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Nobelresort Wie aus dem Marinestützpunkt Olpenitz ein touristisches Vorzeigeprojekt wurdeFrieden im Norden

Aus Kappeln Sven-Michael Veit

Kappeln könnte ein Gewinner sein. Die Hoffnungen des Städtchens ganz oben rechts in Schleswig-Holstein gründen sich auf die größte Baustelle des Landes. Im Ostsee-Resort Olpenitz werden seit vier Jahren 160 Hektar Land- und Wasserflächen von militärischer zu ziviler Nutzung umgestaltet, und wenn schätzungsweise im Jahr 2022 der letzte Pinselstrich getrocknet sein dürfte, wird aus Kasernengelände und Militärhafen an der Schlei das größte touristische Projekt an der deutschen Küste geworden sein.

Noch ist es im Entstehen. Strandvillen säumen im Norden des Areals zwischen dem Yachthafen und der Schlei die einzige fertiggestellte Straße, die so schmal ist, dass es weder für Bürgersteige noch für Radwege reicht. Zwei SUVs passen gerade so aneinander vorbei, aber wenn ein Fußgänger auf der Straße geht, muss einer warten. 428.281 Euro kostet eine Drei-Zimmer-Villa von 99,90 Quadratmetern, mit Kamin, Sauna, Balkon, Terrasse, Meeresblick und Top-Ausstattung, versteht sich; bei vier Zimmern und 127,40 Quadratmetern werden dann schon 523.481 Euro fällig.

Unter 4.000 Euro pro Qua­dratmeter wird man hier nichts, nur die schwimmenden Hütten an Bootsstegen in der Marina sind etwas günstiger, und trotzdem ist fast alles schon verkauft, obwohl noch nicht einmal ein Viertel fertiggestellt ist. Baumaschinen und Kräne dominieren weiterhin das Bild auf dem größeren Südufer, aber wer ein paar Jahre Ferien auf der Baustelle überstanden hat, wird danach Meeresrauschen und Möwengeschrei umso mehr zu schätzen wissen.

Kappelns Ortsteil Olpenitz, fünf Kilometer vom Stadtzen­trum entfernt direkt an der Ostsee gelegen, ist ein Freizeit- und Tourismusprojekt von gigantomanen Ausmaßen. Mindestens 1.000 Wohnungen in Ferien- und Apartmenthäusern sollen direkt am und auf dem Wasser entstehen. Hotel, Schwimmbad und Golfplatz kommen hinzu, Cafés, Restaurants und Shops ebenfalls, auch an ein maritimes Zentrum mit Winterlager für die etwa 1.000 Sport- und Segelboote, die über den Sommer ihre Liegeplätze im Hafenbecken haben, ist gedacht.

Im Rathaus der 660 Jahre alten Kleinstadt Kappeln wird die Entstehung des Ostsee-Resorts mit Wohlwollen betrachtet. Viele positive Effekte erwartet Bauamtsleiterin Jana Becker, ohne diese bereits beziffern zu können. Höhere Einnahmen aus Grund- und Gewerbesteuern, mehr Arbeitsplätze und mehr Lohnsteuern und auch mehr Einwohner dürfe Kappeln erwarten – „aber genau wissen wir das erst in drei, vier Jahren“, sagt Becker: „Das ist doch alles noch im Werden.“

Als Schauplatz der ZDF-Serie „Der Landarzt“ hat Kappeln es unter dem Pseudonym „Deekelsen“ zu gewisser bundesweiter Bekanntheit gebracht. Mit den alljährlichen Heringstagen rund um den mit 635 Jahren ältesten Heringszaun Europas kann das 9.000 Einwohner zählende Städtchen wuchern, dazu mit einer historischen Altstadt, der stattlichen Windmühle Amanda und viel Wasser: Kappeln an der 48 Kilometer langen Schlei, die kein Fluss, sondern eine Ostseeförde ist, lebt vom Tourismus.

Nicht nur in der Hochsaison sind Hotels und Ferienwohnungen ausgebucht, und abends in einem der Restaurants in den ehemaligen Speichern und Hafenschuppen an der Schleipromenade einen Tisch zu ergattern, gleicht einem Lotteriespiel. Gäste zu bewirten ist die Hauptaufgabe der Kappelner, und wenn in Olpenitz ein paar Tausend zusätzlich übernachten, ist das nur gut fürs Geschäft.

Das sieht auch Jana Becker so, „aber ein paar Sorgen macht mir der Verkehr“, sagt sie. Wenn die Olpenitzer zum Shoppen und Bummeln nach Kappeln kommen, „dann geht hier gar nichts mehr“, fürchtet sie. Eine vierspurige Bundesstraße führt mitten durch die Stadt, auf einer Klappbrücke über die Schlei. Wenn dort ein Segelboot passieren will, wird die Fahrbahn hochgeklappt, binnen Minuten bilden sich auf beiden Ufern lange Staus. Noch mehr Autos seien kaum zu verkraften, sagt Becker, mehr Parkraum in der Altstadt jedoch sei nicht machbar.

