Norddeutsche Regionalkrimis als Stream: Gepflegte Morde
Im Netz sind mit „Friesland“, „Nord bei Nordwest“ und „Deichbullen“ drei sehr unterschiedliche Regionalkrimiserien als Streaming-Angebote zu sehen.
Regionalkrimis stillen ein ähnliches Verlangen des Publikums nach der Idylle wie die Heimatfilme in den 1950er-Jahren. Klischees stören da nicht, sondern sind im Gegenteil unbedingt nötig. Realismus sollte dagegen möglichst vermieden werden. Die Morde sind gepflegt und mit der Aufklärung im letzten Akt ist die Welt wieder in Ordnung. Aber sie haben das gemütlich Altbekannte ja auch kaum angekratzt.
„Friesland“ ist ein Musterbeispiel für diese Art von trostreicher Fernsehunterhaltung. Die seit 2014 vom ZDF ausgestrahlte Serie ist ein Ableger der im Münsterland spielenden Krimireihe „Wilsberg“, von demselben Team aus den Autoren Arne Nolting und Jan Martin Scharf sowie Regisseur Dominic Müller. Wie schon dort ist Situationskomik wichtiger als eine spannende Kriminalgeschichte: In der neuesten Folge „Aus dem Ruder“, die Ende Februar über den Sender ging, wird etwa minutenlang gezeigt, wie eine Ermittlerin sich selber in einem Spind einschließt und trotz lauten Rufens lange nicht befreit wird.
„Friesland“ spielt im ostfriesischen Leer und wird in der dortigen Altstadt, auf Norderney und am Hafen von Ditzum gedreht. Die Fälle löst ein uniformiertes Polizistenpaar: Sophie Dahl spielt die Streifenbeamtin Süher Özlügül, Florian Lukas den Polizisten Jens Jensen. In der zweiten Staffel wurde er durch Maxim Mehmet als Henk Cassens ersetzt. Süher Özlügül ist die Tochter des türkischstämmigen Hafenmeisters von Leer, der schon mal ein paar kleine Knirpse in einen Verschlag sperrt, weil sie ins Hafenbecken gepinkelt haben.
TV-Unterhaltung in Schmunzellaune
Für komische Verwicklungen sorgen auch die Apothekerin Insa Scherzinger (Theresa Underberg), die unbedingt alle Mordopfer untersuchen will, weil sie glaubt, sie wäre eine Rechtsmedizinerin, ein Bestatter (Matthias Matschke und in der zweiten Staffel Holger Stockhaus), der ständig auf der Suche nach Kundschaft ist und Hauptkommissar Jan Brockhaus (Felix Vörtler), der auf der Wache ein strenges Regiment führt und davon träumt, wieder zurück in die Großstadt Wilhelmshaven versetzt zu werden. Unter diesem Stammpersonal köchelt die Handlung im Stil einer Sitcom meist vor sich hin, so dass die Morde wie Nebensachen wirken und dann auch eher beiläufig gelöst werden.
Die für die ARD an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste gedrehte Krimireihe „Nord bei Nordwest“ ist ambitionierter inszeniert und besser geschrieben. Aber es gibt Parallelen zwischen beiden Serien: Auch hier gibt es Bestatter (Stefan A. Tölle und Regine Hentschel als Parodien auf Laurel und Hardy) die bei jedem Mordfall ein Geschäft wittern und mit Cem-Ali Gültekin einen komischen Türken, der als Running Gag in jeder Episode eine neue Geschäftsidee ausprobiert. Die Handlung spielt im fiktiven Ostseestädtchen Schwanitz, gedreht wurde auf dem Priwall, in Travemünde, Orth, und Petersdorf auf Fehmarn.
Diesmal wurde der erfahrene Polizist aus der Großstadt – Prinzip: fish out of the water – einmal nicht, wie in Regionalkrimis üblich, in die Provinz strafversetzt, sondern der Hamburger Ex-Ermittler Hauke Jacobs (Hinnerk Schönemann) ist ein traumatisierter Aussteiger, der sich in Schwanitz als Tierarzt niederlässt. Mit der Dorfpolizistin Lona Voght (Henny Reents) und der Tierarzthelferin Jule Christiansen (Marleen Lohse) hat er zwei rothaarige, alleinstehende Gehilfinnen, die ständig für romantische Spannung sorgen. Hier werden Kriminalfälle ernst genommen, das Niveau der Drehbücher entspricht dem von besseren Tatort-Folgen und die Komik wird als Stilmittel eingesetzt, nicht als Hauptattraktion.
Seit der ersten Folge 2014 hat es zudem eine Entwicklung gegeben: Die Episoden wurden immer düsterer und statt wie am Anfang eher putzig zu inszenieren, trauten sich RegisseurInnen wie Felix Herzogenrath, Nina Wolfrum und Markus Imboden immer mehr, komplexe und tragische Geschichten zu erzählen. Statt sich auf dem Erfolg der Serie auszuruhen, versuchten sie deren Möglichkeiten und Grenzen auszuloten. Sie arbeiteten dabei etwa mit Elementen des Actionkinos und des psychologischen Thrillers. Das schlechte Deutsch des Titels (warum nicht „Mord bei Nordwest“?) erklärt sich übrigens dadurch, dass hier der Titel des Hitchcock-Klassikers „North by Northwest“ wörtlich übersetzt wurde.
Die Serie „Deichbullen“ wurde dagegen originär für das Netz gemacht. Der Kieler Filmemacher Michael Söth drehte 2015 zehn Fünf-Minuten-Episoden, die er bei Youtube einstellte. Für sein Projekt über zwei Hamburger Polizisten, die in das nordfriesische Kollmar strafversetzt (!) werden, bekam er keine Förderung.
„Friesland“: die erste Staffel auf Netflix, die zweite in der ZDF-Mediathek
„Nord bei Nordwest“: die letzten sechs von elf Folgen in der ARD-Mediathek
„Deichbullen“ läuft als sechsteilige Miniserie bei Netflix.
Also drehte er so billig wie möglich mit der Hilfe von Freunden und Bekannten, zu denen auch der Schauspieler Ben Becker gehört. Der brummelt nicht nur für das Intro einen hochironischen Text („Schleswig Holstein, Perle der Natur …“), sondern tritt auch in einer Episode als mörderischer Kiezschläger „Perle“ auf. Die Web-Episoden waren so erfolgreich, dass sich die Produktionsfirma Studio Hamburg des Projekts annahm. So konnte Söth vier neue, etwa 20 Minuten lange Episoden drehen, die Netflix angekauft hat.
Die beiden Protagonisten der Serie, René Chambalu und Reverend Christian Dabeler, sind eher Selbstdarsteller als Schauspieler, und so lässt Söth sie meist einfach nur reden, wenn sie etwa in der Dorfkneipe ihr „Hamburger Gedeck“ (Bier und Korn) zu sich nehmen.
Es gibt zwar schlimme Verbrechen in Kollmar: Ganze Busladungen von Touristen verschwinden, und nachts werden von Fischerbooten blutige Körperteile ins Meer geschüttet, aber die Deichbullen kriegen von all dem nichts mit und konfiszieren höchstens mal Kinderspielzeug, das in Hofeinfahrten herumliegt. Es gab kein Geld für Ausstattung, und drehte Söth in den Wohnungen der KollmarerInnen, die dann gleich mitspielen durften. So hat „Deichbullen“ nicht die polierte Postkartenoptik, die Fernsehproduktionen so steril wirken lassen. Und das macht ihn zu einem Heimatfilm im guten Sinn des Wortes.
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