Nordrhein-Westfalen kürzt bei Hartz IV: Härte gegen Bedürftige
Arbeitsminister Laumann (CDU) will Hartz-IV-Empfängern bei Sanktionen komplett das Geld streichen. Kritischen Initiativen dreht er den Hahn zu.
„Wenn eine verweigerte Mitwirkung keine Folgen hat, läuft das System leer“, tönte Laumann, der auch Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) ist, Anfang Februar in Düsseldorf. Er will der Arbeitsverwaltung deshalb erneut die Möglichkeit geben, die sowieso schon geringen Hartz-IV-Sätze von 432 Euro nicht nur auf 302 Euro zusammenzustreichen – sondern auf null.
Ein Ärgernis dürften für den Minister deshalb die 79 selbstverwalteten Arbeitslosenzentren in Nordrhein-Westfalen sein. Denn diese bieten Menschen, denen ohne Job und Geld die soziale Isolation droht, nicht nur bezahlbare Treffpunkte wie Cafés: Im Kampf gegen fehlerhafte Bescheide von Arbeitsagenturen und Jobcentern helfen sie Arbeitssuchenden auch mit qualifizierter Beratung durch oft ehrenamtlich arbeitende Jurist*innen, Sozialarbeiter*innen und Aktivist*innen.
Geht es nach Laumann, soll damit Ende des Jahres Schluss sein. Bisher erhalten die Arbeitslosenzentren, die oft aus Selbsthilfe-Initiativen entstanden sind, eine Landesförderung von 1,2 Millionen Euro. Ab Januar 2021 aber soll das Geld stattdessen an die zusätzlich bestehenden 73 Erwerbslosenberatungsstellen gehen, die bisher schon mit 5,6 Millionen Euro unterstützt wurden und deren Schwerpunkt auf Qualifizierung und Jobsuche liegt.
Diese Beratungsstellen sollen nicht nur die Aufgabe der Zentren übernehmen, Treffpunkte für Arbeitssuchende zu bieten – sondern auch noch Menschen helfen, die in prekären, mies bezahlten Jobs, etwa in der Fleischindustrie oder bei Paketversanddiensten, ausgebeutet werden.
Allerdings sind die Träger der Erwerbslosenberatungsstellen oft auch in der Beschäftigungsförderung aktiv. Damit sind sie finanziell eng mit der staatlichen Arbeitsverwaltung verwoben – also den Arbeitsagenturen und Jobcentern, die nach Laumanns Willen Arbeitssuchende bald wieder zu 100 Prozent „sanktionieren“ sollen.
Bundesweit bekanntes Engagement
„Ziel ist die Zerschlagung von behördenunabhängigen Beratungsstrukturen“, kritisiert deshalb Harald Thomé vom Wuppertaler Arbeitslosenzentrum Tacheles, das durch sein Engagement für die Rechte von Hartz-IV-Empfänger*innen bundesweit bekannt ist.
„Das NRW-Arbeitsministerium zerstört Hilfsangebote, die Arbeitssuchende jahrzehntelang unterstützt haben“, sagt auch Christian Woltering, Landesgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. „Arbeitslosenzentren wie das Tacheles sind natürlich politisch unbequem“, erklärt Woltering.
Immer wieder wird das Tacheles sozialpolitisch aktiv, schreibt Fachstellungnahmen, wird zu Anhörungen eingeladen, beteiligt sich an Gesetzgebungsverfahren. Beim Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht war Harald Thomé als Sachverständiger dabei – und lieferte auf Grundlage einer Onlinebefragung von über 21.000 Menschen eine 80-seitige Expertise.
Diese zeigte, wie bedrohlich die Sanktionen des Hartz-Regimes wirken: Betroffene klagten nicht nur über Energiearmut durch abgeschalteten Strom. „Wer Hilfsbedürftige auf null sanktioniert, schickt sie in die existenzielle Armut bis hin zur Obdachlosigkeit“, konkretisiert Christian Woltering vom Paritätischen. „Die von Arbeitsminister Laumann geforderten harten Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger*innen lehnen wir völlig und strikt ab.“
40 Prozent aller Klage erfolgreich
Allein im Tacheles suchen täglich rund 20 Menschen Hilfe bei Anträgen und Widersprüchen. Die handele „in hohem Maße rechtswidrig“, sagt Thomé – 2019 seien selbst laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit 34 Prozent aller Widersprüche und 40 Prozent aller Klagen gegen Hartz-IV-Entscheidungen erfolgreich gewesen. Umso wichtiger sei unabhängige Beratung, so Thomé.
Gegen die Kürzungspläne will das Tacheles Protest organisieren – und bekommt Unterstützung von Grünen und Sozialdemokraten. Mehrdad Mostofizadeh, arbeitspolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, warnt bereits vor einem „sozialen Kahlschlag“, SPD-Fraktionsvize Lisa-Kristin Kapteinat vor dem Ende der „flächendeckenden Beratung“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja