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Nkosazana Dlamini-Zuma über Afrika„Wir sagen, wo wir hinwollen“

Die Chefin der Afrikanischen Union will sich die Entwicklungsziele nicht vom Westen vorschreiben lassen. In 50 Jahren soll Afrika ein prosperierender Kontinent sein.

Arbeiter in einer Kupfermine im Kongo. Vom Gewinn bleibt ihm und dem Land kaum etwas. Bild: reuters

taz: Frau Zuma, die EU arbeitet an einer Agenda für die nächste Dekade der Armutsbekämpfung. 2015 will sie zum „Jahr der Entwicklung“ ausrufen. Gleichzeitig versperrt Europa afrikanischen Produzenten weiter den Zugang zu seinen Märkten und überschwemmt Afrika mit subventionierten europäischen Gütern. Ist das nicht scheinheilig?

Nkosazana Dlamini-Zuma: Wir sollten nicht da sitzen und darüber lamentieren, was andere tun. Ob die EU scheinheilig ist oder nicht, das überlasse ich Ihnen. Wir haben keine Möglichkeit, andere zu stoppen, auch wenn uns nicht gefallen sollte, was sie tun. Aber wir haben die Fähigkeit zu ändern, was wir selbst tun.

Und was wollen Sie tun?

Kampf der Armut

Gestern: Auf ihrem Gipfel im Jahr 2000 legte die UN acht „Millenniumsziele zur globalen Entwicklung“ fest. Angestrebt ist unter anderem, die Zahl der Menschen um die Hälfte zu verringern, die Hunger leiden oder in extremer Armut leben. Die Kindersterblichkeit soll um zwei Drittel fallen.

Heute: Trotz vieler Fortschritte ist absehbar, dass die Ziele in den verbleibenden 25 Monaten nicht erreicht werden. Weltweit hungern derzeit etwa 842 Millionen Menschen, 16.000 sterben täglich an den Folgen von Unterernährung. Die Industriestaaten sind noch weit davon entfernt, die Entwicklungshilfe auf je 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung zu erhöhen.

Morgen: EU, Weltbank und andere haben Vorschläge für eine „Post-2015-Agenda“ vorgelegt. Eines der möglichen Ziele ist es, „absolute Armut“ bis 2030 abzuschaffen. Auf von der EU-Kommission organisierten „Europäischen Entwicklungstagen“ in Brüssel wurde jetzt diskutiert, wie ein neu er Globaler Entwicklungskonsens unter Beteiligung des Südens der Erde aussehen könnte. (cja)

Afrika muss sich fragen, wo es hin will und welche Schritte dazu nötig sind. Der 50. Jahrestag der Gründung unserer Organisation war uns ein Anlass, unsere eigene Agenda zu entwickeln: „Afrika 2063“. Wir wollen, dass Afrika in 50 Jahren ein prosperierender Kontinent ist, mit sich selbst in Frieden und eine dynamische Kraft in der Welt.

2063 ist ganz schön lange hin.

Wir können keine strategischen Pläne für 50 Jahre machen. Aber wir können Megatrends bestimmen, von denen wir glauben, dass sie uns ans Ziel bringen.

Welche Trends sind das?

Wir haben Sonne an jedem Tag, das ist eine große Ressource. Deswegen müssen wir unsere grüne Wirtschaft entwickeln. Die EU kann dabei helfen. Wir brauchen dafür Technologietransfer, um stärker von erneuerbaren, sauberen Energien zu profitieren. Afrika hat riesige Meeresgebiete, aber ihre Ressourcen arbeiten nicht für uns. Sie werden von anderen ausgebeutet. Deshalb müssen wir auch unsere blaue Wirtschaft entwickeln. Unsere wertvollste Ressource aber sind unsere Menschen. 2050 werden es doppelt so viel sein wie heute. Und anders als in anderen Regionen wird sich bei uns der Anteil von arbeitenden zu älteren Menschen weiter verbessern, das ist ein großer Vorteil.

Für andere sind solche Zuwächse eher eine Horrovorstellung.

Bild: reuters
Nkosazana Dlamini-Zuma

, 64, ist Vorsitzende der Kommission der Afrikanischen Union. Sie führt den Staatenbund seit 2012 und ist die erste Frau an seiner Spitze. Die Südafrikanerin stand seit der Wahl des ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas, Nelson Mandela, an der Spitze mehrerer Ministerien ihres Heimatlandes. Zunächst war die ausgebildete Ärztin Gesundheitsministerin, später Außenministerin. Heute ist sie amtierende Innenministerin von Südafrika in der Regierung ihres früheren Ehemannes Jacob Zuma. (cja)

Wir brauchen eine Revolution der Bildung in Afrika. Sie ist Grundlage der Modernisierung des Kontinents, des Wachstums der Mittelschichten. Eine gebildete Bevölkerung wird Jobs schaffen, sie wird wissen, was mit unseren Rohstoffen geschehen soll. Sie wird nicht zulassen, dass andere Menschen aus Übersee kommen und unsere Reichtümer ausbeuten. Wir haben wohl fast alle Rohstoffe, die die Wirtschaft braucht – für die Herstellung von Handys ebenso wie für die Erzeugung von Atomenergie. Doch sie werden unverarbeitet in andere Länder transportiert. Uns bleibt kaum etwas.

Das ist seit jeher so. Warum hat sich daran nichts geändert?

Die Bergbaukonzerne haben größere Etats für ihre Juristen, als unsere Verwaltungen es haben, mit denen sie die Schürfrechte aushandeln. Mit schlechten Verträgen verlieren wir schon von Anfang an. Dann geben viele dieser Firmen übertrieben hohe Kosten an, die für sie anfallen – und wir können das nicht nachweisen. Drittens rechnen sie den Wert dessen, was sie aus dem Boden holen, künstlich klein. Wir können nicht genau sagen, wie viel Barrel Öl oder Karat Diamanten sie am Tag fördern. So bezahlen sie nur sehr wenig Steuern – und wir verlieren wieder.

Gleichzeitig leisten die afrikanischen Länder der Ausbeutung ihrer Ressourcen Vorschub, indem sie mehr Land als je zuvor an ausländische Investoren verkaufen. Seit dem Jahr 2000 sollen es über hundert Millionen Hektar gewesen sein.

Die Länder sollten sich anschauen, was sie da tun. Sie werden das Land brauchen, wenn ihre Bevölkerungen wachsen. Grundsätzlich kann man Ackerflächen durchaus verpachten, das muss aber den Menschen dienen. Wenn Investoren Kaffee anbauen lassen – schön. Aber der muss vor Ort verarbeitet werden. Das würde gut bezahlte Jobs schaffen, es wäre eine Win-Win-Situation. Was jetzt geschieht, nutzt den afrikanischen Ländern meist nichts: Die Investoren bringen die Agrargüter in ihre eigenen Länder und dort geschieht die Wertschöpfung.

Auch in afrikanischer Eigenregie angebaut Güter werden unverarbeitet exportiert.

Das müssen wir stoppen. Länder, die Baumwolle anbauen, verkaufen sie als Baumwolle und importieren Stoff oder Kleidung. Die größten Schokoladenproduzenten der Welt bauen keinen Kakao an, nicht eine Bohne. Diese Länder profitieren von der Weiterverarbeitung. Wie viele afrikanische Kinder können sich belgische oder schweizer Schokolade leisten? Im Moment geben wir 20 Milliarden Dollar pro Jahr für die Einfuhr von Lebensmitteln aus. Mit diesem Geld sollten wir Schulen bauen. Wir sollten Nettoexporteur von Lebensmitteln werden. Dazu müssen wir unsere Agrarindustrie ausbauen und unsere Güter endlich selbst weiterverarbeiten.

Wie wollen Sie das erreichen?

Wir brauchen Investitionen – von Außen und von Innen. Unter den zehn größten Investoren in Afrika sind heute schon drei afrikanische Staaten: Nigeria, Kenia und Südafrika. Wir müssen Ressourcen mobilisieren.

Wofür?

Wir brauchen Straßen, Eisenbahnen, Luftverkehr, Häfen um die Probleme bei der Mobilität von Menschen und Gütern innerhalb Afrikas zu lösen. Das wird den innerafrikanischen Handel ebenso beflügeln wie den Tourismus. Alle beklagen sich immer, dass der innerafrikanische Handel zu klein sei. Natürlich ist er das. Wenn wir nichts herstellen und es keine Infrastruktur gibt, wie sollen wir dann untereinander handeln? Das gleiche gilt für den Tourismus. Selbst viele Afrikaner kennen die Schönheiten des Kontinents nicht, weil es nicht genug Infrastruktur gibt. China und Indien werden 2020 Hunderte Millionen Touristen in die Welt schicken. Wie viele davon nach Afrika kommen, wird davon abhängen, welche Infrastruktur beim Transport, Hotels und Energie es gibt. Kein Tourist will an einen Ort, an dem es Stromausfälle gibt.

Deckt sich diese Wachstumsagenda nicht mit den Vorstellungen der Geberländer?

Wir sagen, wo wir hin wollen. Wenn die Welt dasselbe machen will, schön und gut. Wenn die Welt nicht dasselbe tun will, dann sollten wir es trotzdem tun.

Was will die Welt denn nicht tun, was Sie tun wollen?

Eines der UN-Millenniumsziele bis 2015 etwa ist Primärschulbildung für alle Kinder. Uns ist das zu wenig. Wir wollen uns auch höhere Bildung als Ziel setzen. Uns ist klar, dass Entwicklungshilfe wahrscheinlich an das gebunden sein wird, was die Internationale Gemeinschaft entschieden hat. Aber mit Hilfe allein gelangt niemand zu Wohlstand. Hilfe kann dazu beitragen, unsere Kinder auszubilden, unsere Landwirtschaft zu transformieren – aber nur, damit wir am Ende keine Hilfe mehr brauchen. Ja, wir nehmen sie heute an und wir sind dankbar. Aber künftig sollten wir in der Lage sein, mit Europa Handel zu treiben, statt Hilfe anzunehmen.

Die UN-Millenniumsziele sollen bis 2015 erreicht sein. Das wird nicht gelingen.

Wir wollen, dass auch nach 2015 über Armutsbekämpfung gesprochen wird. Aber wir sind keineswegs mit dem Ziel einverstanden, nur die extreme Armut zu beseitigen, wie die Millenniumsziele das vorsehen oder es auch für die „Nach-2015“-Agenda im Gespräch ist. Wir können nicht künftigen Generationen sagen: Es ist okay, arm zu sein, solange man nicht extrem arm ist. Wir sollten unseren Kindern sagen: Es ist eben nicht okay, arm zu sein. Ihr müsst hart arbeiten, um Armut zu beseitigen. Kein Land sollte sich vornehmen, nur nicht extrem arm zu sein. Das ist ein großer Unterschied zu dem Ziel, bis 2015 oder 2030 keine extreme Armut mehr zu haben. Damit sagt man uns: Wir sollen weiter arm sein. Das wollen wir aber nicht.

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8 Kommentare

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  • V
    Volkerseitz

    Das Interview beginnt leider zwei falschen Behauptungen. Grund für die Misere in Afrika sei, dass es keinen fairen Zugang zu den Märkten der Industrieländer gibt. Everything but arms ("alles außer Waffen") heißt aber ein Programm der EU, das im Jahr 2001 zur Unterstützung der am wenigsten entwickelten Länder eingeführt wurde. Es garantiert diesen den zollfreien Zugang zu den EU-Märkten für alle Güter – außer Waffen. Die Welthandelsorganisation sieht eine Ausnahme vor, die eine einseitige Marktöffnung erlaubt. Von den am wenigsten entwickelten Länder der Welt liegen 34 in Afrika. Sie dürfen alle Produkte außer Waffen zollfrei in die EU exportieren. Obamas Vorgänger Bill Clinton unterzeichnete den African Growth and Opportunity Act (AGOA). Seither darf ein großer Teil aller Waren aus Afrika zu bevorzugten Konditionen in die USA exportiert werden, auch Textilien genießen Vergünstigungen. Das Problem bleibt aber, dass diese Staaten gar keine wettbewerbsfähigen Produkte anbieten können. Ohne ein Mindestmaß an Veredelung der Rohstoffe und die Entwicklung eines produzierenden Gewerbes, dürfte es in Afrika kaum eine industrielle Revolution nach dem Vorbild Asiens geben.EU Agrarsubventionen gibt es übrigens auch nicht mehr.Volker Seitz,Botschafter a.D. und Autor "Afrika wird armregiert"

    • @Volkerseitz:

      Zollfrei kann z.B. verarbeiteter gerösteter Kaffee aus Afrika erst seit 2008 in die EU eingeführt werden (gilt für alle Asien-Karibik-Pazifk-Länder /AKP-Staaten). Bis 2007 wurde nur grüner Kaffee zollfrei eingeführt, gerösteter Kaffee wurde immer mit 30% Zoll belastet. Auch deshalb konnte keine effiziente Weiterverarbeitung z.B. in Äthiopien entstehen.

       

      Mit dem Solino Kaffee Projekt (gerösteter Kaffee Import aus Äthiopien), versuchen wir vor Ort alles zu 100% zu verarbeiten.

    • AJ
      Andreas J
      @Volkerseitz:

      Für jemandem der lange Jahre in Afrika war, machen sie es sich aber auch leicht. Als ob WHO und IWF, zusammen mit den Industrieländern die großen Samariter währen, die alles versuchen zu helfen. Nach 17 Jahren als Diplomat in Afrika ist ihre undifferenzierte Aussage ein Armutszeugniss.

  • E
    Emil

    Interessant was die dort unten alles nicht können. Machen wir versuchsweise wieder eine Kolonie auf und dann fluppt et. Wetten?

    • AJ
      Andreas J
      @Emil:

      Klar, die können nix und sind zu doof. Die brauchen nur die Peitsche vom weißen Herrenmenschen und alles Funktioniert. Was war den wirtschaftlich anders in der Kolonialzeit? Spinner!

  • C
    Califax

    Interessantes Interview. Wichtig wäre vielleicht noch die Antwort auf die Frage nach der Befriedung des Koninents. Solange die Konfilikte in (u.a. Zentralafrika, Mali, Sudan) nich dauerhaft gelöst sind, wird die Entwicklung m.M.n. dort nicht vorran kommen bzw. sogar zurückgeworfen.

  • S
    Stev

    Bevölkerungsexplosion in Afrika frißt die vorhandenen kleinen Fortschritte im Wirtschafts-, Bildungs- und Sozialbereich mehr als auf (gutes Beispiel zu finden im relativ hochentwickelten Südafrika). Frau Zuma sieht diesen Bevölkerungswachstum sogar als Vorteil hinsichtlich Verhältnis arbeitender/nichtarbeitender Bevölkerung (jung/alt), was mit traditioneller afrikanischem Lebenskonzept (viele Kinder bedeuten viele eigene Arbeitskräfte und gute Altersabsicherung) korrespondiert. Ein sehr gutes Beispiel für ein Pyramidensystem, das am Ende einen Crash hinterläßt. Unendliches Bevölkerungswachstum funktioniert nur bei unendlichen Wachstumsmöglichkeiten der natürlichen Ressourcen. Daß dies jetzt schon vor Ort nicht mehr funktioniert, sieht man an den sich verstärkenden Wanderungsbewegungen der afrikanischen Mittelschichtssöhne nach Europa.

    Was ebenso helfen würde neben Eindämmung des Bevölkerungswachstums, wäre ein Verzicht auf die Abwerbung gut Ausgebildeter Menschen. Brain drain ist genau so eine Art der Ressourcenausbeutung, schädigt diese Länder sogar nachhaltiger. Dieses Problembewußtsein fehlt aktuell leider auch bei Grüner und linker Politik.

  • NS
    Na sowas

    "In 50 Jahren soll Afrika ein prosperierender Kontinent sein."

     

    Das habe ich so vor 50 Jahren schon gehört. Und seither sind Abermilliarden an Entwicklungshilfe geflossen.

     

    (Erinnert mich an den atomaren Fusionsreaktor:

    1950: In 30 Jahren sind wir soweit.

    1970: Wir brauchen nur noch 30 Jahre Entwicklungszeit.

    1990: In 30 Jahren funktioniert er.

    heute: In 30 Jahren ...)