Niedersachsens grüner Agrarminister: Herr Meyer und das liebe Vieh
In Niedersachsen leben so viele Schweine wie sonst nirgendwo. Christian Meyer will dort die Agrarwende. An den Altbauern vorbei geht das nicht.
An den langen, weiß gedeckten Tischen in der Oldenburger Weser-Ems-Halle sitzen Bauern, Landräte und Tierärzte, Funktionäre des Bauernverbandes und Vertreterinnen des Landfrauenverbandes. Die einen spielen mit ihren Handys, die anderen gucken in der Gegend herum.
Man kann das abtun und sagen: Kein Politiker hat es leicht, sein Publikum zu gewinnen. Nur: Meyer ist für die Leute im Saal derzeit der wichtigste Politiker. Er hat ihnen etwas zu sagen. Das ist keine Langeweile, das ist eher stille Blockade. Dahinter steckt ein Kampf, wie es auf dem Land weitergeht und wer darüber bestimmt.
Ein Grüner? Ein Diplomsozialwirt?
Auf Twitter bezeichnet sich Meyer, 39, als „Streiter für die ökologische Agrarwende“. Erst dann folgt „Minister für Verbraucherschutz und Landwirtschaft in Niedersachsen“.
Er will weg von der Massentierhaltung und vom übermäßigen Einsatz von Antibiotika in Ställen, der Verbraucher sorgt, seit Erreger resistent und damit auch gefährlich für den Menschen werden.
Nirgends leben so viele Hühner
Er ist nur einer von mittlerweile – wenn in Bremen bald der Senat offiziell steht – sieben grünen Agrarministern in Deutschland. Aber Meyer ist derjenige, der am meisten bewegen kann.
Nirgends in Deutschland leben so viele Hühner, so viele Schweine, fällt so viel Jauche an wie in Niedersachsen. Ökoställe sind die Ausnahme, Großschlachtereien gibt es zuhauf. Wer dort die Wende schaffen will, stellt die gesamte Ernährungsbranche, die auf Masse und den Weltmarkt setzt, infrage.
Und die Zuhörer in der Weser-Ems-Halle. Das Treffen dort liegt schon eine Zeit zurück. Doch es ist ein wichtiger Ausgangspunkt, um zu verstehen, wo Meyer derzeit siegt oder auch scheitert. Seine Geschichte erzählt viel darüber, wie Politik funktioniert.
In Oldenburg ist Meyers Rede Tagesordnungspunkt 14 der zwölften konstituierenden Sitzung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Eingeschoben zwischen die „Wahl neuer Ausschuss-Mitglieder“ und „Verschiedenes“.
Eine halbe Stunde davor betritt der Minister leise den Saal. Er trägt wie so oft ein leicht ausgebeultes Jackett über Hemd und Pulli. Er nimmt nicht den Gang durch die Mitte, sondern läuft die Seite entlang, blickt immer mal wieder in den Saal, wie man so guckt, wenn man glaubt, es könnten Bekannte da sein. Aber nach ihm dreht sich heute keiner um.
Meyer setzt sich am Rand der Bühne auf einen Stuhl, nimmt sich Kaffee, zieht ein paar lose Zettel aus dem Jackett und macht sich Notizen. Er wirkt gelassen, freundlich. So ist das meist, wenn man ihn trifft. Er selbst nennt seinen Politikstil „zuhörend dialogorientiert“.
In der Weser-Ems-Halle zeigt sich jedoch: Meyer tut sich mit dem Zuhören schwer. Während andere ihre Reden halten, quatscht er immer wieder seinen Nachbarn an. Und der Dialog hat Grenzen nicht nur, weil das Politik ist.
Meyer und sein Publikum finden keinen Umgang miteinander. Zumindest noch nicht.
Worum es geht? Jetzt um eine Beerdigung. Wenige Tage vor der Veranstaltung ist der Präsident der Landwirtschaftskammer, Johann Arendt Meyer zu Wehdel, mit nur 62 Jahren verstorben. Meyer spricht denn auch von „einem großen Verlust“. Das nähmen sie, so sagt ein Bauernfunktionär, aber gar nicht ernst. Meyer sei nicht selbst zur Beerdigung gekommen, er habe noch nicht einmal seinen Staatssekretär geschickt. Meyer hatte der Frau einen persönlichen Brief geschrieben.
Kein Miteinander
Vorwurf. Enttäuschung. Kein Miteinander. Meyer und die etablierte Agrargesellschaft – sie denken verschieden.
Die meisten Bauern sind keine Grünen, Meyer ist das schon lange. Mit 19 Jahren wollte er sich engagieren, es war nicht viel los bei ihm zu Hause im Weserbergland. Als Jugendlicher hatte er zwar Frösche über die Straße getragen und sich für den Regenwald engagiert. Aber er wollte politischer werden.
Die SPD hätte nahegelegen, die Grünen waren damals in dem Landstrich noch rar. Doch weil sich die Sozialdemokraten 1993 auf den Asylkompromiss eingelassen hatten, entschied er sich für die Ökopartei – und stieg schnell auf, „auch mangels Konkurrenz“, sagt er. Mit 21 in den Kreistag, irgendwann Landtag, wie das so geht.
In der Region, genauer im Örtchen Polle, tobte damals ein Streit über einen Riesenstall mit 7.500 Ziegen. Meyer stellte Kleine Anfragen, organisierte Demos, profilierte sich als Agrarpolitiker. Er kritisierte „Größenwachstum“ und „Industrialisierung“, also das, was viele Bauern als „moderne Landwirtschaft“ sehen.
Bei der Landtagswahl im Januar 2013 legten die Grünen in Meyers Wahlkreis Holzminden um 123 Prozent zu, die Partei gewann selbst in den bis dahin tiefschwarzen Landkreisen mit Massentierhaltung wie Cloppenburg oder Vechta hinzu. Damals bescheinigten die Meinungsforscher von Infratest dimap den niedersächsischen Grünen erstmals, in Agrarfragen, wenn auch nur knapp, als kompetenter zu gelten als die alte Bauernpartei CDU. Meyer gluckst noch heute, wenn er davon erzählt. Es hatte viel mit ihm zu tun, dass Schwarz-Gelb in Niedersachsen Rot-Grün weichen musste.
Schon lange bevor er seinen Posten im Kabinett des SPD-Manns Stephan Weil antrat, verpasste die Lokalpresse ihm den Namen Bauernschreck. Dieser „Bauernschreck“ ist kein Landwirt. Er hat sich in seinem Studium in Göttingen mit öffentlichem Recht, Politik, Kommunikation und solchen Sachen beschäftigt.
Sein Vater war Maurer. Er ist nur neben einem Bauernhof aufgewachsen, nicht auf einem, er sagt schon mal, Sauen „legen“ Ferkel, dabei heißt es doch werfen. Er isst selten Fleisch, und wenn, dann aus dem Bioladen. Auf keinen Fall Geflügel von Wiesenhof. Egal, dass das Unternehmen in Niedersachsen seinen Sitz hat.
Freilich war auch Meyers Parteikollegin Bärbel Höhn schon mal zehn Jahre lang bis 2005 Agrarministerin in Nordrhein-Westfalen. Das machte sich in Niedersachsen aber nicht sonderlich bemerkbar. Und Renate Künast ging 2005 nach vier Jahren als Bundesagrarministerin auch wieder. Lange Zeit waren die Bauern vor allem den Typ „unser Minister“ gewöhnt.
Da war Karl-Heinz Funke, zunächst Landwirtschaftsminister in Niedersachsen, dann im Bund, selbst Bauer. Einer der nach der Sitzung zu Grünkohl und Pinkel blieb und für den Berufsstand Werbung machte. Sie liebten ihn, auch für das Machomäßige, und lachten über Sätze wie: „Oldenburger Butter hilft dir rauf auf die Mutter.“
Coole Sau
Nun also Meyer. Der redet, wann immer er kann, vom Tierschutzplan Niedersachsen: Masthühner sollen gesunde Füße haben, Moschus- und Pekingenten baden dürfen, Schweine ihre Ringelschwänze behalten.
Er verteilt Postkarten, wo immer es geht. Motiv: Hahn auf Fußball, Text: „Wir sind Fußballenweltmeister“. Oder Ente mit Badekappe: „Willst du mit mir baden gehen? – Ja. Nein. Kein Wasser da.“ Ein Schwein mit Schwanz und Sonnenbrille: „Coole Sau“. Auf der Rückseite finden sich dazu ein paar Erklärungen.
Zum Beispiel, dass Bauern die Schwänze kürzen, kupieren genannt, weil Schweine sie sich gegenseitig abbeißen, wenn sie nichts zu tun haben. Dass ohne Betäubung kupiert wird, dies „lang anhaltende Schmerzen“ bedeutet. Dass die „Lösung“ ein „Verzicht auf das routinemäßige Schwänze-Kupieren bis spätestens 2016“ ist. Und dass Bauern beraten werden sollen, wie sie Schweine vom Beißen abhalten, mit mehr Platz und Spielzeug etwa.
Der Minister ist nicht der Einzige, dem es ums Vieh geht. Der das Leben der Tiere ändern will.
Grüne Woche in Berlin, es ist noch Anfang des Jahres. Die wichtigsten Köpfe der Agrarwende sind da beim Empfang des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Der Boden ist mit Stroh bedeckt, serviert werden Ökohaxen und beste Bioweine. Die Gäste umringen den Minister, fragen, was er so macht. Hier loben sie ihn, weil er „kämpferisch gebaut“ sei, „fachlich tief drin“ stecke und durch „Detailwissen“ beeindrucke. Es gibt Leute, die finden ihn „zum Knutschen“.
Meyer bleibt bis nach Mitternacht, schultert seinen taz-Rucksack und nimmt nicht den Dienstwagen, einen VW Jetta, oder ein Taxi, sondern die U-Bahn zum Hotel. Läuft man so neben ihm her, merkt man: Der Mann hat Spaß an seinem Job. Erst zückt er stolz seine Postkarten, dann kommt er auf den Goldenen Stachel zu sprechen. Er lacht.
Goldener Wasserhahn
Es ist eine Ehrung der Imker, die er tags darauf bekommt. Weil er im Garten seines Ministeriums in Hannover seit vergangenem Jahr zwei Bienenvölkern ein Zuhause bietet. Und Bauern mehr Geld zugesprochen hat, die an ihren Feldrändern Platz für wild Blühendes lassen.
Später im Jahr werden ihm Aktivisten von Campact noch einen Goldenen Wasserhahn überreichen. Bauern dürfen nicht einfach so viel Gülle aufs Feld kippen, wie der Stall hergibt. Die Vorschriften wünscht sich mancher schärfer, damit der Dung das Grundwasser weniger belastet. Meyer auch. Aber da kann er nur mit seinen grünen Kollegen im Bundesrat Druck machen und die Spielräume nutzen, die ihm Bund und EU lassen. Er versucht es mit einem Gülleregister, das bessere Kontrollen ermöglichen soll.
Fördermittel umtopfen, Güllecheck – das Gros der Landwirte gewinnt er so nicht. Ihm bleibt nur eins: das Gespräch anbieten.
In Oldenburg auf der Bühne sagt Meyer jetzt, er verstehe, dass die Bauern nicht „an den Pranger“ gestellt werden wollten. Er spricht nicht laut noch leise, ohne starke Betonung. Er wechselt nicht vom Sie zum Ihr. Andere Politiker, etwa die des Typs Sigmar Gabriel, geben damit gerne mal Nähe vor. Meyer nicht.
Er sagt: „Ich versuche ja etwas mit Ihnen zusammen zu machen.“ Doch dann liest er ihnen die Leviten: Wenn das nicht klappe, bleibe nur das „Ordnungsrecht“, Bauern dürften nicht zum „Bollwerk des Status quo“ werden.
Ordnungsrecht. Vorschriften. Verbote. Kommen nun endlich Buhrufe? Nichts. Wer schon mal eine Rede gehalten hat, weiß, was für eine Strafe es ist, wenn sich niemand regt. Sie sitzen ihn aus.
Meyer ficht das nicht an.
In der Schule hatte er Geschichte als Leistungskurs. In einer Klausur sollte er erörtern, warum die konservativen Parteien des Reichstags im März 1933 dem Ermächtigungsgesetz zustimmten. Sie lieferten damit Hitler ihre legislativen Befugnisse aus. Dafür gab es keine Gründe. Das schrieb Meyer, mehr nicht. Dem Lehrer sei das, nun ja, „nicht ausgewogen genug“ gewesen. So sagt das Meyer, lacht wieder auf und vermittelt: Christian Meyer – ein Standpunkt. Er tut, was er für richtig hält.
Er ist Minister, aber auch Mitglied beim BUND, bei Greenpeace, WWF und Attac. taz-Genosse ist er zudem. Bei „Wir haben es satt“-Demos läuft er vorne gegen die Agrarindustrie mit.
Viele Bauern halten die Proteste, die Bürgerinitiativen gegen Mastställe oder die Aufregung über Kükenschreddern für übertrieben. Für sie macht Meyer gemeinsame Sache – aber mit den Falschen. Mit den Städtern. Mit den Verbrauchern. Mit denen, die sich doch so lange nicht um das Landleben kümmerten.
Erst vor wenigen Tagen, auf dem alljährlichen Bauerntag in Erfurt, sprachen Funktionäre von einer „Schlacht“ gegen den Berufsstand. Als Meyer vor Kurzem in Cloppenburg mit der Geflügelindustrie zusammentraf, beklagte der niedersächsische Verbandschef das „tagtägliche Mobbing“ aus dem Ministerium. Er bekam viel Beifall. Meyer wenig.
Dabei hat mittlerweile auch ein Beratergremium von CSU-Bundesagrarminister Christian Schmidt erklärt, mit der Tierhaltung gehe es so nicht weiter. In der Gesellschaft tut sich etwas.
Auch Meyer meint, die Basis der Bauernschaft denke längst um. Komme er mit ihnen ins Gespräch, ernte er Zustimmung. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht. Nur, Einladungen sind selten. Am Anfang ja, da luden die Bauernverbände ihn noch zu ihren Versammlungen ein. Dann wurde es weniger. Er komme einfach zu gut an, meint Meyer. Ohne Ironie.
Sein Beispiel: Gnarrenburg, Landkreis Rotenburg. Auf dem Hof von Werner Böttjer ist ein Bratwurststand aufgebaut. Rund tausend Bauern sind gekommen. Männer in Trauerkleidung tragen einen Sarg. Auf Plakaten steht: „Erst kommt Meyer, danach die Geier“. Und: „Rücken krumm, Taschen leer. Christian Meyer, danke sehr!“
Sie gemeinsam, Meyer allein.
Diesmal geht es nicht ums Tier, sondern um Moore. Die will Meyer schützen, weil sie Treibhausgase binden und für den Klimaschutz wichtig sind. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurden sie mehr und mehr für die Landwirtschaft trockengelegt. Die Junge Union Niedersachsen hat ihn bereits zum Minister für „grüne Ideologie und ohne Respekt“ ernannt. Und erklärt, „100.000 Hektar sollen durch den Minister geflutet“ werden. Eine Größe, die einem Siebtel des Grünlandes in Niedersachsen entspricht.
Unter Pfiffen steigt Meyer auf ein kleines Podest aus Paletten. Am Ende applaudieren sie ihm. Nicht aus Höflichkeit. Das haben sie hier nicht nötig. In eine Fernsehkamera sagt ein Bauer, auf Meyer angesprochen: „Er hat auf jeden Fall den Arsch in der Hose.“
Ringelschwanzprämie
Der Minister hat ihnen erklärt, dass das mit der Flutung von 100.000 Hektar übertrieben sei, dass er nicht vorhabe, „Landwirtschaft absaufen zu lassen“, und auf 21.500 Hektar kein Torfabbau, aber ackern weiterhin möglich sein solle. Vor allem gehe es um eine „freiwillige Sache“, also um Fördermaßnahmen zur Entwicklung von Mooren.
Freiwillig vor allem.
Kann es Meyer eben doch, auf die Agrarleute zugehen?
Juni dieses Jahres. Meyer sagt den Jägern zu, er werde in dieser Legislaturperiode auf eine „grundlegende Novellierung“ des Jagdgesetzes verzichten. Und: Meyer gibt beim Schwanz nach.
Er spricht nicht mehr von einem Kupierverbot ab Ende 2016. Die Schweinebauern geben im Gegenzug ihren Widerstand gegen eine Ringelschwanzprämie auf. So kann, wer seinem Tier den Schwanz lässt, den Stall entsprechend eingerichtet hat und einen Antrag stellt, dafür seit dieser Woche 16,50 Euro bekommen.
Zeigen Bauern, dass der Schwanz auch bleiben kann, meint Meyer, geben nach und nach auch andere ihren Protest auf. Sicher kann er sich nicht sein. Er wird das prüfen, sagt er.
Das hat er so mit der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands und dem Agrar- und Ernährungsforum Oldenburger Münsterland besprochen: Sie unterzeichneten in Hannover, in Meyers Ministerium, „gemeinsame Eckpunkte zur Tierwohlförderung“.
Da ist es wieder, das Wort „gemeinsam“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen