Neues Viertel für Potsdam: Hindernisse am Stadtrand
Potsdam will ein neues klimafreundliches Viertel auf einer alten Kaserne in Krampnitz errichten. Doch es zeigen sich immer mehr Probleme.
Potsdam wächst seit vielen Jahren und zieht dank einer prosperierenden Wirtschaft und der Lage im Berliner Speckgürtel weiterhin Menschen an. Und die müssen irgendwo wohnen. Erst vor Kurzem hat die Stadt in der Einwohnerstatistik Saarbrücken überholt und ist damit nun nicht mehr Deutschlands zweitkleinste Landeshauptstadt. Parallel versucht Potsdam auch beim Klimaschutz voranzukommen. Die Stadt hatte in ihrem Masterplan eigentlich angepriesen, dass Krampnitz sozial und klimafreundlich sein soll. Doch in der Realität lauern fiese Probleme.
Neuestes Beispiel sind die Mieten beim Großinvestor Deutsche Wohnen (DW). 2017 war der börsennotierte Konzern in das Projekt eingestiegen und hatte eine jahrelange juristische Auseinandersetzung zwischen Land und Stadt auf der einen Seite und einem früheren Käufer auf der anderen beendet. Dafür bekam die DW einen Großteil der denkmalgeschützten Kasernengebäude.
Vor Kurzem hat der Konzern jedoch bekannt gegeben, dass er seine Wohnungen dort nicht wie beim Grundstückserwerb angekündigt für 8,50 Euro pro Quadratmeter vermieten wird, sondern für mehr. Für wie viel mehr, wisse man allerdings noch nicht. Nach eigenen Angaben plant die Deutsche Wohnen in Krampnitz nach wie vor rund 1.800 Wohnungen, von denen abhängig von den Wohnungsgrößen bis zu 500 in den denkmalgeschützten Bestandsgebäuden entstehen sollen, rund 1.300 weitere Wohneinheiten in Neubauten.
Ab Mitte der 1930er Jahre entstand in Krampnitz eine Kaserne für die Wehrmacht. Für die Kavallerie- und Panzertruppenschule wurden Gebäude für 3.700 Soldaten und 1.800 Pferde errichtet. Später wurden dort Offiziere für die Panzertruppen ausgebildet.
Nach der Kapitulation Nazideutschlands baute die Rote Armee das Areal aus. Es entstanden Plattenbauten mit weiteren Quartieren und einer Einkaufsmöglichkeit. 1991 zog die Sowjetarmee ab. Seitdem ist das Areal verwaist.
Später wurde das Areal als Filmkulisse genutzt: Roman Polanski drehte hier für das Oscar-prämierte Holocaust-Drama „Der Pianist“, Bryan Singer für „Operation Walküre – Das Stauffenberg-Attentat“ mit Tom Cruise, Quentin Tarantino war mit „Inglourious Basterds“ in Krampnitz. Wegen einsturzgefährdeter Gebäude und Altlasten im Boden ist der Zutritt zum Gelände verboten. (mar)
Dämpfer für den Klimaschutz
Man strebe aber weiterhin bezahlbares Wohnen für breite Bevölkerungsschichten an, hieß es. Es folgten eilige Gespräche mit Stadtverwaltung und Denkmalschutz. Ergebnis: In den Innenhöfen dürfen rund 200 Neubauwohnungen hochgezogen werden, teilweise mit geförderten Sozialwohnungen.
Bis es in Krampnitz in großer Zahl die dringend benötigten günstigen Wohnungen gibt, wird es noch Jahre dauern. Denn die von der Stadt versprochenen Sozialwohnungen werden wohl erst am Ende der Entwicklung des Viertels entstehen. Erst ab 2032 soll es so weit sein. Dann erwartet die Stadt in großer Zahl Neubauten, die in erster Linie die kommunale Wohnungsgesellschaft Pro Potsdam mithilfe von Fördermitteln errichten soll.
Und auch die Pläne für die klimafreundliche Energieversorgung des neuen Stadtteils bekamen jüngst einen Dämpfer. Der Umbau eines alten Heizhauses zu einer modernen Energiezentrale liegt vorerst auf Eis. Die Stadtwerke konnten Landesfördermittel für nötige Umbauten in Höhe von mindestens 1,5 Millionen Euro nicht abrufen.
Das zuständige Landesumweltamt hat nämlich noch nicht über einen Widerspruch des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) entschieden. Der hatte kritisiert, dass für das Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung fehle. Man fürchtet, dass die Stadtwerke für die Wärmeversorgung Erdgas statt Biogas verfeuern wollen, weil das Heizhaus an das Gasnetz angeschlossen werden soll.
Ziemlich grünes Verkehrskonzept
Ohnehin verzögert sich das ganze Projekt um mehrere Jahre, weil es nach wie vor Probleme mit der Verkehrsanbindung gibt. Zwar hat das Land in diesem Jahr grundsätzlich einem Ausbau für bis zu 5.000 Einwohner zugestimmt, solange keine Straßenbahn fährt. Aber es gibt weiter Zweifel, ob die einzige Straße, die aus der Potsdamer Innenstadt nach Krampnitz führt, den entstehenden Verkehr aufnehmen kann. Sie führt durch bebautes Gebiet und hintereinander über zwei Brücken.
Das Verkehrskonzept für den neuen Potsdamer Stadtteil kommt dabei insgesamt ziemlich grün daher. Rechnerisch soll es nur für jede zweite Wohnung einen Parkplatz geben. Diese sollen in sogenannten Quartiersgaragen konzentriert werden. So sollen die künftigen Krampnitzer von Beginn an vom Privatauto entwöhnt werden. In die Innenstadt sollen Tram, Bus oder Fahrrad genutzt werden. Doch für die Tramtrasse hat noch nicht einmal das Planfeststellungsverfahren begonnen. Zudem wollen Anwohner gegen die geplante Tramtrasse durch ihren Vorgarten klagen. Nach jetzigen Zeitplänen soll die Tram nach Krampnitz erst 2029 fertig sein.
Im Rathaus geht man außerdem davon aus, dass der Platz neben Straße und Tramgleisen auf den Brücken nicht für einen Radschnellweg reicht. Deshalb soll er nun eine eigene Trasse über Felder und Weiden bekommen. Bis 2025 will die Stadt den mindestens vier bis sechs Meter breiten Weg fertig planen und bis 2029 inklusive einer Brücke über den Sacrow-Paretzer Kanal bauen. Dagegen hat sich eine Bürgerinitiative formiert. Und ein lokaler Bauer will notfalls juristisch verhindern, dass der Radschnellweg über seine Grundstücke gebaut wird, denn der schneide seinen Mutterkühen den Weg zur Weide ab.
Angesichts derart vieler Stolpersteine ist man an der Stadtspitze vorsichtig geworden. Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) hat dem ganzen Projekt einen Stresstest verordnet. Nun sucht man per Ausschreibung professionelle Hilfe. Aufbauend auf einer Statusanalyse sollen demnach „Handlungsempfehlungen für den Umgang mit veränderten, potenziell zielgefährdenden Rahmenbedingungen“ erstellt werden.
Bauarbeiten im Gange
Trotz aller Probleme hält man im Rathaus an dem Projekt fest, weil der Stadt ohne Krampnitz nämlich bald die Flächen für den Wohnungsbau ausgehen. Das geht aus einer Aufstellung der Stadtverwaltung über die sogenannten Wohnungsbaupotenziale hervor. Gemeint sind damit Flächen, auf denen schon jetzt Wohnungen gebaut werden könnten, und solche, die im Flächennutzungsplan dafür vorgesehen sind.
Fazit: Die Flächen reichen nicht aus, um die prognostizierte Einwohnerentwicklung abzudecken. Die Analyse zeigt die große Bedeutung von Krampnitz. Dort befinden sind 33 Prozent der gesamten Potenzialfläche und sogar 53 Prozent der Bauflächen in kommunalem Besitz. Das entspricht etwa 3.460 Wohnungen.
Würde Krampnitz sich weiter verzögern oder am Ende deutlich kleiner ausfallen als gedacht, würde das den ohnehin angespannten Wohnungsmarkt in Potsdam also weiter belasten. Denn die Stadt rechnet weiter mit Zuzug. Die jüngste Prognose aus dem Rathaus geht davon aus, dass bis zum Jahr 2024 die Einwohnerzahl von 190.000 erreicht wird. Bis zum Jahr 2030 wird gar ein Wachstum auf 203.000 erwartet – also rund 20.000 mehr als jetzt. Für das Jahr 2040 rechnet die Stadt sogar mit fast 218.000 Einwohnern.
Es gibt allerdings auch Positives: Vor wenigen Tagen haben auf dem Areal die ersten Straßen- und Leitungsbauarbeiten begonnen. Der von der Stadt beauftragte Entwicklungsträger und die Stadtwerke investieren 57 Millionen Euro. Bis 2023 sollen die ersten sechs Kilometer Straße in dem Viertel fertig sein. Schon seit Anfang vergangenen Oktobers laufen auch die Bauarbeiten am ersten öffentlichen Gebäude. Teilweise in alten Kasernen entstehen eine Grundschule plus Kita, Hort und Sporthalle für bis zu 760 Kinder und für 34 Millionen Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen