: „Nicht mit dem Auto ins hinterste Tal“
Natur- und Klimaschutz Wanderer, Skifahrer und Kletterer müssen umdenken, fordert Rudi Erlacher. Der Vizepräsident des Deutschen Alpenvereins über fragwürdige Kooperationen mit Mercedes und Red Bull – und Hallenkletterer, die nicht in die Berge wollen
Interview margarete moulin
taz: Herr Erlacher, mit was für einem Auto fahren Sie in die Berge?
Rudi Erlacher: Mit einem Skoda „Octavia Scout“. In einem Fahrbericht hieß es, der habe einen „toughen Bergsteiger-Look“. Da hab ich mir gedacht: So einen brauchst du.
75 Prozent der touristischen CO2-Emissionen in den Alpen gehen auf das Konto des Verkehrs. Zugleich fahren über 80 Prozent der Bergsportler mit dem Auto zum Naturliebhaben. Da sind Sie offensichtlich dabei. Ist Bergsport Motorsport?
Wanderer, Skifahrer und Kletterer müssen umdenken. Für viele Bergfreunde hat Naturschutz lange Zeit geistig erst vor Ort begonnen. Das „Wie“ der Anreise stand nicht zur Debatte. Das Recht, mit dem Auto bis in die hintersten Täler zu fahren, sehen die meisten immer noch als selbstverständlich an. Aber die Alpenvereine reagieren. Wir haben eine neue Touren-Datenbank, die ständig ergänzt wird. Sie enthält rund 2.000 Touren, die alle mit Bahn und Bus erreichbar sind.
Wenn man die Ausgaben der vergangenen zehn Jahre der Vereinszeitschrift Panorama durchblättert, kam dort klimafreundliche Mobilität übersichtlich vor. Im Vordergrund stand das persönliche Erleben in Reise- und Wandergeschichten, gerne auch in die Berge des Himalaja oder Südamerika.
So ganz stimmt das nicht. Seit drei Jahren haben wir einen Mitarbeiter, der sich ausschließlich um klimafreundlichen Bergsport kümmert. Aber hat der Bergsportler mehr „Klimaverantwortung“ als andere Touristen, weil Naturnähe Teil seiner Passion ist? Hat der Städteurlauber dann keine? Natürlich sollten Bergsteiger besonders sensibel sein, denn sie sehen im Hochgebirge mit eigenen Augen den Rückgang der Gletscher. Ein Hauptproblem aber ist doch, dass gar nicht genügend Züge und Busse fahren, um all die Leute in die Berge und wieder hinauszubringen.
Also ist die Verkehrspolitik schuld?
Dieses Hin- und Herschieben von Verantwortung vom Einzelnen zur Politik und retour ist mir zu billig. Solange die Autoindustrie von unserer Kanzlerin protegiert wird, wenn sie in Brüssel höhere Abgaswerte durchsetzt, fehlt moralischen Appellen die Glaubwürdigkeit.
Der DAV hatte selbst jahrelang einen Kooperationsvertrag mit Toyota, den er jetzt nicht verlängert hat. Warum hat sich ein offizieller Naturschutzverband überhaupt mit der Autoindustrie ins Bett gelegt?
Das war vor meiner Zeit im DAV. Der Grund war wohl, dass Toyota damals als erster Autobauer mit seinen Hybridmodellen, der Kombination von Elektro- und Verbrennungsmotor, eingestanden hat, dass der Individualverkehr ein CO2-Problem hat und man dagegen ein Signal setzen kann – wenngleich, bei genauem Hinsehen, ein schwaches.
Das Anbandeln mit Autoherstellern scheint bei Alpenvereinen zu grassieren. Mercedes darf sich offizieller Partner des Österreichischen Alpenvereins nennen beim Schutz des Bergwaldes, weil er geländegängige Transportfahrzeuge zur Verfügung stellt. Das ist doch Prostitution.
Sagen wir so: Es ist in Zeiten des Klimawandels abgeschmackt, wenn der Mercedes-Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche das Jahr 2015 zum Jahr des SUV erklärt! Der ganzen Automobilindustrie ist es bisher gelungen, sich um die Energiewende zu drücken. Auch mit den subventionierten E-Autos und Hybridmodellen wird sich das nicht ändern. Die dienen nur dazu, den Gesamtverbrauch der Flotte besser wirken zu lassen, damit weiterhin dicke SUVs verkauft werden können. Auf diese Spur dürfen wir Alpenvereine uns nicht locken lassen.
In den Alpen ist die Temperatur stärker als im globalen Durchschnitt gestiegen. Die 2-Grad-Grenze ist quasi geknackt. Zugleich sind die Berge mit ihren Bächen und großen Höhenunterschieden prädestiniert für Pumpspeicherkraftwerke. Die Alpen werden also in die Zange genommen: vom Klimawandel und den neuen Techniken dagegen, die viel Natur verbrauchen.
Seit 2014 zeigt der Deutsche Alpenverein die Wanderausstellung „Alpen unter Druck“. Sie führt die dramatischen Zerstörungen vor Augen, an denen nicht nur der Intensivtourismus, sondern auch Anlagen für erneuerbare Energien schuld sind.
Zugleich muss der DAV seine Mitglieder zu mehr Klimabewusstsein bewegen: Ein durchschnittlicher Bergsportler legt für seine Passion rund 5.500 Kilometer im Jahr zurück, vorwiegend mit dem Auto. Das macht mehr als eine halbe Tonne CO2.
Die Alpenvereine bieten eine Touren-Datenbank: www.alpenvereinaktiv.com.
Und dass Unternehmen wie Red Bull, die für das Sponsoring halsbrecherischer Fun-Events in den Alpen stehen, mit dem Österreichischem und Südtiroler Alpenverein das Magazin Bergwelten herausbringen, wird auch nicht diskutiert?
Das Red-Bull-Magazin Bergwelten kodiert mit seiner Bildsprache unsere Vorstellung von alpiner Landschaft um. Da posieren auf dem Titelbild der Nummer 2 zwei Mountainbike-Models vor dem größten Speicherbecken im Alpenraum im Skigebiet Altenmarkt-Zauchensee. Er dient im Winter dem Beschneien mit 75 Schneekanonen. Da soll der Leser lernen, eine künstliche, verformte Landschaft für Natur zu halten. Das ist fake und nicht im Sinne der Alpenvereine! Da besteht zweifellos Gesprächsbedarf – denn da geht es ans Eingemachte.
Red Bull soll auch an den DAV angebaggert haben?
Das Angebot hat der DAV nicht angenommen.
Im DAV schlagen seit je zwei Herzen in einer Brust. Da ist die sportlich ambitionierte Fraktion, die Natur nutzen will, und dann ist da jene, die sie schützen will. Kommen die zwei Lager jetzt mal zusammen?
Auf so eine grobe Zweiteilung lasse ich mich nicht ein. Bergsteiger wissen, dass sie mit dem Ort ihrer Leidenschaft vorsichtig umgehen müssen. Bei welchem Sport exponieren sich Menschen sonst so in der Natur? Der DAV hat schon Ende der 60er Jahre den Alpenplan unterstützt. So konnte 1972 die Bayerische Staatsregierung über 40 Prozent der bayerischen Alpen als Ruhezone ausweisen. Und wenn jetzt die bayerische Politik entscheidet, dass am Riedberger Horn im Allgäu – obwohl Schutzzone höchster Kategorie – eine neue Bahn gebaut werden soll, dann werden wir das nicht zulassen.
Der DAV hat mehr als eine Million Mitglieder. Trotzdem wächst er ständig weiter, auch durch die Kletterhallen, die überall aus den Böden schießen. Sollen diese neu Angefixten auch noch in die Berge gepresst werden?
Wir wachsen jedes Jahr um etwa 40.000 Mitglieder, davon sind ein guter Teil Hallenkletterer. Von denen streben nur wenige in die Berge. In vielen Traditionstouren ist es ruhig geworden. Wo früher zehn Seilschaften gleichzeitig unterwegs waren, gehen heute zwei. Das hat damit zu tun, dass vielen Hallenkletterern allein die Zustiege zu alpinen Kletterrouten unheimlich sind.
Wozu braucht ein Alpenverein Mitglieder, die nur Indoorsport machen?
66 Jahre alt, studierter Physiker, in den bayerischen Bergen aufgewachsen, Naturschützer seit 1991. Dem Vorstand des Vereins zum Schutz der Bergwelt gehört er seit 2003 an. Seit 2015 ist er Vizepräsident im Deutschen Alpenverein.
Früher diente Hallenklettern nur zum Trainieren für alpine Touren. Nun ist es Selbstzweck. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass die neuen Mitgliedsbeiträge willkommen sind. Wir haben über 300 Hütten, davon müssen viele modernisiert werden. Die Standards in puncto Energieversorgung, Hygiene oder Abwasserbeseitigung sind enorm gestiegen. Eine Kläranlage für eine Hütte ist nicht billig!
Wie viel kostet das denn?
Je nach Ausführung 300.000 bis 500.000 Euro.
Auf manchen Hütten ziehen die Leute abends aus ihrem Rucksack eine halbe Drogerie plus Fön, dann noch das Tablet und fragen nach WLAN. Ist denen die Idee der Genügsamkeit in der Natur fremd geworden?
Bergsportler sind eben auch ein Spiegel der Gesellschaft. Ich selbst brauche kein WLAN am Berg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen