Nominierung für Fußball-EM-Kader: Bloß oberer Durchschnitt
Jogi Löws Aufgebot für die Männer-Fußball-EM ist solide, nicht mehr. Die Sportwelt nimmts gelassen – als letzter Move eines scheidenden Monarchen.
S elten sind Kadernominierungen für ein Großturnier der deutschen Männernationalelf von so viel Gelassenheit begleitet gewesen wie diese. Es gab warmen Applaus für die Entscheidung, den im Nationaldress völlig unerfahrenen Freiburger Christian Günter und den ausgemusterten Kevin Volland mitzunehmen. Auch dafür, dass wie absehbar Hummels und Müller zurückkehren. Höchstens Joachim Löws eher gering ausgeprägte Fähigkeit, Fehler einzuräumen, fand einzelne hochgezogene Augenbrauen.
So viel Harmonie ist angesichts der letzten Wochen für den DFB erfreulich, aber nicht nur ein gutes Zeichen. Löws Aufgebot für die um ein Jahr verschobene Männer-EM ist tatsächlich die klügste Auswahl derer, die Fußballdeutschland zu bieten hat. Im Guten wie im Schlechten, denn es drängt sich eben auch sonst kaum jemand auf. Das Personal ist viel oberer Durchschnitt, wenig Weltklasse. Mit Grund bleibt Löw bei einem EM-Ziel zurückhaltend.
Für ein gutes Turnier muss die Offensive konstanter werden; mit der Bayern-Achse um Goretzka, Kimmich, Gnabry, Sané sind Niederlagen wie die gegen Nordmazedonien schwer zu rechtfertigen. Die Defensive bleibt eine Problemzone. Auch deshalb ist die Rückkehr von Mats Hummels wichtiger als die umjubelte Rückholung von Medienliebling Thomas Müller. Dass die Aussortierung der beiden Leitfiguren vorschnell war, ist nicht nur Löw anzukreiden: dieselben KritikerInnen, die nun vehement das Comeback forderten, schrien nach der verkorksten WM 2018 noch, die Alten müssten endlich weg. Das haben sie selig vergessen.
Und noch einen Grund gibt es für die Gelassenheit. Durch seinen angekündigten Rücktritt hat Joachim Löw vor dem Volke gewissermaßen die Wandlung von Louis XVI zur Queen durchlaufen: von der (in diesem Fall nicht wörtlichen) Schafott-Forderung zu einer Folklorefigur, deren Schrullen man mit einem Lächeln hinnimmt: So isch er, unser Jogi. Vor dem Hintergrund des beispiellosen Kreditverlusts des Spitzenfußballs wie des DFB hat die EM zudem an Bedeutung eingebüßt. Bis zum Auftaktspiel am 15. Juni gegen Frankreich jedenfalls. Da sollte sich der scheidende Monarch im möglichen Volkszorn nicht täuschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen