Neukölln will Häuser vor Verkauf retten: Vorkaufsrecht reloaded
Der Bezirk hat eine Möglichkeit gefunden, das Vorkaufsrecht wiederzubeleben. Zwei sanieurungsbedürftige Gebäude sollen geschützt werden.
Sowohl für ein Gebäude in der Weichselstraße 52 in Neukölln mit 21 Mietparteien als auch für ein Haus mit acht Wohnungen in der Hermannstraße 123 hat der Bezirk sein Vorkaufsinteresse bekundet, wie Stadtrat Jochen Biedermann (Grüne) der taz sagte. Dass der Bezirk nun wieder handlungsfähig ist, sei das Ergebnis „langer, harter Arbeit“, so der Stadtrat.
Das Gericht hatte Ende 2021 entschieden, dass die Annahme, dass durch einen Verkauf Mieter:innen verdrängt werden könnten, keine ausreichende Grundlage für die Ausübung des Vorkaufsrechts sei. Eine Lücke aber blieb: Kommunen können es zur Anwendung bringen und für gemeinwohlorientierte Drittkäufer einsetzen, wenn die Häuser in einem schlechten baulichen Zustand sind. Eine Verdrängungsgefahr ergibt sich in diesen Fällen ganz besonders, denn teure Sanierungen werden gern dafür genutzt, Alt-Mieter:innen los zu werden.
Bei den beiden Häusern seien „erhebliche bauliche Mängel“ dokumentiert worden, so Biedermann. Eine Mieterin der Weichselstraße berichtet der taz von undichten Rohren, auch gebe es in einigen Wohnungen noch Kohleöfen. Sie sagt: „Unsere Mieten sind so gestaltet, dass man ohne Modernisierung keinen Profit machen kann.“ Die Hausgemeinschaft fürchte um ihre „langfristige Wohnperspektive“.
Die Frist läuft
Den beabsichtigten Käufern bleiben nun drei Monate Zeit zu entscheiden, ob sie einen Vorkauf durch Unterzeichnung einer Abwendungsvereinbarung verhindern. Dann müssten sie sich zur „Beseitigung der baulichen Missstände und zu Kappungsgrenzen für Modernisierungsumlagen“ verpflichten, so Biedermann.
Die sichere Variante für die Mieter:innen wäre jedoch die Ziehung des Vorkaufsrechts. Dafür müsste sich innerhalb jener Frist ein Drittkäufer finden, also eine städtische Wohnungsbaugesellschaft oder Genossenschaft. Zwar seien die Kaufpreise verhältnismäßig moderat, doch die notwendigen Investitionen stellen für gemeinwohlorientierte Käufer ein erhebliches Risiko der Wirtschaftlichkeit dar.
„Ohne Unterstützung des Landes wird es nicht gehen“, sagt Biedermann und hat auch eine Idee, woher die Gelder kommen könnten: „Der Klimafonds des Senats würde sich dafür gut eignen.“ Seine Argumentation: Die Häuser sind in einem schlechtem energetischen Zustand und könnten als zukünftige öffentliche Gebäude „ertüchtigt werden, ohne die Mieter:innen einseitig zu belasten“.
Schlechtes Beispiel: Rigaer Straße
Wie das Geschäftsmodell, sanierungsbedürftige Häuser zu kaufen und damit maximale Rendite zu erwirtschaften, aussehen kann, zeigt derzeit ein Fall dreier Häuser an der Ecke Rigaer Straße/Liebigstraße – die exakt jener Eigentümergruppe gehören, die auch das Haus in der Weichselstraße erwerben will. Dazu gehören zwei Geschäftsführer der Hamburger Immobilienfirma Hansereal, deren einstiger Gründer eine Stiftung gegründet hat, die im Verdacht steht, eine Tarnorganisation der AfD zu sein. Kurz nach dem Erwerb vor zehn Jahren hatten die Eigentümer die Häuser in Eigentumswohnungen aufgeteilt.
Am Dienstag waren die ersten Kaufinteressenten im Haus. Laut Inserat werden diesen Balkone versprochen, dabei sind Bauanträge dafür vom Bezirksamt zweimal abgelehnt worden. Mit dem drohenden Verkauf einzelner Wohnungen sehen die Mieter.innen die Chancen schwinden, doch noch einen gemeinwohlorientierten Käufer für die Häuser zu finden. Bei einem Kaufpreis von 11 Millionen Euro und hohem Sanierungsbedarf ohnehin ein schwieriges Unterfangen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz