen

Seit diesen Montag schlafen vor dem Krieg Geflüchtete wieder in den Hamburger Messehallen Foto: Kaija Kutter

HAMBURG taz | Veronica hat kaum geschlafen. Sie steht müde am Eisentor der Messehallen. Sie und andere mussten auf Fluren schlafen. Ihre Begleiterin zeigt ein Video davon. Pritsche neben Pritsche mit grauen Fleecedecken, unter denen erschöpfte Frauen und Kinder liegen. Sie sei nachts sogar beklaut worden von zwei Frauen anderer Nationalität.

Um 22 Uhr am Vorabend war ihre Gruppe vom „Ankunftszentrum“ am Stadtrand in Hamburg-Rahlstedt per Bus in die Messehalle im Zentrum gekommen.

Veronica, die darum bittet, ihren richtigen Namen nicht in diesem Text zu nennen, ist einer von 120 Menschen, die Tatjana Sosin mit weiteren Helfern direkt aus der Ukraine holte. Mit einem gemieteten Doppeldeckerbus. Sosin hat selbst Wurzeln in dem Land und gründete spontan „Mothers for Ukraine Hamburg“. Mit Hilfe einer Veranstaltungsorganisation, die „Alster in Flammen“ heißt, fuhr sie am 4. März los.

Warten vor der Tür bei Minusgraden

Fünf Tage dauerte dann die Odyssee ins Kriegsgebiet, zu einem Ort etwa 300 Kilometer hinter der Grenze, und zurück. Sie habe sich vorher von der Ausländerbehörde und dem „Ankunftszentrum“ zusichern lassen, dass die 120 Menschen in Hamburg auch aufgenommen, versorgt und registriert werden. Doch als sie Dienstag früh morgens um 6.30 Uhr in Hamburg ankam, durften ihre Schützlinge nicht ins Ankunftszentrum rein. Stattdessen standen dort lange Schlangen von Menschen vor der Tür, die bei Minusgraden darauf warteten, registriert zu werden.

Erst am späten Mittag habe sie es geschafft, einen Teil der Menschen privat bei deren Verwandten oder Ehrenamtlern unterzubringen. Doch 25 Mütter und Kinder waren noch übrig, die dann ins Ankunftszentrum durften, wo sie aber nicht blieben.

Mittwochmittag fährt Sosin in Begleitung der taz zu den Messehallen, um Veronica und die anderen wiederzusehen. Weil wir das Gespräch am Zaun schwierig finden, verabreden wir uns draußen vor dem Tor. Auch andere Flüchtlinge sprechen uns am Zaun an, erzählen ihre Geschichte. Etwa ein Mann aus Kiew, der 59 ist und zu krank ist, um zu kämpfen, deshalb raus durfte mit einem Schreiben, das besagt, dass er kein „Verräter“ ist. Oder der Vater aus Charkiv, der seit drei Tagen auf die Registrierung wartet. „Aber es passiert nichts.“

Die Frauen kommen nicht vor das Tor. Sie dürfen die Halle nicht verlassen, verstehen wir am Telefon. Wir gehen zurück zum Zaun. Nach Rückfrage bei der Pressestelle des Roten Kreuzes ist klar, sie dürfen zwar raus, aber benötigen dafür ein Papier für den Wiedereinlass. Und das auszustellen brauche Zeit.

Sosin findet es schlimm, dass die Frauen in den Hallen schlafen. Das könnte sie weiter traumatisieren. „Wenn das nicht besser wird, fahren wir zurück nach Polen“, sagt Veronica am Zaun. „In Polen wird die Lage auch nicht besser sein“, entgegnet ihr Sosin. Die Helferin ist aber enttäuscht vom Empfang der Kriegsflüchtlinge. Sie hatten eine Frau mit einer Knieverletzung im Bus. Nicht mal für sie gab es eine „Schnellregistrierung“. „Schwierig. Der Senat sagt ‚Wir werden sie mit offenen Armen empfangen‘ und dann ist nichts vorbereitet.“

Hallen müssen erst geheizt werden

Ein Mitstreiter kommt hinzu. Er habe gehört, dass in den nächsten zwei Tagen noch zwei Messehallen aufmachen. Betreiber ist das Rote Kreuz. Die erst am Montag eröffnete Halle A 3 mit 950 Plätzen sei voll, sagt dessen Sprecher Markus Kaminski. Er bestätigt das mit den weiteren Hallen nicht. „Die Hallen müssen erst geheizt werden. Das macht spontane Belegungen unmöglich.“

Man gebe sich in der einen Halle viel Mühe, habe Dolmetscher und bald auch Sozialarbeiter dort. Auch werde eine Beschäftigung für die kleinen Kinder vorbereitet. „Die großen könnten draußen Fußball spielen.“ Das Miteinander in dieser bedrückenden Situation sei „harmonisch“. In der Halle sind kleine Abteile mit je vier Betten abgetrennt. Er bestätigt, dass nicht alle dort Platz finden und manche im Flur schlafen.

Die Innenbehörde teilt mit, Hamburg stelle in einem ersten Schritt 2.000 bis 3.000 Plätze bereit und baue angesichts des Zustroms „weiter aus“. Bis Dienstag wurden 2.098 Ukrainer registriert. Auf eine Linken-Anfrage teilt der Senat mit, dass eine weitere Notunterkunft in der Schnackenburg­allee errichtet wird und man Hotelanmietungen prüft.

Ehemalige Unterkünfte wurden abgebaut

Zu den Schilderungen zur Situation am Rahlstedter Ankunftszentrum bei der Ankunft der 120 Geflüchteten am Dienstag morgen sagt Innenbehörden-Sprecher Daniel Schaefer, ihm lägen dazu „keine Informationen vor“. Die Kollegen dort sorgten aber erfahrungsgemäß dafür, dass alle Menschen mit Bedarf untergebracht würden. „Die Registrierung kann auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen, dadurch entstehen keine Nachteile“.

Der CDU-Politiker Dennis Thiering kritisierte indes, es gebe unhaltbare Zustände in der Erstaufnahme. Es stelle sich nun auch die Frage, ob es klug war, nach 2015 vorhandene Wohncontainer für Geflüchtete ersatzlos wieder abzubauen. Damals hatte es die Stadt auf diese Weise nach Monaten mühsam geschafft, die katastrophale Unterbringung der Menschen in Hallen zu beenden.

Was sich Veronica wünscht? „Ein eigener Platz, ein ruhiger Ort, wo ich selber für mein Kind kochen kann“, sagt sie. „Mehr brauche ich nicht.“

Anmerkung der Redaktion: Der Artikel nach Erscheinen um eine Stellungnahme der Innenbehörde ergänzt.

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