Der Konflikt Genau im Naturschutzgebiet sollten nach ersten Plänen die teuersten Urlaubsvillen – „Kaufpreis ab 600.000 Euro aufwärts“ – mit unverbaubarem Blick über die dänische Südsee bis zu den Inseln Langeland und Ærø entstehen

Sie plant einen Großparkplatz auf dem gegenüberliegenden Ufer vor der Brücke. „Dann kommen die Leute zu Fuß rüber“, hofft sie. Fähren und Wassertaxis zwischen Kappeln und Olpenitz könnten helfen, den Verkehrsinfarkt zu vermeiden. Darüber könnte man mal mit den Betreibern der Ausflugsschiffe sprechen, die auf der Schlei ihre Rundfahrten anbieten. „Vorstellbar ist das“, sagt Becker, „aber noch ist alles offen.“ Wenn aber in vier, fünf Jahren Olpenitz voll ausgelastet sein dürfte, wären fertig entwickelte Lösungen sinnvoll.

Seit das Ferienimmobilien-Unternehmen Helma aus dem niedersächsischen Lehrte Anfang 2012 das Freizeitprojekt übernommen hat, ist Zug in die Sache gekommen. Den ursprünglichen Investoren, die sechs Jahre zuvor mit den ersten Planungen begonnen hatten, waren Luft und Geld ausgegangen, Helma sah seine Chance. Die Firma hatte bereits 2011 mit der Errichtung von 24 luxuriösen Strandvillen begonnen und griff nun zu. „Diese Lage zwischen einem Hafen, der Schlei und der Ostsee gibt es an der gesamten Küste Deutschlands kein zweites Mal und macht sie deshalb so einzigartig“, verkündete Helma seinerzeit.

Seit Beginn des Jahrtausends hat die Bundeswehr 30 große Standorte in Norddeutschland aufgegeben, die nach dem Ende der Teilung Europas nicht mehr benötigt wurden: Kasernen zumeist, aber auch Flugplätze und Häfen. Im November 2004 hatte der damalige Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) auch die Schließung von Olpenitz verkündet. Die Fregatten und Minensucher samt Besatzungen wurden wenige Seemeilen südlich nach Kiel verlegt. Im Mai 2006 liefen die letzten sechs Boote des Olpenitzer Geschwaders ihre neue Basis in der Landeshauptstadt an.

Insgesamt wurden 13 Militärstandorte in Schleswig-Holstein aufgelöst, 14 in Niedersachsen und drei Kasernen in Hamburg. Ein jahrelanger Abwehrkampf vieler Kreis- und Kommunalpolitiker im Norden gegen die Konsequenzen aus dem Ende des Kalten Krieges war verloren. Und damit der oftmals größte Arbeitgeber vor Ort. Auch an der Schlei ging es nicht ohne Verluste ab: 1.600 Soldaten und 450 zivile Angestellte verschwanden, die Arbeitsplätze zumindest dürften jetzt wieder entstehen.

Doch nicht nur ökonomisch blickt Kappeln deshalb optimistisch in die Zukunft, auch ökologisch sei – wenn denn das Verkehrsproblem gelöst wird – „alles gut“, sagt Becker. Eine Voraussetzung war die Lösung des Konflikts zwischen Investoren und Naturschützern um Schlei und Nordhaken.

Die nördlich an Olpenitz grenzende Schleimündung „ist eines der wertvollsten Flachwassergebiete des Landes“, lautete seit Beginn der Planungen die Position des Naturschutzbundes (Nabu). Das Vogelschutzgebiet ist anerkannt nach der EU-Richtlinie Flora-Fauna-Habitat (FFH), und der nordwestlich in die Schleimündung hineinragende Haken ist ein Naturschutzgebiet. Dieses sollte, so empfahl es auch das Landesamt für Naturschutz schon 2005, um weitere Flächen an der Ostsee erweitert werden.

Genau dort aber sollten nach ersten Plänen die teuersten Urlaubsvillen – „Kaufpreis ab 600.000 Euro aufwärts“ – mit unverbaubarem Blick über die dänische Südsee bis zu den Inseln Langeland und Ærø entstehen. Vor allem die ökologisch wertvollen Bereiche am Schleiufer, die Rast- und Brutplätze für etliche gefährdete Vogelarten sind, sah der Nabu in Gefahr. Der gesamte Nordhaken sei deshalb, forderte Schleswig-Holsteins Nabu-Chef Ingo Ludwichowski, „komplett von Bebauung freizuhalten“.

Und das Oberverwaltungsgericht Schleswig sah das im März 2009 genauso: Der Bebauungsplan verstoße gegen mehrere Vorschriften des Natur- und Umweltschutzrechts, so die Richter. Das angrenzende Vogelschutzgebiet dürfe durch die geplante Bebauung nicht beeinträchtigt werden. Der nachgebesserte Bebauungsplan, ein halbes Jahr später verabschiedet, sorgte für Frieden an der Küste: Ein massiver Zaun trennt Olpenitz jetzt vom „Naturschutzgebiet Schleimünde“, die Feriengäste können es sehen, aber nicht betreten.

So könnte Olpenitz ein Modell sein für die Konversion von militärischer Nutzung in zivile. Ferienwohnungen statt Fregatten, wer kann da schon was dagegen haben. In Tarnewitz bei Boltenhagen an der mecklenburgischen Ostseeküste gibt es ein nur wenig kleineres Projekt. Dort wurden auf einer seit 1933 militärisch genutzten Halbinsel sämtliche Kasernen und sonstigen Gebäude entfernt; jetzt stehen dort Hotels und Appartmenthäuser an einem feinsandigen Badestrand und neben einer der größten Marinas an der Ostsee. Und ein eingezäuntes Naturschutzgebiet gibt es dort auch.

So sieht er aus, der Frieden im Norden.

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