Neues Mediengesetz in der Ukraine: „Instrumente von Zensur“
Das ukrainische Parlament hat ein neues Mediengesetz verabschiedet – mit mehr Macht für den Präsidenten. Journalistenverbände sind besorgt.
Nun habe die Ukraine eine weitere Empfehlung für den EU-Kandidatenstatus, die Brüssel der Ukraine angetragen hatte, erfüllt, heißt es in Kreisen der Regierungspartei „Diener des Volkes“.
„Wir können mit Zuversicht sagen, dass die Werchowna Rada der Ukraine ihren Teil getan und alle notwendigen Gesetze zur Umsetzung der Empfehlungen der Europäischen Kommission verabschiedet hat“, zitiert das staatliche Portal Suspilne.media Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk im Zusammenhang mit der Annahme des Mediengesetzes im ukrainischen Parlament. Auf der Website des Parlaments wird das neue Gesetz zudem als „weiteren Schritt auf dem Weg zur europäischen Integration“ bezeichnet.
Am 23. Juni hatte die Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten. In diesem Zusammenhang hatte die EU-Kommission der Ukraine auch eine Medienreform empfohlen. Der Hintergrund dieser Empfehlung ist der Umstand, dass sich die ukrainische Medienlandschaft zu einem großen Teil in der Hand von Oligarchen befindet.
Strafen ohne Gerichtsbeschluss
In der Onlinezeitung Ukrajinska Prawda begrüßen drei VertreterInnen des „Reanimationspakets der Reformen“, einer Koalition mehrerer Nichtregierungsorganisationen, das Gesetz, harmonisiere es doch die ukrainische Gesetzgebung mit der EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste. „Dieses Dokument stärkt insbesondere die Befugnisse der Medienaufsichtsbehörde – des Nationalen Rates für Fernsehen und Rundfunk“, so die AutorInnen.
Genau diese Machtfülle, die das neue Mediengesetz dem Nationalen Fernseh- und Rundfunkrat und damit dem Präsidenten einräumt, fürchten seine Kritiker dagegen. So kann der Präsident vier von acht Mitgliedern dieses Rates ernennen. Vier weitere Mitglieder ernennt das Parlament. Und in diesem verfügt die Präsidentenpartei „Diener des Volkes“ über die Mehrheit.
Einer der schärfsten Gegnerinnen dieses Gesetzes ist die Nationale Journalistengewerkschaft. Auf ihrer Facebookseite sieht deren Chef Serhiy Tomilenko in dem Gesetzentwurf, der Text des verabschiedeten Gesetzes ist ja noch nicht veröffentlicht, „Instrumente von Zensur“ und eine Bedrohung der Informationsfreiheit.
Nach Informationen der Journalistengewerkschaft kann dieser Rat gegen alle Medien Strafen verhängen, ohne dass hierfür ein Gerichtsbeschluss erforderlich wäre, für 14 Tage Onlinemedien vom Netz nehmen, Internet-Provider auffordern, gewisse Inhalte zu sperren, Printmedien die Lizenz entziehen, Youtube und Facebook auffordern, Inhalte zu löschen und von Google verlangen, Nutzern gewisse Ergebnisse ihrer Suche nicht anzuzeigen.
Zur europäischen Agende zurückkehren
Mit der Verabschiedung des Gesetzes, so Tomilenko, hätten die Abgeordneten hunderte von ukrainischen Journalisten aus Dutzenden Redaktionen, die Unterschriften gegen den Gesetzentwurf gesammelt hatten, gedemütigt.
Bereits nach der ersten Lesung des Gesetzes am 30. August hatte die in New York ansässige internationale Journalistenvereinigung Committee to Protect Journalists (CPJ) das ukrainische Parlament aufgefordert, von dem Gesetzentwurf Abstand zu nehmen.
Das neue ukrainische Mediengesetz, so Gulnoza Said, beim CPJ für Asien und Europa zuständig, ermögliche der Regierung den Informationsraum zu kontrollieren und gefährde so die Pressefreiheit. „Und dies just zu einem Zeitpunkt, an dem die Bürger in besonderem Maße auf Informationen angewiesen sind“, so Said.
Ähnlich sieht dies auch Tetjana Kotjuschinska, Chefin der nationalen Assoziation der ukrainischen Medien, auf gordonua.com: „Die Hälfte des Gesetzentwurfs zielt auf Änderungen und Ergänzungen zur Regelung der journalistischen Arbeit ab. Woraus besteht diese Hälfte? Aus Verboten und Einschränkungen“, so Kotjuschinska, die in dem Gesetz keine Annäherung an europäische Standards erkennen kann.
Schließlich debattierten in Europa Journalistengewerkschaften über einen „Media Freedom Act“, der Medieneigentümer einschränken und den Journalistenkollektiven mehr Rechte und Garantien für ihre redaktionelle Unabhängigkeit geben solle, so Kotjuschinska. „Die Ukraine muss ehrlich und offen zur europäischen Agenda zurückkehren und sich von asiatischen Träumen einer Zensur verabschieden.“
Alle bisherigen Gesetze außer Kraft
Doch auch aus einer anderen Richtung kommt Kritik. So kritisierte der Abgeordnete Mikola Knjaschizkij von der Partei von Ex-Präsident Poroschenko „Europäische Solidarität“, dass der neue Gesetzentwurf das Verbot russischer Musik in der Ukraine außer Kraft setze, berichtet Suspilne.Media. Knjaschizkij wies auch darauf hin, dass das Verbot der Vorführung von Filmen, in denen die Hauptfiguren „Vertreter des Aggressorstaates“ sind, in der neuesten Fassung des Dokuments nicht mehr enthalten ist. Das neue Gesetz entferne die Ukraine von der EU, so Knjaschizkij. Trotz aller Kritik hatten aber letztendlich zwei Drittel der Abgeordneten der Oppositionsparteien „Europäische Solidarität“ und „Holos“ für das Gesetz gestimmt, berichtet ukranews.com und erwähnt gleichzeitig, dass der Gesetzentwurf von westlichen Journalisten und der OSZE kritisiert worden sei.
Bereits 2021 hatten die ukrainischen Behörden mehrere Fernsehsender und Nachrichtenportale gesperrt, die als prorussisch angesehen werden. Und in diesem Jahr wurde Kanälen von Ex-Präsident Petro Poroschenko der Zugang zum ukrainischen Kabelfernsehen gekappt.
Das neue Mediengesetz, so das Portal des ukrainischen Parlaments, werde mehrere „veraltete“ Gesetze ersetzen, darunter die Gesetze zu Fernsehen und Rundfunk, zum Nationalen Rat der Ukraine für Fernsehen und Rundfunk, zu Printmedien, zu Nachrichtenagenturen sowie Gesetze zu Verfahren der Berichterstattung über die Tätigkeit der staatlichen Behörden und lokalen Selbstverwaltungsorgane in der Ukraine durch die Massenmedien und auch solche zum Schutz der öffentlichen Moral.
Seit Donnerstag liegt der Gesetzentwurf dem Präsidenten zur Unterschrift vor. Mit der Unterzeichnung dieses neuen Gesetzes sind dann alle anderen Gesetze, die bisher den Medienbereich in der Ukraine reguliert haben, außer Kraft gesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“