Niqab in der Schule: Verboten, aber geduldet

Eine 16-Jährige kommt vollverschleiert zum Unterricht. Das verstößt zwar gegen das Gesetz, wird aber geduldet, damit die Schülerin ihren Abschluss machen kann

Reicht dieser Ausschnitt zur Kommunikation? Nein, findet das niedersächsische Kultusministerium. Foto: dpa

HAMBURG taz | Eine 16-Jährige Schülerin im Niedersächsischen Belm darf verschleiert in den Unterricht kommen, obwohl sie damit gegen das niedersächsische Schulgesetz verstößt. Das hat am Freitag der Kultusausschuss des Landtags entschieden. „Es handelt sich um einen besonders gelagerten Einzelfall“, sagte der Sprecher des Kultusministeriums Sebastian Schumacher.

Von Seiten der Schule sei mehrfach versucht worden, die Schülerin zu überreden, den Niqab abzulegen – allerdings ohne Erfolg. So habe die Schule die Entscheidung toleriert, um der Zehntklässlerin den Schulabschluss zu ermöglichen, den sie voraussichtlich diesen Sommer machen wird. Schließlich sei es durch ihre Verschleierung zu keiner Störung des Schulfriedens gekommen.

In der siebten Klasse war das Mädchen, das nach Angaben der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung der sunnitischen Rechtsschule der Hanafiten anhängt, plötzlich mit Kopftuch zum Unterricht erschienen. Noch im gleichen Schuljahr ging sie zur Ganzkörperverschleierung über.

Die aber ist nicht mit dem niedersächsischen Schulgesetz vereinbar und verstößt nach Auffassung der Kultusministeriums auch gegen die niedersächsische Landesverfassung und das Grundgesetz. „Die Schule ist durch die Vollverschleierung nicht mehr in der Lage, den staatlichen Bildungsauftrag zu erfüllen“, sagt Schumacher.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags kam 2012 in einem Gutachten zu dem Schluss, dass ein generelles Verbot, Burka oder Niqab zu tragen, verfassungswidrig sei. Es verstoße gegen das Neutralitätsgebot des Grundgesetzes. Nur im Einzelfall sei ein Verbot zulässig – wenn es mit anderen Verfassungsgütern kollidieren sollte.

Das Bayerische Verwaltungsgericht urteilte im April 2014 im Eilverfahren, dass eine Schülerin nicht mit Niqab zur Schule kommen dürfe.

In Osnabrück verbot eine Abendschule im August dieses Jahres einer 18-Jährigen, mit Niqab zu erscheinen. Die Schülerin klagte und verlor vor dem Verwaltungsgericht.

SchülerInnen seien durch die allgemeine Schulpflicht eben nicht nur zur physischen Anwesenheit gezwungen, sondern auch gehalten, sich aktiv am Unterricht und am Schulleben zu beteiligen. Eine vollverschleierte Schülerin entziehe sich aber der Teilnahme am Unterrichtsgespräch. Die Kommunikation in der Klasse werde gestört, weil diese niemals ausschließlich verbal, sondern auch immer körpersprachlich erfolge. Lehrerinnen und Lehrer könnten ihrem Bildungsauftrag nur nachkommen, wenn sie die Mimik und Gestik der Schüler erkennen – andernfalls könnten sie nicht wissen, ob die SchülerInnen folgen könnten, Fragen hätten oder abweichender Meinung seien.

Außerdem sind die SchülerInnen verpflichtet, alles zu unterlassen, was den Schulbetrieb oder den Unterricht stören könnte. „Der Gesichtsschleier stellt ein objektives Unterrichtshindernis dar, sodass die Schule ihrem Bildungsauftrag nicht entsprechen kann“, meint Schumacher. Seiner Auffassung nach ließe sich daher auch ein Vollverschleierungsverbot an Schulen begründen. Bisher taucht im Schulgesetz keine Passage über irgendeine Kleiderordnung auf: Jede kann tragen, was sie oder er will.

Wie die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtete, hatte auch die Staatssekretärin Erika Huxhold im Kultusausschuss eingeräumt, dass die Vollverschleierung sich nicht mit der Schulpflicht vertrage. Allerdings gebe es auch kaum Sanktionsmöglichkeiten, solange der Schulfrieden durch das Tragen des Niqabs nicht gestört sei.

Sanktionsmöglichkeiten gebe es schon, sagte Schumacher und nannte beispielsweise den Ausschluss vom Unterricht, die Überweisung in eine Parallelklasse bis hin zur Verweisung von der Schule oder sogar von allen Schulen. Aber das Ministeriums kam zu der Auffassung: „All dies sind Maßnahmen, die den Integrationsprozess nicht unterstützen und daher für diesen Fall nicht als zielführend erachtet werden.“

CDU-Fraktionschef Björn Thümler kritisierte die Entscheidung des Ausschusses. „Das Bild, das die Landesregierung mit dieser Entscheidung abgibt, ist das eines schwachen Staates“, sagt Thümler. Er wirft der rot-grünen Landesregierung vor, schulterzuckend hinzunehmen, dass hier seit drei Jahren gegen geltendes Recht verstoßen werde.

Ganz so einfach ist es aber nicht: Wie die Sprecherin der Landesschulbehörden Bianca Schöneich erklärte, kollidieren in diesem Fall zwei Grundrechte: Bildungsauftrag versus Religionsfreiheit. Man sei in engem Kontakt mit der Schülerin und versuche weiterhin, in Gesprächen auf sie einzuwirken.

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