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Nord Stream 2Gas auf Eis

Rätseln um Aussagen von EU-Vizepräsident Valdis Dombrovskis: Er macht Andeutungen über die Zukunft der neuen Pipeline von Russland nach Deutschland.

Gazprom hat jetzt einen Briefkasten in Deutschland Foto: Jens Büttner/picture alliance

Berlin taz | Der russische Energiekonzern Gazprom versucht weiterhin alles, um seine umstrittene Pipeline Nord Stream 2 in Deutschland an den Start zu bringen. Aber es ruckelt. Das Projekt liege auf Eis, hat nun Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der Europäischen Kommission, laut der Nachrichtenagentur Reuters am Montagabend in der ukrainischen Hauptstadt Kiew erklärt.

Dombrovskis war nach Kiew gefahren, um die Unterstützung der Europäischen Union für die Ukraine zu übermitteln, an deren Grenze russische Truppen aufmarschiert sind. Nord Stream 2 sei „nicht mit den Zielen der EU-Energiepolitik vereinbar“, sagte der Kommissions-Vizepräsident. In Brüssel befürchten manche, die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen werde zu groß. Außerdem könne die neue Röhre der russischen Regierung ermöglichen, Druck auf die Ukraine auszuüben.

Die beiden Leitungsstränge durch die Ostsee zwischen Russland und Deutschland sind technisch fertig. Durch sie kann künftig Erdgas strömen, das bisher unter anderem durch die Ukraine transportiert wird, womit diese Gebühren verdient. Um Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen, fehlt jedoch noch die Zertifizierung durch die Bundesnetzagentur in Bonn. Momentan ist das Verfahren unterbrochen. Die Nord Stream 2 AG gehört Gazprom.

In diesem Zusammenhang erscheint fraglich, wie die Äußerung von Dombrovskis überhaupt zu verstehen ist. Erste Variante: Er verweist nur auf das ausgesetzte Zertifizierungsverfahren. Bevor es weitergehe, müsse die Nord Stream 2 AG, die ihren Sitz in der Schweiz hat, erst eine deutsche Tochter gründen, hatte die Netzagentur festgestellt. In dem Verfahren wird auch die EU-Kommission eine Stellungnahme abgeben, die die Netzagentur wiederum berücksichtigen muss.

Gazprom hat nun deutsche Tochterfirma

Zweite Variante: Dombrovskis wollte bereits andeuten, dass er es für fraglich hält, dass Nord Stream 2 zertifiziert wird. Nach Dombrovskis’ Aussagen untersucht die EU-Kommission auch, ob das Vorgehen des staatlichen russischen Energiekonzerns Gazprom marktkonform ist. Brüssel wirft der Regierung in Moskau vor, trotz gestiegener Erdgas-Nachfrage die Liefermengen nicht zu erhöhen und damit den Preis in die Höhe zu treiben.

Um die Zertifizierung voranzubringen, hat Gazprom inzwischen die Firma Gas for Europe GmbH mit Sitz in Schwerin gründen lassen. Diese soll offiziell den 54 Kilometer langen Teil von Nord Stream 2 im deutschen Hoheitsgebiet betreiben. Als Vorsitzender des Aufsichtsrats firmiert Dieter Walter Haller, ein ehemaliger deutscher Botschafter.

Dem hat das Auswärtige Amt diese Tätigkeit während seines Ruhestandes allerdings untersagt, teilte das Haus von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit. Begründung: „dienstliche Interessen“ würden „beeinträchtigt“. Gazprom wird sich nun einen neuen Chefaufseher für seine deutsche Tochter suchen müssen. Derweil bleibt das Zertifizierungsverfahren bei der Bundesnetzagentur ausgesetzt, weil noch Unterlagen fehlen.

Die Debatte, ob die Pipeline nützlich oder schädlich ist, ging währenddessen weiter. Leon­hard Birnbaum, Chef des Energiekonzerns Eon, sagte: „Energiewirtschaftlich ist Nord Stream 2 hilfreich.“ Russisches Gas werde weiter benötigt, um im Zuge der Energiewende beispielsweise Kohle als Brennstoff zu ersetzen, so Birnbaum. Er halte russisches Pipeline-Gas auch deshalb für vorteilhaft, weil es billiger sei als flüssiges Erdgas etwa aus den USA.

„Wir brauchen mittelfristig eher mehr als weniger Gasimporte aus Russland“, schrieb auch der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, sagte dagegen: „Deutschland braucht eine sichere Energieversorgung. Die hängt aber nicht an einer einzelnen Pipeline, auch nicht an Nord Stream 2.“

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1 Kommentar

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  • Diese Überlegungen hätten angestellt werden müssen, bevor eine Pipeline in den Meeresboden gerammt wird. Jetzt ist sie da.