Neues Polizeigesetz im Kieler Landtag: „Auf Kinder schießt man nicht“
Am Freitag beschließt der Kieler Landtag ein Polizeigesetz, das den Beamt*innen mehr Befugnisse im Einsatz einräumt.
Das Bündnis formuliert auf seiner Homepage eine fundamentale Kritik gegen die Novelle. Plakativ unterstellt es den Urheber*innen des Entwurfes, den „unerklärlichen Wunsch, auf Kinder schießen zu dürfen.“ Es spielt damit auf einen Passus des Gesetzes an, nachdem Polizist*innen gezielt auch auf Jugendliche unter 14 Jahre schießen dürfen um Extremlagen aufzulösen.
Der grüne Sicherheitspolitiker Burkhard Peters, der an dem Gesetz mitgestrickt hat, nennt als möglichen Anlass für einen solchen finalen Rettungsschuß auf Kinder einen Amoklauf an einer Schule, bei dem das Leben anderer Kinder bedroht ist. Bislang gab es ein solches Szenario in Deutschland noch nicht.
Neben dem Bündnis und der Linken hat auch die oppositionelle SPD massive Bedenken gegen diese Befugniserweiterung. „Auf Kinder schießt man nicht“, sagt die innenpolitische Sprecherin der SPD, Kathrin Bockey. Diese „politische Verschiebung von ethischer Verantwortung“ sei „ein Dammbruch“, den die SPD nicht mitmache. Peters hält dagegen, das Strafgesetzbuch schreibe heute schon vor, dass ein Polizist unter sehr eingegrenzten Umständen auch auf ein Kind schießen müsse. Der Schusswaffengebrauch gegenüber Kindern werde seit Jahren in den Länder-Polizeigesetzen geregelt – auch in Bundesländern, die von der SPD regiert werden.
Der umstrittene Gesetzentwurf erlaubt den Polizeibeamt*innen ausdrücklich den „finalen Rettungsschuss“. Dabei schießen die Beamten gezielt auf lebenswichtige Organe, um eine*n Geiselnehmer*in oder terroristische*n Gewalttäter*in zu töten, sofern dies das einzige mögliche Mittel der Gefahrenabwehr ist. Explizit einbezogen sind hier auch Täter*innen, die noch nicht 14 Jahre alt sind.
Der „finale Rettungsschuß“ wird offiziell erlaubt
Neben dem „Kindstötungs-Paragraphen“ ist vor allem die Einschränkung von Freiheitsrechten, die das Gesetz schon im Verdachtsfall vorsieht, umstritten. Zur Vermeidung von terroristischen Anschlägen darf die Polizei in Zukunft ihr verdächtig vorkommende Personen dazu zwingen, sich nicht nur regelmäßig in einer Dienststelle zu melden, sondern – wenn ein*e Richter*in dem zustimmt – bei Terrorverdächtigen auch eine elektronische Fußfessel anlegen, um den Aufenthaltsort permanent zu überwachen. „Damit wird Menschen, die gegen kein Gesetz verstoßen haben, die Bewegungs- und Handlungsfreiheit weitgehend entzogen“, kritisiert das Bündnis.
Auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) warnt davor, „dass die Polizei bereits dann tief in Grundrechte eingreifen kann, wenn sie nur den vagen Verdacht hat, dass von einer Person in Zukunft eine Gefahr ausgehen könnte.“ Damit setze Schleswig-Holstein die Schwelle für schwerwiegende Eingriffe massiv herab – mit klar verfassungswidrigen Vorschriften, sagt Bijan Moini, Jurist der GFF. Er klagt: „Meldeauflagen und Fußfesseln sind extrem stigmatisierend und schränken die Betroffenen massiv ein.“ Die Novelle gehe damit weit über entsprechende Befugnisse in anderen Polizeigesetzen hinaus.
Lässt Racial Profiling sich einfach verbieten?
Das stimmt nur zum Teil: So können etwa auch in Niedersachsen und Hamburg nach den im vergangenen Jahr verabschiedeten Polizeigesetzen Terrorverdächtige durch elektronische Fußfesseln überwacht werden. In Niedersachsen tragen derzeit vier Personen eine solche Fußfessel, Innenministerin Barbara Havliza (CDU) will den Einsatz der Detektoren jedoch in den kommenden Jahren massiv ausweiten. Und bundesweit ist nur in Bremen der finale Rettungsschuss gegen unter 14-jährige nicht zulässig.
Das neue Polizeigesetz rüstet die schleswig-holsteinischen Einsatztruppen zudem mit Elektroschockern und Bodycams sowie mit erweiterten Festnahmebefugnissen aus. Die Ausweitung der polizeilichen Instrumentarien ist für die Grünen schwer mitzutragen. „Natürlich konnten wir uns nicht mit allem durchsetzen.“, räumt Peters ein. Ihm sei vor allem wichtig, dass in dem Polizeigesetz Racial Profiling untersagt werde. „Da sind wir uns mit der Polizei einig und haben mit der Formulierung im Gesetz ein deutliches Zeichen gegen Diskriminierung gesetzt“, freut sich der Grüne.
Das Bündnis gegen das Gesetz sieht das ganz anders: Dass in der Praxis von der Polizei überdurchschnittlich häufig People of Color kontrolliert und durchsucht werden, liege nicht an den Gesetzesgrundlagen, sondern an den rassistischen Stereotypen in den Köpfen der Polizist*innen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich