Neues Schulfach in NRW: Wirtschaft macht Hochschule
Für den Wirtschaftsunterricht will NRW-Schulministerin Gebauer die Lehramtsausbildung umstellen. Dabei stößt sie auf Widerstand.
Dafür sollen die Hochschulen die Lehramtsausbildung entsprechend umstellen. Das sieht ein Entwurf aus dem Schulministerium vor, den das Kabinett demnächst beschließen und dem Landtag vorlegen will. Was das für die Schulen bedeutet, hat der zuständige FDP-Staatssekretär Mathias Richter bereits zum Schulstart im August klargestellt: „Lehramtsstudierende, die das Fach Sozialwissenschaften studieren, erwerben künftig nicht automatisch eine Lehrbefähigung für das Fach Wirtschaft-Politik“, sagte Richter in der Wirtschaftswoche.
Im Herbst 2021 könnten erste Studierende mit dem „neu profilierten Lehramtsfach“ beginnen, heißt es im Schulministerium in Düsseldorf. Dann könnten 2026 die ersten fertigen Wirtschaftslehrer:innen an die Schulen kommen. Bis dahin dürften die Lehrer:innen, die Sozialwissenschaften studiert haben und die aktuell den neuen Wirtschaftsunterricht abdecken, „natürlich vertretungsweise“ unterrichten, so der FDP-Politiker.
Äußerungen, die bei den 9.605 „Sowi“-Lehrer:innen im Land Fragen aufwerfen. Müssen sie sich jetzt fortbilden? Von einjährigen Zertifikatskursen war zwischenzeitlich die Rede. Und: Geht die angestrebte Fokussierung auf mehr „ökonomische Bildung“ zulasten des Politik-Anteils? Auch Ferdinand Burghardt, der im Ruhrgebiet seit mehr als 30 Jahren Sozialwissenschaften unterrichtet, ist skeptisch.
Kritik an FDP-Ambitionen
Bisher habe es gut funktioniert, Schüler:innen bei Wirtschaftsthemen auch die sozialen und politischen Folgen zu vermitteln. Ob das nach der Umstellung des Studiums auch noch so ist, bezweifelt er. „Die FDP will das Fach umkrempeln“, glaubt Burghardt. Dass Lehrer:innen mit dem bisherigen Sozialwissenschaftsstudium nicht für das Fach qualifiziert sein sollen, hält er für eine „Frechheit“. Wer den Kapitalismus nicht aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive hinterfrage, mache einen Fehler. Wie wichtig das sei, zeigten aktuell die Coronakrise oder der Brexit.
Auch die betroffenen Lehramtsstudierenden kritisieren die Pläne. Sowi-Absolvent:innen würden durch den neuen Studiengang Kompetenzen abgesprochen. Sie stünden später in Konkurrenz mit den Absolvent:innen des Faches Wirtschaft-Politik, heißt es in einer Petition an Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP), die mittlerweile mehr als 35.000 Menschen unterschrieben haben.
Selbst Studierende, die bei der CDU Mitglied sind, halten die Reform für „fatal“, sollten gesellschaftliche Aspekte im neuen Studiengang fehlen. Ein Fachverband für politische Bildung mahnte kürzlich in einem Brandbrief, dass durch die Lehramtsumstellung die ohnehin wenigen „politischen Studien- und Bildungsinhalte immer weiter verdrängt“ würden. Ähnliche Bedenken äußerten Vertreter:innen der Oppositionsparteien.
Der breite Unmut hat das Schulministerium offenbar veranlasst, vor wenigen Tagen „klarstellende Erläuterungen“ zur „aktuellen Debatte“ zu veröffentlichen. Darin garantiert Gebauer den Sowi-Lehrer:innen nun, dass sie ihre Lehrbefugnis für das Fach Wirtschaft-Politik behalten werden. Eine weitere Qualifizierung sei „nicht notwendig“.
Fraglich bleibt hingegen, wie schnell die Hochschulen im Land den neuen Studiengang einführen können. Die Landesrektorenkonferenz hält den Zeitplan der Landesregierung für ambitioniert. Bisher, sagte Geschäftsführer Sebastian Kraußer der taz, gebe es für das geplante Fach „Wirtschaft-Politik“ nicht mal bundesweite Standards. Sollte der Landtag den Plänen für das neue Studium zustimmen, hätten die Universitäten mit der Ausarbeitung aber noch vier Jahre Zeit.
Lehrer Burghardt hofft auf die nächsten Landtagswahlen. Bereits 2010 hatte Schwarz-Gelb ein Pilotprojekt zum Fach Wirtschaft an Realschulen gestartet – es wurde von der rot-grünen Folgeregierung zurückgedreht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe