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Niedersachsen schummelt beim Naturausgleich

Wer beim Bauen in die Natur eingreift, soll auf einer anderen Fläche Ausgleich schaffen – so steht es im Gesetz. Einige Behörden in Niedersachsen nehmen es damit nicht so genau

Erfolgreich renaturiert und mittlerweile Naturschutzgebiet: Leineaue bei Hannover Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Von Nadine Conti

Die Samtgemeinde Hattorf am Harz ist nur so ein Beispiel. Gelegen am südwestlichen Rand des Harzes, im Landkreis Göttingen, drei Dörfer, nicht einmal 4.000 Einwohner, ringsum Felder.

In solchen Gemeinden ist man oft froh, wenn es überhaupt noch Wachstum gibt. So soll es auch in den 1990ern gewesen sein, als die damalige Ratsversammlung, traditionell SPD-dominiert, mal wieder über Änderungen der Bebauungspläne in verschiedenen Teilen der Gemeinde zu befinden hatte.

Nun gab es auch damals schon im Bundesnaturschutzgesetz und im Baugesetz Bestimmungen, die vorschreiben, dass man Eingriffe in die Natur und Landschaft kompensieren muss. Der Grundgedanke: Wer Flächen versiegelt, Naturräume und Landschaften verändert, muss irgendwie für Ersatz sorgen.

Das bedeutet nicht unbedingt, dass hier gleich riesige Naturschutzflächen angelegt werden müssen. Die Ausgleichsmaßnahmen orientieren sich an der Tiefe des Eingriffs.

Oft wird zum Beispiel die Aufwertung von Flächen durch Anpflanzungen vorgeschrieben, eine Baumreihe hier, eine Streuobstwiese dort, die Renaturierung eines Stücks Bachlauf, von Feldgehölzen und Hecken am Rande von Ackerflächen oder landwirtschaftlich genutzten Wegen.

Diese kleinen Rückzugsorte für Pflanzen, Insekten, Vögel und kleinere Säugetiere dienen häufig als wertvolle „Trittsteinbiotope“, erleichtern die Wanderschaft zwischen größeren Biotopen und Naturräumen, verhindern so, dass Populationen isoliert und abgeschnitten werden.

Festgelegt werden diese Maßnahmen schon mit dem Bebauungsplan, die Gemeinde ist dann dafür verantwortlich, sie zu realisieren. In manchen Fällen kann sie die Kosten dafür auf die Bauherren umlegen.

Flächen verplant, die gar nicht zur Verfügung stehen

An diesen Regelungen gab es allerdings von Anfang an Kritik, vor allem von Naturschützern. Da ist zum einen die Frage, wie man welchen Eingriff kompensiert – ein Feld, mit dem sich meist spezialisierte Planungsbüros beschäftigen.

Dann mangelt es an Koordination: Manche Flächen werden doppelt und dreifach verplant, manche sind am Ende gar nicht verfügbar, sie müssen von den Gemeinden ja erst einmal angekauft werden.

Außerdem fehlt es an Abstimmungen zwischen verschiedenen Gemeinden und es gibt so gut wie keine Kontrolle darüber, ob die Maßnahme überhaupt umgesetzt wurde und ob sie erfolgreich war.

In der Samtgemeinde Hattorf hat sich irgendwann einmal die Klimaschutzmanagerin dieses Themas angenommen. Sie prüfte die verfügbaren Daten im Geodaten-Portal und kam zu dem Ergebnis: Von den Maßnahmen, die von der Gemeinde in den Grünordnungsplänen festgelegt wurden, ist nur ein Bruchteil umgesetzt worden.

Die Ausgleichsmaßnahmen beziehen sich auf drei Bebauungspläne aus den Jahren 1994, 1995 und 1999. 14,22 Hektar Land sollten in diesem Zuge ökologisch aufgewertet werden. Umgesetzt wurden einzelne Maßnahmen auf insgesamt 1,27 Hektar Land – darunter die Anpflanzung einer Baumreihe und von Feldgehölzen, wobei letztere sofort wieder vertrocknet sind.

Besagte Klimaschutzmanagerin hätte da gern nachgebessert. Aber das wollte ihr Dienstherr wohl nicht. Mittlerweile hat sie gekündigt und verfolgt die Sache als Privatperson hartnäckig weiter, setzt Naturschutzverbände auf das Thema an, geht dem Landkreis mit Auskunftsersuchen nach dem Umweltinformationsgesetz auf die Nerven.

Landesweites Kataster lässt weiter auf sich warten

Auch in die sogenannte Rote Mappe des Niedersächsischen Heimatbundes hat sie das Thema schon gehievt. Darin sammelt der Heimatbund jedes Jahr Problemfälle und Fragen, die von der Landesregierung dann in der Weißen Mappe beantwortet werden.

In der Antwort heißt es allerdings nur, man werde den Landkreis bitten, den Sachverhalt zu prüfen und gegebenenfalls kommunalaufsichtlich tätig zu werden.

Die frühere Klimaschutzmanagerin verdächtigt auch die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr, Kompensationsmaßnahmen nicht vollständig umgesetzt zu haben. Ihre Anfragen dazu blieben bisher unbeantwortet.

„Das ist ein Riesenproblem“, sagt Holger Buschmann, der Landesvorsitzende des Naturschutzbundes Nabu auf Anfrage der taz. Er kenne zwar diesen speziellen Fall in Hattorf nicht, aber die mangelhafte Umsetzung von Ausgleichsmaßnahmen sei schon sehr lange ein Thema.

Das habe auch bei den Verhandlungen um den Niedersächsischen Weg eine große Rolle gespielt. Der Niedersächsische Weg ist eine Vereinbarung zwischen Landesregierung, Vertretern der Landwirtschaft und Umweltschützern für mehr Natur- und Artenschutz aus dem Jahr 2020.

Der Nabu und andere haben damals darauf gedrängt, dass ein landesweites Kataster geschaffen wird, in dem alle Ausgleichsmaßnahmen erfasst werden. Andere Bundesländer wie Baden-Würtemberg und Rheinland-Pfalz haben das schon.

Nur so, sagt Buschmann, hätte man überhaupt erst einmal eine Chance darauf, sich einen Überblick zu verschaffen und die Umsetzung zumindest ansatzweise kontrollieren zu können. An der Umsetzung wird im Umweltministerium aber immer noch gearbeitet.

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