Neues Palästina-Museum in der Westbank: Die Täter sind immer die anderen
Im neu eröffneten Palästinensischen Museum von Bir Zait bestimmt die Politik Motiv und Pinselstrich der Jerusalem-Schau.
Hourani ist einer von 48 Künstlern, die ihre Werke in der ersten Ausstellung des Palästinensischen Museums zeigen. Das Fernglas soll dem Betrachter der Keramiktafel die Freiheit einräumen, über das Kunstwerk hinaus in den Horizont zu blicken. Hourani will sein Werk nun „für immer“ dort hängen lassen.
Seit diesem Sonntag ist die Ausstellung im ersten Kunstmuseum Palästinas zu sehen. Sie trägt den Titel „Jerusalem Lives“. Kuratorin Reem Fadda fasst das Ziel der Kulturevents zusammen. „Bei dieser Ausstellung geht es um den kulturellen Widerstand gegen die Besatzung, gegen die Unterdrückung und gegen die Judaisierung der Stadt.“
L’Art pour l’art, Kunst um der Kunst willen, das ist hier nicht angesagt. In dem kostspieligen Kulturpalast unweit der Bir-Zait-Universität bestimmt die Politik Motiv und Pinselstrich. Schon auf dem Plakat der Ausstellung zeigt die Zahl 48, aus welcher Richtung hier der Wind weht. 1948 wurde der Staat Israel gegründet, und 48 beziffert gleichzeitig den Unabhängigkeitskrieg und das Jahr der Nakba, der palästinensischen Flüchtlingskatastrophe.
Der in Jerusalem geborene Künstler Khalil Rabah nennt auf einer zweiten, gleich großen rostigen Skulptur auch die Zahl 67, das Jahr des Sechstagekrieges, mit dem die Militärbesatzung im Westjordanland, dem Gazastreifen und in Ost-Jerusalem begann.
Reem Fadda hielt die Fäden bei der Zusammenstellung der Werke in den Händen. Vor der Museumseröffnung dankt die junge Palästinenserin dem Vorstand und dem Museumsdirektor für die „große Freiheit“, die sie bei der Arbeit gehabt habe. Ihr Leitfaden sei stets die Frage gewesen: „Wie können die Menschen in Jerusalem Widerstand leisten?“
Keine Grautöne
Eine Imitation des Tempelbergs begrüßt den Besucher gleich zu Beginn des Rundgangs. „Welches Image hat Jerusalem?“, so erklärt die Kuratorin, und: „Welches Image wird aktuell vermittelt?“ Computerbildschirme an einer Wand hinter dem Miniatur-Tempelberg zeigen Nachrichtenberichte aus der Stadt. Auf einem anderen Bildschirm ist ein in kurzen Abständen sich wiederholender Spielfilmausschnitt zu sehen mit Menschenmassen, die aus der Altstadt vertrieben werden.
Fadda unterteilt die Ausstellung in vier Sektionen. Es geht um Kultur, um Politik, um Ideologie und um Wirtschaft. Ein riesiges düsteres Bild der Trennwand zwischen Israel und den Palästinensergebieten bildet den Auftakt zur politischen Abteilung. Reem spricht von „Imperialismus und Kolonialismus“, von „Landdiebstahl und Häuserzerstörung“. Fotos zeigen israelische Soldaten und Straßenkontrollpunkte. Ein Zimmer ist mit einem Panoramabild ausgestattet, das „die Siedlungen zeigt, die Jerusalem ersticken“.
Die Palästinenser sind hier die einzigen Opfer. Hier gibt es keine Grautöne. Im Palästinensischen Museum ist die Welt schwarz-weiß, ganz ähnlich wie in manchen staatlichen israelischen Ausstellungen. Täter, das sind immer die anderen. Wenn es um die Dokumentation historischer Entwicklungen geht, bleibt das Narrativ einseitig. In dem von Stiftungen und Banken privat finanzierten Palästinensischen Museum soll es allerdings um Kunst gehen. Oder etwa doch nicht?
Kuratorin Reem Fadda
„In diesem Land ist alles politisch“, sagt der Museumsdirektor Mahmud Hawari, „sogar die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, und die Nahrung, die wir zu uns nehmen.“ Der 63-Jährige kehrte für seinen „Traumjob“, wie er sagt, seiner langjährigen Wahlheimat London den Rücken zu, wo er zuletzt im Britischen Museum tätig war. „Wir sind ein Volk, das seit fast 70 Jahren unter Besatzung lebt“, sagt er und macht damit klar, dass die Besatzung aus seiner Sicht mit der Gründung Israels begann und nicht erst mit dem Sechstagekrieg. „Diese Ausstellung ist eine politische“, sagt er, und daran sei „nichts verkehrt, denn unsere Lebenssituation ist eine politische.“
Die Besatzungsmacht ist allgegenwärtig
Mit ihrer Botschaft rennen Fadda und Hawari beim palästinensischen Publikum offene Türen ein. In Ramallah oder Hebron muss kaum noch jemand vom Übel der Besatzung überzeugt werden. Ganz anders wäre das in Tel Aviv, in West-Jerusalem oder in Haifa. Doch die Ausstellung in Israel zu zeigen, das kann sich der Museumsdirektor, der selbst einen israelischen Ausweis besitzt, „nur in ferner Zukunft“ vorstellen, „wenn Frieden ist und wenn das palästinensische Volk sein Recht auf Selbstbestimmung erreicht hat“.
MamduH Aker, Museumsvorstand
Vorerst will man lieber unter sich bleiben. Der Besatzer ist zwar allgegenwärtig, aber er wird nicht angesprochen. Kuratorin Fadda erklärt in der dritten Abteilung, in der es um die Wirtschaft geht, dass „Jerusalem als Versuchslabor“ für Israel herhalten müsse.
Premier Benjamin Netanjahu vermarkte gegenüber US-Präsident Donald Trump die Mauer als großen Erfolg. Dass der israelische Regierungschef damit nicht auf die Mauer zwischen Israel und Palästina anspielte, sondern die Trennanlagen entlang der ägyptischen Grenze thematisierte, fällt unter den Tisch. Auf solche Details kommt es den Kulturschaffenden nicht an, solange nur das Gesamtbild stimmt. Die Besatzung ließe „palästinensische Märkte sterben“ und „weniger Touristen kommen“, erklärt Fadda die ökonomischen Folgen von Israels Politik in der Stadt.
Seit 50 Jahren werde die Stadt bedroht, setzt Mamduh Aker hinzu, der zum Vorstand des Museums gehört. „Die Ausstellung ruft die Welt dazu auf, Jerusalem aus den Händen des Besatzers zu befreien.“ Die Werke sollen bis Mitte Dezember in Bir Zait bleiben und dann auf Tour gehen. Jordanien und Libanon sind mögliche Ziele und später auch Europa und die USA. Israel nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid