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Geflüchtete im TropenhausZuflucht unter Palmen

Ukrai­ne­r*in­nen finden in der Biosphäre Potsdam vorübergehend Unterkunft. Es ist nicht das erste Mal, dass Geflüchtete dort ein Quartier haben.

Vorübergehende Unterkunft in tropischer Umgebung Foto: Sebastian König

Potsdam taz | Es ist Herbst 2016, als in Brandenburg das erste Freitagsgebet unter Palmen stattfindet.

Die Potsdamer Al-Farouk-Gemeinde hat Platzprobleme, seit dem Zustrom muslimischer Flüchtlinge kann sie nicht mehr alle Gläubigen unterbringen. Mehr als 200 Betende wichen zwischenzeitlich auf den Gehweg vor der Moschee aus, was für Spannungen mit den An­woh­ne­r*in­nen sorgte, bei denen auch die AfD mitmischte. Um die Wogen wieder zu glätten, musste ein Provisorium her. So wurde die Orangerie der Biosphäre Potsdam zum Gebetsraum, an manchen Freitagen kamen hier über 500 Menschen zusammen. Jetzt, sechs Jahre später, bietet die Tropenhalle erneut Obdach.

Einstiger Prestigebau

Die Biosphäre ist ein zeitgenössischer Glasbau mit Betondach und steht zwischen zwei Hügeln auf einem ehemaligen Militärgelände am Rande des Volksparks im Potsdamer Norden. Das Tropenhaus war einst der Prestigebau der Bundesgartenschau 2001, geriet dann aber als Millionengrab in Verruf: Der Betrieb läuft seit Jahren defizitär, mindestens 1,7 Millionen Euro müssen jährlich aus dem Stadthaushalt zugeschossen werden. Derweil häufen sich die Vorschläge, was mit dem Gebäude passieren soll: Mal soll das Tropenhaus zu einer Mehrzweckhalle umfunktioniert werden, mal eine Privatschule einziehen, die Potsdamer Grünen forderten den Abriss.

Nicht nur ein Ausflugsziel

Nichts davon ist bislang passiert. Die Biosphäre steht noch immer und erweist sich erneut als nützlich: Jetzt, da Tausende Menschen aus den ukrainischen Kriegsgebieten nach Deutschland fliehen und die Stadt Potsdam dringend Platz braucht, wird die Tropenhalle zur Notunterkunft.

Wer nicht weiß, dass in der Biosphäre Geflüchtete unterkommen, der würde es nicht bemerken. Der Betrieb läuft weiterhin regulär, vor dem Haupteingang wartet eine Schulklasse. Die Kinder wollen sich den Wasserfall anschauen und die Weißbüscheläffchen, außerdem gibt es dort seit Kurzem die EU-weit größte Orchideensammlung zu sehen. Wenige Meter durch den winterlich tristen Volkspark weiter, an der Rückseite der Biosphäre, stehen weiße Zelte und Container. Ein Reisebus fährt vor, Ehrenamtliche in gelben Warnwesten gehen durch die Glastür der Orangerie ein und aus. Es herrscht kein Chaos, sondern eine gespenstische Stille, von der auch die Hel­fe­r*in­nen am nahen Berliner Hauptbahnhof berichten, an dem jeden Tag Tausende Geflüchtete aus der Ukraine ankommen.

Feldbetten und Palmen

Die Orangerie ist ein Veranstaltungsraum und von dem normalen Betrieb der Biosphäre getrennt. Im Eingangsbereich sitzen ukrainische Familien, neben einer mit Tropenpflanzen bewucherten Wand warten sie auf ihre Registrierung. Überall stehen hochgewachsene Palmen in Holzfässern, die Glaswände der Orangerie sind mit blickdichten Gardinen verhangen. In der Halle ist Platz für 150 Feldbetten, 39 sind an diesem Donnerstag belegt. Sie stehen in kleinen Abteilen zusammen, die dünne Plastikwände voneinander trennen. Es gibt eine Spielecke für Kinder und eine Spendenausgabe, sanitäre Anlagen und warme Mahlzeiten.

Für eine Dauerbelegung ist das Tropenhaus allerdings nicht geeignet. Die Potsdamer Sozialbeigeordnete Brigitte Meier spricht von einer „provisorischen Weiterverteilungsstelle“, andere Unterkünfte sollen priorisiert vergeben werden. Weitere 630 Betten stehen in Potsdam zur Verfügung, in einem Jugendzentrum, in Hotels und Pensionen. Doch die meisten Plätze sind bereits belegt: Bislang sind über 1.500 Menschen angekommen, weitere werden folgen.

Als Notunterkunft soll daher bald auch die Metropolishalle am Filmpark Babelsberg dienen, die Verhandlungen mit dem Land dazu laufen. Außergewöhnliche Zeiten verlangen nach außergewöhnlichen Orten.

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